Deutsche Branchen vom Brexit betroffen
24. Juni 2016Das Vereinigte Königreich ist der weltweit drittwichtigste Absatzmarkt für deutsche Exporteure - nach den USA und Frankreich, aber noch deutlich vor China. Waren im Wert von fast 90 Milliarden Euro verkauften die deutschen Unternehmen im vergangenen Jahr auf die Insel. Fast ein Drittel davon entfallen auf Fahrzeuge und Kfz-Teile, gut 15 Prozent auf chemische Erzeugnisse und 10,5 Prozent auf Maschinen.
Der Vorsitzende des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, warnte davor, beim bevorstehenden EU-Austritt des Vereinigten Königreiches die jeweiligen Märkte gegeneinander abzuschotten. In einer ersten Stellungnahme sagte er, dass niemand ein Interesse haben sollte, "mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern." Wissmann mahnte "Besonnenheit" an, auch wenn nun eine "Phase der Unsicherheit" anbräche.
Gut aufgestellte Autobauer
Der Münchener Autobauer BMW erwartet zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Aktivitäten in Großbritannien. Das Vereinigte Königreich ist für BMW nach China und den USA der drittgrößte Auslandsmarkt. Der Konzern verkauft bislang mehr als zehn Prozent seiner Autos in Großbritannien - im vergangenen Jahr waren das 236.000 Fahrzeuge. Außerdem baut BMW in England jährlich mehr als 200.000 Minis und Rolls-Royce-Limousinen und beschäftigt dort 24.000 Mitarbeiter.
VW sieht sich angesichts seiner internationalen Präsenz gut aufgestellt, um sich "an sich verändernde wirtschaftliche und politische Umstände anzupassen". Der Wolfsburger Konzern werde eng mit seinen britischen Gesellschaften zusammenarbeiten, an denen er unverändert festhalte. Im vergangenen Jahr gingen sechs Prozent des weltweiten VW-Absatzes nach Großbritannien. Die Insel ist zudem Heimat der britischen Konzernmarke Bentley Motors.
Der stark mit der britischen Wirtschaft verflochtene Autohersteller Opel setzt sich für eine schnelle Klärung der Wirtschaftsbeziehungen zum Vereinigten Königreich ein. Während der Verhandlungen müsse der Handel weiter vom freien Verkehr von Waren und Personen profitieren, erklärte der Europa-Ableger des US-Konzerns General Motors. Über seine Schwestermarke Vauxhall verkauft Opel in Großbritannien so viele Autos wie sonst in keinem anderen Land Europas.
Was ist mit den deutschen Direktinvestitionen?
Die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Vereinigten Königreich - von Fabriken bis Maschinen - summieren sich auf etwa 121 Milliarden Euro. Das entspricht rund sieben Prozent der gesamten deutschen Direktinvestitionen im Ausland. Zu den großen Investoren zählen beispielsweise die beiden Discounter Aldi und Lidl, den Energiekonzern Eon, der Versicherer Allianz und das Technologieunternehmen Siemens.
Der Energiekonzern Eon rechnet nicht mit großen negativen Folgen für sein Geschäft in Großbritannien. "Die Konsequenzen für Eon sind wohl beherrschbar", sagte Vorstandschef Johannes Teyssen. "Unser Geschäft in Großbritannien ist ein regionales." Eon hat auf der Insel rund fünf Millionen Strom- und Gaskunden.
Konkurrent RWE hofft, von den negativen Folgen eines britischen EU-Austritts verschont zu bleiben. Sollte es zu Handelshürden kommen, träfen diese RWE vermutlich nur am Rande. Die nationale Regulierung sowie die Akzeptanz vor Ort seien für den Geschäftserfolg viel entscheidender. "Daher sollten die ökonomischen Einflüsse eines Brexit auf unser Geschäft auch vergleichsweise gut beherrschbar sein", sagte Vorstandschef Peter Terium. Er selbst sei "schockiert" über die Entscheidung.
Enttäuschung und Betroffenheit
Die Lufthansa hält die Folgen angesichts eines Anteils des Britannien-Geschäfts von fünf Prozent am Gesamtumsatz für beherrschbar. "Als Europäer bin ich enttäuscht und bedauere den Austritt von GB aus der EU", sagte Vorstandschef Carsten Spohr.
Der weltgrößte Reisekonzern TUI ist zuversichtlich, als "globales Unternehmen von der Entscheidung nicht signifikant beeinträchtigt" zu werden. Welche Auswirkungen das Votum auf die Reiselust der Briten habe, sei noch nicht abzusehen.
Der Technologiekonzern Bosch will in dem Land an seinem bisherigen Kurs festhalten. "Wir haben derzeit keine Pläne, unsere Investitionen in Großbritannien zurückzufahren", erklärte Bosch-Chef Volkmar Denner. Allerdings plant Bosch ohnehin keine größeren Investitionen, vielmehr sind nach Firmenangaben kontinuierliche Ausgaben für Anlagen geplant.
Der Chemiekonzern BASF hält schnelle Verhandlungen für nötig. "Es sollte daher im Interesse beider Seiten liegen, möglichst schnell zu klären, in welcher Form die Europäische Union und das Vereinigte Königreich in Zukunft zusammenarbeiten werden", teilte Konzernchef Kurt Bock mit. Das Vereinigte Königreich bleibe ein wichtiger Markt. "Nach wie vor sind wir überzeugt, dass Großbritannien und Nordirland innerhalb der EU besser gestellt wären".
Arbeitsplätze im Vereinigten Königreich
Deutsche Unternehmen beschäftigen in Großbritannien knapp 400.000 Menschen, das ist jeder Hundertste Job dort. Die Firmen sind vor allem aktiv im Automobil- und Energiesektor, in der Telekommunikationsbranche, bei Elektronik- und Metallproduzenten sowie im Einzelhandel und bei Finanzdienstleistern. Insgesamt haben 2500 deutsche Firmen Niederlassungen auf der Insel.
Die Deutsche Bank sieht sich für mögliche Turbulenzen gut gerüstet. "Sicherlich sind wir als Bank mit Sitz in Deutschland und einem starken Geschäft in Großbritannien gut darauf vorbereitet, die Folgen des Austritts zu mildern", erklärte Konzernchef John Cryan. Die Deutsche Bank ist seit 1873 auf der Insel vertreten und hat dort derzeit gut 8000 Mitarbeiter, vor allem im Investmentbanking. Cryan, der selbst Brite ist, betonte, es schmerze ihn, dass Europa für viele seiner Landsleute "offenbar an Attraktivität verloren" habe.
dk/ul (dpa/rtr)