Der Zufall hilft den Korruptionsemittlern
3. Dezember 2013Gunnar Greier gilt als harter Ermittler. Wie zum Beweis hängt bei ihm im Büro das Plakat des Westernfilms "Der gnadenlose Rächer". Ein Geschenk von Kollegen. "Vielleicht hängt es mit dem Poster zusammen, dass noch niemand versucht hat, mich zu bestechen", scherzt der Kölner Jurist, der im persönlichen Gespräch wie ein freundlicher, harmloser Musiklehrer wirkt.
Tatsächlich hat Greier in den allerhöchsten gesellschaftlichen Kreisen für Aufruhr mit seinen Ermittlungen gesorgt, weil fast alle seine Verfahren erfolgreich Korruption ans Licht gebracht, Täter überführt und auch Geld in geplünderte Kassen zurück befördert haben. Politiker mussten zurücktreten, Banker und Unternehmer erhielten hohe Strafen. "Ich bin ein Aktenfresser", erklärt Gunnar Greier sein Erfolgsrezept. Das sei das Wichtigste: "Man darf nicht erschrecken, wenn plötzlich fünfzig oder hundert Aktenordner vor einem stehen."
Das Material nach Beweisen und Zusammenhängen auszuwerten, mache ihm wirklich Spaß. Greier muss beurteilen, ob die eingegangenen Hinweise und von Polizei und Steuerfahndern gesammelte Dokumente ausreichen, um Anklage zu erheben oder weitere Ermittlungen anzustoßen. So türmt sich in seinem Büro viel Papier. Durchsehen ist natürlich verboten, aber Gunnar Greier hat auch so viel zu erzählen.
Am Anfang steht der Zufall
Am Anfang stünde meistens der pure Zufall, nicht etwa der anonyme Hinweis eines Tippgebers, der aus Enttäuschung Rache üben will. "Taten fallen häufig dann auf, wenn ein Korrumpierter mal krank wird oder im Urlaub ist". Dann stößt die Vertretung plötzlich auf Unregelmäßigkeiten, die mit den Vorgesetzten geklärt werden müssen. Geldbeträge stimmen nicht, Blankoformulare sind plötzlich für Genehmigungen ausgefüllt oder Preise völlig überhöht und dennoch abgesegnet. "Überall, wo eine einzelne Person einen erheblichen Ermessensspielraum hat, kann Korruption entstehen", sagt Greier.
Bei seinen Fällen aus der jüngsten Vergangenheit ging es darum, dass Mitarbeiter einer Behörde bei illegalen Handlungen von Unternehmern "mal ein Auge zudrücken" sollten. Mal war es eine verbotene Müllentsorgung, mal ein Verstoß gegen das Arbeitsrecht, über die das Amt hinweg sehen sollte. Eine Bank hatte Kredite ohne hinreichende Prüfung an Firmenchefs vergeben, die mit Vorteilen bei anderen Geschäften lockten. Dann war der gesamte Stadtrat von einem Energieversorger auf eine Gasförderplattform eingeflogen worden. Ausgerechnet kurz vor der Entscheidung über einen Versorgungsauftrag.
Das Verrückteste, an das sich Greier erinnert, war eine Fabrik, die auf dem Papier geplant und abgerechnet war, in Wirklichkeit aber nie gebaut wurde. Die Beteiligten hatten sich das tatsächlich geflossene Geld klammheimlich geteilt. Aufgeflogen ist der Fall erst, als die Lieferungen aus der vermeintlichen Fabrik auch nur auf dem Papier ankamen.
Strafen schrecken kaum
Das Strafgesetzbuch hat Gunnar Greier natürlich im Kopf. Dort ist festgelegt, dass Korruption mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden muss. "Jeder denkt natürlich, er wird nicht erwischt", sagt der Staatsanwalt. An Strafen denke deshalb kaum jemand. "Was korrupte Personen wirklich in Angst und Schrecken versetzt, ist der tiefe Fall in aller Öffentlichkeit. Der Verlust von Amt und Würden." Er hat solche Fälle öfter miterlebt. Viele Täter unterschätzten den Wandel in der Gesellschaft. Greier stellt dazu fest: "Der Grundtenor in der Bevölkerung nach vielen Skandalen ist schon: Wir möchten Korruption nicht tolerieren und sehen das nicht als Kavaliersdelikt."
Das Landeskriminalamt im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen hat im vergangenen Jahr fast 400 Ermittlungsverfahren eingeleitet. 2008 waren es noch 80. Die Zahlen bestätigen nach Ansicht der Ermittler, dass Mitarbeiter von Behörden oder Stadtverwaltungen immer häufiger sofort jeden Versuch von Bestechung melden und nicht einmal mehr Kugelschreiber oder eine spendierte Currywurst annehmen. "Es gibt leider keine exakte Bestimmung, die sagt, wo Korruption anfängt", sagt Gunnar Greier.
Keine Bodyguards nötig
Dennoch landet nicht jeder Fall vor Gericht. "Ja, es gibt sogenannte Deals", räumt Greier ohne Zögern ein. Erst kürzlich habe man ein großes Verfahren gehabt mit bis zu 1.000 verwickelten Personen. "Hätten wir die alle anklagen sollen?"
"Das schafft kein Gericht in einer vertretbaren Zeit", beantwortet er seine eigene Frage. Natürlich seien solche Deals, außergerichtliche Einigungen, nur möglich, wenn Umfang und Schwere der Taten gering waren, die Täter Reue zeigten und sich selbst angezeigt hätten. Korruption wirksam zu bekämpfen sei eben manchmal wie Schwarzbrot backen. Wenig glamourös. Aber wichtig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.
Nach einem Zehn-Stunden-Tag fährt Gunnar Greier, Vater von zwei Söhnen, mit dem Fahrrad nach Hause. Er freut sich, dass er trotz seiner heiklen Recherchen in Unternehmen und Behörden keine Bodyguards um sich herum haben muss. Die brauche er nicht, sagt Greier. "Menschen, die in Korruptionsfälle verwickelt sind, sind weder gewalttätig noch mutig."