"Plastic Planet"
26. Februar 2010Ein aufblasbarer Ball, durchsichtig, bunt, ein Spielzeug für Kinder. Doch der Plastikplanet, der eigentlich nur als Symbol herhalten sollte für den Film "Plastic Planet", stellte sich als tickende Umweltbombe heraus. "Das Ergebnis war besonders schockierend", so Regisseur Werner Boote, "weil ein Produkt, das wir zufällig gekauft hatten, so schwer kontaminiert war, weit über die zulässigen Grenzwerten. Da war klar, was wirklich abgeht."
Der Planet ist leider giftig. Wie gefährlich die Produkte aus Plastik tatsächlich sein können, ist in zahlreichen Studien untersucht worden. Doch kaum ein Verbraucher kann sich vorstellen, dass in unserer streng reglementierten Welt Produkte, die wir täglich benutzen, die in jedem Supermarkt erhältlich sind, und in denen sogar Lebensmittel verpackt werden, schwere Gesundheitsschäden anrichten können.
Erinnerungen an Michael Moore
So ging es auch Werner Boote selbst, der während seiner Arbeit an "Plastic Planet" vom bekennenden Plastikfan zum Aktivisten für eine saubere Umwelt wurde: "Es ist nicht so, dass ich wie Michael Moore sage: Ich hab eine These, und die beweise ich jetzt. Ich bin als Konsument rangegangen, um nachzufragen. Der Film dokumentiert diese Reise von mir, ein Investigationstrip, den ich über die letzten zehn Jahre gemacht habe."
Ein bisschen erinnert Werner Boote dabei natürlich doch an Michael Moore, wenn er scheinbar naiv auf einer großen Kunststoffmesse den Industriebossen mit einem dicken Koffer voller wissenschaftlicher Studien hinterher rennt und sie mit dem hochbrisanten Material konfrontieren möchte. Material, das die Industrie lieber ignorieren würde: Forschungen, die zeigen, dass der Umgang mit Plastik Krebs erzeugt oder unfruchtbar macht.
Investigationstrip um den Planeten aus Plastik
Der Dokumentarfilm fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse rund ums Material Kunststoff zusammen. Dafür ist die Filmcrew in 15 Länder gereist und hat dort gedreht, Gespräche mit Experten geführt und Familien und ihre Plastikutensilien in aller Welt besucht. Bergeweise Spielzeug, Haushaltsgeräte, Kleidung, Computer und Fernsehgeräte, unser Alltag.
Seit einigen Jahren weiß man: Viele Inhaltsstoffe sind gesundheitsschädlich. Die Kunststoffindustrie ließ sich davon kaum beirren und macht 800 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Die Folgen sind nicht zuletzt enorme Mengen an Plastikmüll, die Meere und Landschaften verschmutzen, Fischsterben inklusive. Denn Plastik verrottet nicht.
Aufgewachsen in einer Welt aus Plastik
Der Filmemacher verquickt die Fakten auf unterhaltsame Weise mit seiner ganz persönlichen "Plastik-Geschichte". Bootes Großvater arbeitete als Geschäftsführer eines Unternehmens, das PVC-Folien herstellte, Plastik galt in der Familie als Material der Zukunft. "Seit meiner Geburt lebe ich mitten in Plastik", konstatiert Boote. Dass dieser Traum auch platzen kann, weiß jeder, der schon einmal altes sprödes Plastik in der Hand hatte, aus dem die Weichmacher entwichen sind.
Denn Phthalate werden beim Gebrauch ebenso frei wie Bisphenol A, einem Inhaltsstoff, der in Autoteilen, CDs, Zahnfüllungen, Lebensmittelverpackungen und Babyfläschchen verwendet wird. Auch kleine Mengen können zu Schäden führen, weil Bisphenol A hormonell wirkt und dadurch die Spermienproduktion reduziert und das Erbgut verändert. Nach dem Film möchte man am liebsten nie wieder Plastik anfassen geschweige denn aus einer Plastikflasche trinken. Doch selbst Babys saugen aus Plastikschnullern schon genau die gleichen unappetitlichen Stoffe auf wie Erwachsene. Kaum einem Material können wir so wenig entkommen wie dem vielseitigen Plastik.
Tests während der Dreharbeiten
"Die Problematik betrifft alle Lebensbereiche, weil es überall Kunststoff gibt und es gibt keinen Kunststoff, wo man wirklich weiß, was drin ist." Es kommt noch schlimmer: "Die Industrie weiß oft selbst nicht, was genau in ihren Produkten enthalten ist, weil die Produktionswege lang und verflochten sind. Es hilft eigentlich nur eines: Testen und zwar in einem unabhängigen Labor." Genau das hat die Filmproduktion getan: Tests, die in keinem Produktionsetat vorgesehen waren, die teuer sind, die aber eindrucksvoll die Recherchen belegen. Erhebliche Mengen von Bisphenol A wurden beim Selbsttest auch im Blut des Filmemachers festgestellt. Durch Riechen, Essen und Trinken aus Plastik oder Berührung gelangen die Inhaltsstoffe in den menschlichen Körper.
"Plastic Planet" hat in Österreich, wo der Dokumentarfilm bereits vor einem halben Jahr anlief, eine gewaltige Schockwelle ausgelöst. Es gab quer durch alle Parteien parlamentarische Anfragen zum Thema und einen Sturm der Entrüstung bei vielen Verbrauchern. Selbst in Abu Dhabi, wo "Plastic Planet" auf dem Filmfestival lief, sollen nun Plastiktüten verboten werden. "Plastic Planet" lädt also keinesfalls zum Resignieren ein, sondern vielmehr dazu, notfalls auf die Barrikaden zu gehen und Forderungen an die Verantwortlichen zu stellen. Eine Deklarationspflicht für die Inhaltsstoffe von Plastikprodukten zum Beispiel. Wenn gesundheitsschädliche oder nicht ausreichend getestete Kunststoffe vom Markt verschwinden, wäre das mit Sicherheit der größte denkbare Erfolg für den Film.
Autorin: Renate Heilmeier
Redaktion: Jochen Kürten