Der Streit ums Geld und die Folgen für Europa
25. Oktober 2011"MERKOZY" werden sie schon genannt und dahinter steckt Frust. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy geben den Ton an in den Verhandlungen über die geeigneten Maßnahmen im Kampf gegen die europäische Schuldenkrise. Kleinere EU-Mitglieder fühlen sich übergangen, wenn die wirtschaftlich stärksten Mitglieder voranpreschen und dabei wenig auf sie eingehen, sondern vor allem die eigenen Bedürfnisse im Blick haben.
Ungewöhnlich sei das nicht, denn egal ob großes oder kleines EU-Land, der eigene Vorteil zähle in Verhandlungen schon so lange wie es die EU gebe, sagt Emanuel Richter, Politikwissenschaftler an der Rheinisch-Westfälischen-Technischen Hochschule (RWTH) Aachen: "Die europäischen Staaten haben schon immer darauf geachtet, dass ihr Vorteil zur Geltung kommt. Das kam nur nie so richtig zum Tragen, weil bislang keine großen Konflikte aufgetreten sind."
Starke Länder machen Druck
Jetzt ist der große Konflikt da und weil die wirtschaftlich stärkeren Länder am Ende auch am meisten zahlen müssen, wenn etwas schief geht, können sie Druck ausüben. Zum Beispiel auf Italien. In lauernder Einigkeit, lächelnd, aber mit einer gewissen Aggression nahmen sich Frankreich und Deutschland gemeinsam den italienischen Premier Silvio Berlusconi vor. Er solle endlich anfangen zu sparen, damit sein Land nicht das nächste sei, das europäische Hilfsgelder benötige, erklärten Merkel und Sarkozy danach auch öffentlich. Der französische Präsident drückte das so aus: "Keiner kann mit der Solidarität und Hilfe der Partner rechnen, wenn er sich nicht selbst anstrengt."
Darüber hat man sich in Italien empört – auch wenn Sarkozy in der Sache wohl recht hat. Als dann aber David Cameron, der britische Premierminister, den Euro-Rettern gute Ratschläge gab, hat sich wiederum der französische Präsident aufgeregt. Cameron hätte lieber den Mund halten sollen, sagte er, schließlich sei Großbritannien nicht mal Mitglied der Eurozone. Man könnte meinen, das seien alles nur die normalen gereizten Sticheleien, die zum politischen Spiel gehören, aber Emanuel Richter ist der Meinung, dass Merkel und Sarkozy in den aktuellen Verhandlungen teilweise die Bestimmungen des Lissaboner Vertrags übertreten, der seit 2009 in Kraft ist. Die europäischen Staats- und Regierungschefs entscheiden nämlich zunehmend im Alleingang und ohne das EU-Parlament: "Gerade Merkel und Sarkozy geben ja gewissermaßen alle großen politischen Richtlinien vor, beraten sich aber kaum mit den übrigen Partnern und lassen nicht alles von den Parlamenten absegnen."
Die Parlamente werden geschwächt
Tatsächlich wurden das EU-Parlament und viele nationale Parlamente durch die Schuldenkrise in Europa politisch geschwächt. So schnell wie momentan Entscheidungen gefällt werden müssen, können die Abgeordneten gar nicht zusammen kommen und über entsprechende Maßnahmen abstimmen. Der Rat der Europäischen Union, in dem die europäischen Staats- und Regierungschefs vertreten sind, hat dagegen an Macht gewonnen. Aus demokratischer Sicht sei das bedenklich, sagt Berthold Rittberger von der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Andererseits zeichne sich "zumindest ab, dass die Politik versucht, im Rahmen dieser Krise neue Regeln aufzustellen, die in der Konsequenz eine engere Integration der EU und insbesondere der Eurozone hervorrufen werden." Die Währungsunion werde auf keinen Fall zusammenbrechen, dazu seien alle EU-Länder ökonomisch zu eng mit einander verzahnt, niemand werde sich auf "seinen nationalen Politikspielplatz" zurückziehen, so Rittberger.
Experten sind sich uneinig
Es gibt Experten, die sehen das anders. Politikwissenschaftler Emanuel Richter von der RWTH Aachen sagt, eine Verkleinerung der Eurozone sei sinnvoll, um für die Zukunft gerüstet zu sein, langfristig könne sogar ein Ausstieg aus der Währungsunion eine Lösung sein. Die Geschichte verschiedener Währungsunionen habe gezeigt, dass sie selten länger als 50 bis 60 Jahre halten würden, sie seien vergänglich. Wenn man keinen solchen Schritt zurück machen wolle, müsse man stattdessen einen nach vorne machen und "den Vertrag von Lissabon erheblich erweitern", sprich: eine gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung einrichten. Das ist eine Idee, die kursiert, aber sie wäre kompliziert umzusetzen und alle EU-Staaten müssten einer solchen Vertragsänderung zustimmen.
Der Politologe Rudolf Hrbek von der Uni Tübingen weist dagegen noch auf einen langfristigen gesellschaftspolitischen Effekt hin, der durch das Hin und Her in der europäischen Schuldenkrise entstehen könne: Verunsicherung bei den EU-Bürgern angesichts der Ratlosigkeit von Politikern und Experten über die geeigneten Rettungsmaßnahmen. "Je schwieriger das Management der Finanz- und Wirtschaftskrise wird und je hilfloser die Politik ist, desto größer wird die Atmosphäre der Verunsicherung." Die wiederum sei der ideale Nährboden für politische Parteien, die mit Anti-Europa-Parolen punkten und damit langfristig das Konstrukt Europa schwächen könnten.
Autorin: Marlis Schaum
Redaktion: Nils Naumann