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Politik

Desinformation in Corona-Zeiten

31. März 2020

Die Spannungen zwischen dem Westen und Russland und die Krise zwischen den USA und China gehen in Zeiten von Corona weiter. Die Pandemie wird zu einem neuen Schlachtfeld in einem schon lange währenden Informationskrieg.

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Symbolbild Twitter Fake News
Bild: Imago Images/ZUMA Press/A. M. Chang

Die Menschheit ist im Krieg, das betonen Staatenlenker immer wieder. Gegen einen unsichtbaren und doch mächtigen Feind, gerade mal einen Zehntausendstel-Millimeter groß. Aber auch wenn das Coronavirus die Lebensgewohnheiten von Milliarden Menschen umgekrempelt hat, inklusive beispielloser Einschränkungen von Freiheits- und Bewegungsrechten, des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens: Die bestehenden politischen Gegensätze in der Welt hat Covid-19 nicht außer Kraft gesetzt.

Die Spannungen zwischen den USA und China, die unterschiedlichen Interessen des Westens und Russlands, die permanenten Krisen in Nahost – sie alle haben in der Pandemie nur ein weiteres Schlachtfeld in einem schon lange währenden Informationskrieg gefunden.

Der tobt umso heftiger, weil in diesen Zeiten so viele Menschen zu Hause bleiben müssen, und dort viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringen. Schon am 2. Februar sprach die Weltgesundheitsorganisation WHO von einer massiven "Infodemie". Das Übermaß an Informationen - wahre und falsche - mache es den Menschen schwer, vertrauenswürdige Quellen zu finden. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar legte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus nach: "Fake-News verbreiten sich schneller und leichter als das Virus - und sind genauso gefährlich.” Seither ist es nicht besser geworden.

Deutschland | WHO Chef Adhanom Ghebreyesus | MSC München
Der WHO-Generaldirektor Adhanom Ghebreyesus bei der Münchner SicherheitskonferenzBild: picture-alliance/dpa/AA/A. Hosbas

Russische Desinformation

Am 22. Januar war bei Sputnik News zu lesen, das Virus sei von Menschen gemacht, eine von der NATO geschaffene Waffe. Das war die erste von EUvsDisinfo registrierte Falschinformation in Sachen Corona aus russischen Quellen. Das beim Europäischen Auswärtigen Dienst angesiedelte Projekt beobachtet seit 2015 russische Desinformationskampagnen in 15 Sprachen.

Die Falschmeldung über die Herstellung des Corona-Virus in US-Biolaboren etwa, schreiben die EUvsDisinfo-Analysten, wurde unter anderem auch von Sputniks arabischem Dienst verbreitet. Ihre USA-kritische Grundhaltung machte die Zielgruppe besonders anfällig für diese Verschwörungstheorie: Dutzende arabischer Webseiten übernahmen die vermeintliche Nachricht, darunter auch eine gefälschte BBC-Seite.

Die Fachleute bei EUvsDisinfo beobachten einen steten Strom von Desinformation aus russischen oder Kreml-nahen Medien: Die Fake News folgen immer wieder dem gleichen Muster: Das Pentagon war es; die herrschenden Eliten stecken hinter Corona; die US- Hegemonie soll gesichert werden; eine neue tyrannische Weltordnung ist das Ziel. 

In einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden internen EU-Dokument ist von einer umfassenden Desinformationskampagne die Rede. Russland wolle die Wirkung des Corona-Virus verstärken, Panik erzeugen und Zweifel säen. Vorwürfe, die Moskau umgehend dementierte.

Die Kreml-nahen Medien verbreiten dabei widersprüchliche Theorien. Mal ist die Pandemie ein Schwindel, dann wieder werden apokalyptische Szenarien gezeichnet vom Zusammenbruch des Schengen-Systems, der Auflösung der Nato oder auch dem Kollaps der baltischen Staaten. In einer Krise, in der es auf Vertrauen und Kooperation ankomme, so das Fazit der EUvsDisinfo-Fachleute, versuche die Desinformationsmaschinerie des Kreml die Solidarität zu untergraben.

Diplomatengeflüster

In den USA gibt es ein Gegenstück zu EUvsDisinfo. Angesiedelt beim Außenministerium untersucht das Global Engagement Center, GEC, neben russischer Desinformation auch Falschmeldungen und Propaganda aus chinesischen, iranischen und islamistischen Quellen. Letzten Freitag meldete sich die GEC-Sonderbotschafterin Lea Gabrielle per Videobriefing zu Wort.

Die ehemalige CIA-Agentin beschrieb ein "Ökosystem", in dem sich russische, chinesische und iranische Falschinformationen gegenseitig verstärkten: Wenn beispielsweise russische Plattformen eine Falschmeldung verbreiteten, würden diese oft von chinesischen Medien aufgegriffen. Diese wiederum würden dann von Russland retweetet, so als kämen sie direkt aus China.

Ein Beispiel für das Spielen einer Falschmeldung um mehrere Ecken bieten die Tweets eines chinesischen Diplomaten von Mitte März. Am 12. März schreibt Zhao Lijian, der Corona sei im Herbst 2019 in den USA ausgebrochen und fordert Informationen zu "Patient Null". 

Tags darauf postet der Sprecher des Pekinger Außenministeriums einen Artikels von Global Research, versehen mit dem Hinweis, den doch bitte weiter zu teilen. Die im kanadischen Montreal angesiedelte Webseite präsentiert sich als Think-Tank, verbreitet aber im Wesentlichen Verschwörungstheorien. In diesem Fall: Das Corona-Virus sei angeblich von US-Teilnehmern an den World-Military-Games letzten Oktober in Wuhan nach China eingeschleppt worden.

Falschmeldungskarussell

Der Global Research-Artikel wiederum stützt sich auf einen Beitrag der "Global Times" aus China. Das englischsprachige Kampfblatt der Kommunistischen Partei bezieht sich seinerseits auf chinesische Wissenschaftler. Wenn die dann über Umwege von einer westlichen Quelle – in dem Fall von Global Research – verbreitet werden, klingen sie deutlich vertrauenswürdiger.

Mindestens ein Dutzend chinesischer Botschaften in aller Welt verbreiteten Zhao Lijians Tweet weiter. Am Ende hatte er gut 12.000 Retweets und über 20.000 Likes.

Mittlerweile soll die chinesische Propaganda allerdings ihre Stoßrichtung geändert haben, hat das GEC beobachtet. Jetzt würden nicht mehr die USA als Urheber der Virus angeschwärzt. Stattdessen werde jetzt der Erfolg der chinesischen Behörden bei der Virusbekämpfung in den Mittelpunkt gestellt - und die USA dafür kritisiert, China als Ursprungsort des Virus zu stigmatisieren.

Corona- oder China-Virus?

In Washington legt Präsident Donald Trump großen Wert darauf, den Corona-Virus als "China-Virus" zu bezeichnen.

Sein Außenminister Mike Pompeo hält es geographisch präziser mit dem "Wuhan-Virus". Letzten Mittwoch scheiterte eine gemeinsame Erklärung der sieben wichtigsten Industriestaaten am Namensstreit.

In einer Videokonferenz der G-7 Außenminister wollten die USA die chinesische Herkunft des Virus betonen - anders als die Europäer. US-Außenminister Mike Pompeo warf China vor, Informationen zu dem Virus zurückgehalten und bewusst Falschinformationen zu den Ursprüngen der Pandemie verbreitet zu haben. "Sie waren das erste Land, das von den Risiken dieses Virus für die Welt wusste, und sie haben die Weitergabe dieser Informationen wiederholt verzögert", erklärte Pompeo.

Außerdem beklagte sich der US-Außenminister darüber, hochrangige Vertreter der Partei hätten "verrücktes Gerede" darüber verbreitet, dass die USA das Virus nach China gebracht hätten.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Sicherlich wären die US-amerikanischen Beschwerden über chinesische Vertuschungsversuche zu Beginn der Corona-Epidemie überzeugender, hätte die Trump-Administration nicht selbst wochenlang die Gefahren des Virus heruntergespielt.

Zudem: Auch hochrangige Republikaner sind sich nicht zu schade, wilde Verschwörungstheorien im Fernsehen zu äußern. Etwa im Februar Tom Cotton beim US-Sender Fox. Da insinuierte der Republikanische Senator, ein Biolabor in Wuhan sei die Quelle der Pandemie.

Iran Cornavirus Ajatollah Chamenei
Irans Geistlicher Führer Ajatollah Chamenei behauptet, das Corona-Virus sei eine Biowaffe der USABild: picture-alliance/dpa/Iranian Supreme Leader's Office

Besonders tragisch wird es, wenn Verschwörungstheorien ganz reale Folgen haben. So, als Irans geistliches Oberhaupt  Ali Chamenei in einer Rede an die Nation erklärte, Covid-19 sei eine Biowaffe der US-Amerikaner und ein US-Hilfsangebot brüsk abwies. " Niemand vertraut euch," sagte der Ayatollah an die US-Regierung gewandt.

Selbst die Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen musste unverrichteter Dinge aus Isfahan abziehen, mitsamt ihrem Hilfskrankenhaus für 50 Patienten. Hardliner sollen gegen das Engagement von Ärzte ohne Grenzen gewesen sein, weil es sich bei den Experten angeblich um westliche Spione handele. Diese Einschätzung werden einige Iraner voraussichtlich mit dem Leben bezahlen.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein