Der Welthoffnungsgipfel
2. Juli 2005Die Themensetzung des englischen Premierministers für den Gipfel im schottischen Hochland behagt einigen seiner Staatschef-Kollegen nicht: So will zum Beispiel George Bush, sonst enger Verbündeter von Großbritannien, vom Klimaschutz nichts wissen. Die USA haben das Klimaabkommen von Kyoto nicht unterzeichnet und Bush will nicht einmal zugeben, dass es einen von Menschen verursachten Treibhauseffekt gibt. Bundeskanzler Gerhard Schröder hält nicht viel vom britischen Plan, die Entwicklungshilfe zu verdoppeln. Er will nach der Misstrauensfrage lieber versuchen, beim Wahlvolk zu punkten und seine Kollegen für den Kampf gegen den hohen Ölpreis zu mobilisieren.
Sorgen und Hoffnungen der Gipfel-Kollegen
Auch die anderen Staatschefs haben eher eigene Sorgen und Hoffnungen: Berlusconis Italien ist zum wirtschaftlichen Sorgenkind der EU geworden, Jacques Chirac ist in Frankreich politisch angeschlagen und will sich beim Thema Afrika profilieren, und dem japanischen Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi bereitet der Streit mit China wegen der Anerkennung japanischer Kriegsverbrechen Bauchschmerzen. Paul Martin aus Kanada will wegen einer Korruptionsaffäre zu Hause auf internationalem Parkett punkten, während Putin nach dem Yukos-Urteil einerseits mit kritischen Fragen rechnen muss und andererseits wegen des hohen Ölpreises mit gestärkter russischer Wirtschaft und Selbstbewusstsein auf die Runde trifft. Im nächsten Jahr will er in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen werden.
Angesichts der unterschiedlichen Prioritäten seiner Gipfel-Kollegen wird es Tony Blair nicht leicht haben, seine Themen durchzusetzen. Mit der Einigung der G8-Finanzminister über den Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt Anfang Juni kann er schon einen Erfolg verbuchen. Doch mit der Verdopplung der Entwicklungshilfe und der "Internationalen Finanzfazilität" (IFF) ist es schwieriger. Bei der IFF sollen die Industrieländer Entwicklungsgelder für die kommenden Jahre garantieren und diese jetzt schon als Anleihen auf dem Kapitalmarkt verkaufen. Die USA sind vehement dagegen.
Hilfsorganisationen hoffen auf Erfolge für Afrika
Die Gipfelthemen haben vor allem Hilfsorganisationen für Afrika auf den Plan gerufen: Die Aktionsgemeinschaft "Gemeinsam für Afrika" ermahnte die Staatengemeinschaft, die Millenniumsziele einzuhalten und unter anderem bis 2015 die Armut zu halbieren. Unicef legte neue Berechnungen zur Kindersterblichkeit vor und forderte den gerechten Zugang der Entwicklungsländer zum Weltmarkt und den Abbau der Landwirtschaftssubventionen in den Industrieländern. Zudem warnten Unicef sowie die Deutsche Welthungerhilfe vor übertriebenen Erwartungen durch den geplanten Schuldenerlass: Laut Welthungerhilfe müsse dieser mit klaren Bedingungen und Kontrolle verknüpft sein, damit das Geld nicht in korrupten Regierungen und Verwaltungen versickert.
Auch die Musikszene will mit den Live-8-Konzerten am 2. Juli 2005 politischen Druck ausüben, indem die Weltöffentlichkeit auf Afrikas Probleme aufmerksam gemacht wird. Der Initiator und Musiker Bob Geldof will sogar selbst zum Gipfel reisen und ruft dazu auf, es ihm gleichzutun: "Hört auf zu arbeiten, geht nicht zur Schule", fordert er, "ich will eine Million Leute dort haben." Die werden den Gipfel allerdings kaum erreichen: Rund um das Hotel Gleneagles sind alle Schotten dicht - eine doppelte Metallsperre spannt sich um das Gelände in den schottischen Bergen.
Afrikaner selbst werden kaum gefragt
Bei all den Forderungen um Afrika kommen die Afrikaner selbst kaum zu Wort: Erst viel zu spät fiel auf, dass bei den Live-8-Konzerten gar keine afrikanischen Musiker mitspielen. Nach heftiger Kritik organisierten die Veranstalter flugs noch ein Konzert mit afrikanischen Künstlern in Cornwall und ein eigenes in Johannesburg.
Auch die afrikanischen Wissenschaftler gehen bei all den professionellen Lobbygruppen unter, obwohl Forschung zur Lösung der afrikanischen Probleme viel beitragen kann. Einige Wissenschaftler haben sich mit ihren Ratschlägen im Fachmagazin "Nature" an die großen Industrienationen gewandt: So könne sich Afrika nicht ohne Biotechnologie entwickeln, mit der neue Pflanzensorten entstehen können. Ein Beispiel hierfür sei "Nerica", der "Neue Reis für Afrika". Er wurde aus einer besonders ertragreichen asiatischen und einer gegen Dürre resistenten afrikanischen Sorte entwickelt. Außerdem stehen die Suche nach einem Malaria-Impfstoff, die Verbesserung der Internetverbindungen sowie mehr Forschung für den Einsatz erneuerbarer Energieträger auf der Wunschliste der afrikanischen Wissenschaftler.
Zu groß sollten die Hoffnungen nach dem britischen Außenminister Jack Straw aber nicht sein: "Es wird nicht alles erreicht werden können, was die Menschen erwarteten, aber es wird mehr sein, als es ohne den Gipfel gewesen wäre." (bur)