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Abgeschoben hinter Gitter

19. März 2009

Richter ordnen zu schnell Abschiebehaft an, die meist in normalen Gefängnissen abzusitzen ist, obwohl die Flüchtlinge keine Straftäter sind. Grüne und Linke brachten das Thema wieder in den Bundestag.

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Stacheldraht vor dem vergitterten Fenster einer Justizvollzugsanstalt (Foto: AP)
Statt Asyl kommt unverhofft die AbschiebehaftBild: AP

Flüchtlinge, deren Aufenthaltserlaubnis erloschen ist, müssen in Deutschland mit zwangsweiser Abschiebung rechnen. Doch davor kommen viele von ihnen in Abschiebehaft. Das Rechtsgebiet spielt sich weitgehend im Verborgenen ab, sagt Heiko Habbe vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin. Aus den lückenhaften Angaben der für die Haftanstalten zuständigen Bundesländer gehe nicht einmal hervor, wie viele Menschen in Deutschland überhaupt hinter Gittern auf ihre Zwangsrückführung warten. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst rechnet mit bis zu 10.000 Fällen jährlich.

Demonstranten mit einem Transparent auf dem steht 'Solidarität gegen Abschiebung' (Foto: dpa)
In Deutschland gibt es immer wieder Proteste gegen die Abschiebung von FlüchtlingenBild: picture-alliance / dpa

Viele treffe das Gefängnis zu Unrecht und völlig unerwartet, sagt der 37-jährige Rechtsexperte Habbe. Er zitiert den Fall eines türkischen Kurden, der unter PKK-Verdacht stand, in der Türkei von der dortigen Polizei einen Tag inhaftiert und in der Haft auch geschlagen wurde. Er floh später nach Deutschland. Hier saß er später fünfeinhalb Monate in Abschiebehaft.

Zwei Drittel Justiz-Irrtümer

Hilfsorganisationen üben seit Jahren scharfe Kritik an fehlerhaften Gerichtsverfahren und unnötig hartem Vollzug der Haft. Bis zu 18 Monaten kann in Deutschland der Aufenthalt im Abschiebeknast dauern.

Dass viele dort tatsächlich von Anfang an Opfer richterlicher Fehlentscheidungen sind, ist auch einer Statistik zu entnehmen: Zwei Drittel derjenigen Häftlinge, die von einem Anwalt der Jesuitenflüchtlingshilfe unterstützt wurden, mussten wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Rechtsexperte Habbe kennt den laxen Umgang der Richter mit den Fremden.

Da würden in den Ausländerbehörden Akten nicht angesehen, Ehepartner nicht angehört oder schnell mal übersehen, dass ein Abschiebehäftling beispielsweise ein deutsches Kind hat. "Das Ergebnis ist, dass dort jemand in Abschiebehaft sitzt, der dort nicht sitzen sollte," sagte Habbe. So geschehen im Falle eines ausreisepflichtigen Türken: Obwohl er sich vor Gericht auf sein deutsches Kind berief, wurde die Abschiebehaft angeordnet. Er kam erst nach einem kostspieligen Vaterschaftsgutachten aus der Haft wieder frei.

Union und SPD sehen nur "Einzelprobleme"

Eine neue europäische "Rückführungsrichtlinie" verlangt Änderungen. Deutschland hat zwei Jahre Zeit, die Richtlinie umzusetzen. Allerdings scheinen weder Union noch SPD die Vielzahl der gegenwärtigen Verstöße gegen europäische Standards zur Kenntnis nehmen zu wollen. Im zuständigen Innenausschuss des Bundestages wiesen Vertreter der Regierungsfraktionen Kritik von Grünen und Linken zurück und kündigten an, "noch bestehende Einzelprobleme im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zu beheben, und zwar gegebenenfalls".

Blick auf das Podium während der Pressekonferenz in Luxemburg im Juni 2008, auf der die Einigung über eine neue Rückführungsrichtlinie erläutert wurde (Foto: dpa)
Im Juni 2008 einigten sich die EU-Staaten auf eine RückführungsrichtlinieBild: picture-alliance/ dpa

Dass es sich eben nicht um Einzelprobleme handelt, macht die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Grünen im Bundestag deutlich. In allen Bundesländern mit Ausnahme von Berlin und Brandenburg müssen Abschiebehäftlinge in gewöhnlichen Justizvollzugsanstalten einsitzen und sind den gleichen Einschränkungen bei Besuchen, Post, Telefon unterworfen. Die europäische Richtlinie verlangt dagegen eine getrennte Unterbringung, da es sich nicht um Straftäter handelt.

Viele Selbsttötungsversuche

Die EU und Hilfsorganisationen kritisieren auch den Umgang mit Schutzbedürftigen. Nach den lückenhaften Angaben der Bundesländer saßen von 2005 bis 2007 mindestens 377 unbegleitete Jugendliche und 37 schwangere Frauen im Abschiebeknast.

Auch auf psychisch kranke und traumatisierte Personen werde häufig keine Rücksicht genommen, sagt Rechtsberater Habbe: "Wir sehen da schon einen gewissen Zusammenhang zu der relativ hohen Suizidrate in Abschiebehaft." Nach den Zahlen, die jetzt für den Zeitraum zwischen 2005 und 2007 vorliegen, hat es ungefähr 40 versuchte und drei tatsächlich erfolgreiche Selbsttötungen gegeben. Hinter diesen zahlreichen Versuchen steckt zwar oft keine tatsächliche Absicht sich umzubringen, wissen Psychologen. Doch wie verzweifelt müsse ein Mensch sein, der auf diese Art und Weise auf sein Schicksal aufmerksam macht, sagt Anwalt Habbe.

Autor: Bernd Gräßler

Redaktion: Kay-Alexander Scholz