Merkel und Macron eröffnen Buchmesse
10. Oktober 2017Es ist 28 Jahre her, dass Frankreich bei der Frankfurter Buchmesse eine bedeutende Rolle spielte. Europa war noch überschaubar und geteilt, die Mauer noch nicht gefallen. Daran erinnert Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Eröffnungsfeier am Dienstagabend (10.10.17), ehe sie gutgelaunt und entspannt gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und Heinrich Riethmüller, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, mit einem Hammerschlag die Messe eröffnete.
"Nicht abschotten, um unsere Werte zu schützen"
Zwei volle Stunden hatte die Eröffnungsfeier bis zu diesem Schlusspunkt gedauert, und die Reden Macrons und Merkels waren alles andere als von Floskeln geprägt. Der philosophisch gebildete Präsident schlug einen weiten Bogen in die Geschichte, zurück zum über 80-jährigen Johann Wolfgang von Goethe und seinem blutjungen französischen Faust-Übersetzer Gérard de Nerval, um die gut nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu betonen. "Sprache wird stärker, wenn sie Vorstellungswelten aus anderen Kulturen annimmt", sagte er in seiner halbstündigen Rede.
Trotz aller grausamen kriegerischen Konflikte sei es Rache und Hass nie gelungen, die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu zerstören. Diese Kraft der Vielfalt sei wichtig für Europa. "Wir müssen uns nicht abschotten, um unsere Werte zu schützen", sagte er. "Die Identität der Sprache lebt von der Konfrontation mit anderen Sprachen. Vielfalt ist ein Reichtum." Und Macron wurde sehr konkret: "Ich will, dass unser Europa in seiner Neugründung auf den Sprachen beruht. Dass es Universitäten mit gemeinsamen Säulen gibt, an vielen Orten. Wir müssen Collèges und Gymnasien neu denken und den Bologna-Prozess für alle Jugendlichen ermöglichen."
Literatur als Orientierungshilfe in vernetzter Welt
Auf diesen Punkt nahm Angela Merkel in ihrer Rede direkt Bezug, indem sie Macron dafür dankte, dass er als eine seiner ersten Amtshandlungen die bilingualen Gymnasien wieder eingeführt habe. Auch sie betonte, wie wichtig die deutsch-französische Zusammenarbeit in und für Europa sei. Auch die deutsche Bundeskanzlerin griff historisch zurück und erinnerte an Adenauer, der die Solidarität und Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich als Voraussetzung für ein friedliches Europa hervorhob. Die Literatur spiele für das gegenseitige Verständnis und für die Suche nach einer gemeinsamen europäischen Zukunft eine wichtige Rolle. "Die Digitalisierung wird unsere Welt völlig verändern", sagte Merkel. "Aber wir werden auch immer wieder darum kämpfen müssen, unsere Wurzeln, unsere Verwurzelung ganz klar zu machen, um uns in dieser unendlich vernetzten Welt zu orientieren. Dabei kann uns die Literatur helfen. Auch wir Politikerinnen und Politiker suchen in Zeiten dieser rasanten Entwicklungen nach den Einsichten und Empfindungen von Autoren. Sie können Ideengeber und Brückenbauer sein."
Gastland Frankreich mit Rekordzahl an Autoren
Unter dem Motto "Francfort en français" ("Frankfurt auf Französisch") präsentieren sich auf der Messe 269 Verlage. Bis zum Sonntag werden auf den verschiedenen Lesebühnen rund 180 frankophone Autoren erwartet - so viele hat noch nie ein Ehrengast zur Buchmesse geschickt. Darunter sind prominente französische Autoren und Autorinnen wie Michel Houellebecq, Yasmina Reza und Virginie Despentes. Aber die Schriftsteller kommen auch aus Afrika, Haiti oder Quebec: Frankreich will seinen ganzen Sprachraum mit über 270 Millionen Menschen präsentieren.
Im Pavillon wird der Besucher durch teils haushohe Tragwerke aus Holzleisten durch die französische Literaturlandschaft gelotst. Sieben Kilometer an Leisten haben die Franzosen für den gesamten Parcours benötigt, alles wirkt hell und freundlich sowie klar strukturiert. In den Tragwerken sind 40.000 Bücher untergebracht. "Wir verstehen uns als große Bibliothek", sagt Designer Ruedi Baur, der den Pavillon zusammen mit Kunsthochschul-Studenten angelegt hat.
Eines der Themen, die der Gastlandpavillon präsentiert, ist auch die Beziehung zwischen dem Französischen und dem Deutschen. Es geht sowohl darum, welche Wörter wir aus dem Französischen über die Jahrhunderte entlehnt haben als auch darum, was die Sprachen trennt. So stellt die französische Philosophin Barbara Cassin ihr "Dictionary of Untranslatables" vor, in dem Wörter zusammengetragen sind, die sich kaum übersetzen lassen. Die frankophonen Westschweizer haben aus Genf eine Replika der hölzernen Gutenberg-Presse geschickt. Dort werden alle Autoren jeweils die erste Seite ihres letzten Buches auf Französisch und Deutsch drucken lassen.
Sabine Peschel/jhi/bb (dpa/afp/epd)