Der Traum von der Dschihad-Ehe
3. Oktober 2014Eine Syrerin betritt ein Internetcafé in Rakka, der nordsyrischen Stadt, die seit 2013 fest in der Hand der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) ist. Die syrische Studentin trägt ein langes, schwarzes Gewand, unter dem sie eine Kamera versteckt. Heimlich filmt sie ein paar Mädchen, die auf Französisch mit ihren Eltern in Frankreich skypen. "Nein, Mama, ich komme nicht zurück, das kannst du vergessen", hört man eine junge Französin in dem Video sagen, das den TV-Sendern "France 2" und "France 24" zugespielt wurde. "Ich habe nicht die ganzen Gefahren auf mich genommen, hierher zu kommen, um dann wieder nach Frankreich zurückzufahren", sagt sie weiter. "Ich will hier bleiben, mir geht es hier gut. Sie übertreiben im Fernsehen."
Einem Bericht des Internationalen Zentrum für Studien zur Radikalisierung am Londoner King's College zufolge sollen die Mädchen, die nach Syrien gehen, meist im Alter zwischen 16 und 24 Jahren sein. Viele von ihnen sollen auch über einen Universitäts-Abschluss verfügen. Geschätzte 3000 Europäer sollen sich in Syrien bereits einer Terrororganisation, meist dem IS, angeschlossen haben. Geschätzte zehn Prozent von ihnen sind Mädchen und Frauen aus Europa.
Romantische Vorstellung
Die junge Französin, die mir ihrer Mutter spricht, ist eine von ihnen. Über 60 junge Frauen und Mädchen aus Frankreich befinden sich bereits in Syrien an der Seite der Terrorgruppe. 60 weitere junge Frauen sollen französischen Angaben zufolge unter Beobachtung stehen, weil es Hinweise gibt, dass auch sie eine Reise nach Syrien zu Mitgliedern des IS planen.
Auch aus Großbritannien sind bereits 50 Mädchen und junge Frauen Mitglieder des IS geworden. Ein Großteil von ihnen wird in Rakka vermutet, einige von ihnen sollen sich am Kampf beteiligen. In Deutschland geht man mittlerweile davon aus, dass 40 junge Frauen nach Syrien und auch in den Irak gegangen sind, um sich dem IS anzuschließen. Und die meisten reisten ohne das Einverständnis der Eltern.
"Vier minderjährige Frauen reisten mit der romantischen Vorstellung einer Dschihad-Ehe aus und haben junge Männer geheiratet, die sie als Kämpfer übers Internet kennengelernt hatten", sagte Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz gegenüber der Zeitung "Rheinische Post". "Diese jungen Leute sind verblendet und wissen gar nicht, was auf sie zukommt."
Die meisten jungen Frauen verlassen ihr sicheres Zuhause in der Hoffnung, die große Liebe zu finden und zu heiraten. Einige waren vorher schon mit diesen Männern in Europa liiert. "Sie wollen ihre Glaubensbrüder beim Kampf unterstützen und Kinder bekommen, um ihre Auslegung des Islam so weit es geht zu verbreiten", zitiert "The Guardian" Louis Caprioli, ehemaliger Leiter des Anti-Terror-Flügels des Inlandgeheimdienstes in Frankreich.
Rekrutierung über das Internet
Montasser AlDe'emeh forscht an der Universität Antwerpen in Belgien zum Thema Radikalisierung. In einem Artikel auf der Website Al-Monitor erklärt er, dass die wachsende Islamophobie und das Erstarken der rechten Parteien Gründe seien, warum sich die jungen Frauen einer Terrororganisation anschlössen. Außerdem spiele auch die Kindheit der Mädchen eine Rolle. "Diese Mädchen haben oft das Gefühl, keinen Platz in der Gesellschaft zu haben. Sie fühlen sich von vielen Seiten zurückgewiesen, auch von einigen Muslimen", erklärt er. "Die Tatsache, dass sie Muslime kontaktieren, die sich genau so fühlen wie sie, gibt ihnen das Gefühl, geliebt und akzeptiert zu werden."
Daher spielen auch die sozialen Netzwerke bei der Rekrutierung eine große Rolle. Dort tauschen sie sich aus, geben sich Tipps, wie sie am besten über die Türkei nach Syrien einreisen können. Frauen, die bereits in Syrien sind, ermutigen ihre sogenannten Glaubensschwestern, sich dem Dschihad anzuschließen, zeichnen ein Idealbild vom Leben im anvisierten Kalifat und bieten ihnen an, die Reisekosten zu übernehmen. Manchmal locken sie auch mit zusätzlichen finanziellen Reizen.
Doch die Realität vor Ort ist dann oft eine andere. Einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge soll die Terrororganisation IS bereits 1500 Frauen und Mädchen, aber auch Jungen, zu Sex-Sklaven gemacht haben, einige sogar verkauft haben. Außerdem soll es regelmäßig zu Misshandlungen kommen. Einige junge Frauen aus Deutschland sind bereits aus Syrien wieder zurückgekommen.