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Deutsche Islamisten im Irak

Jeanette Seiffert16. Juni 2014

Immer mehr Deutsche und andere Europäer kämpfen an der Seite von ISIS im Irak. Ihre militärische Bedeutung ist gering, doch die Sicherheitsbehörden sind alarmiert: Werden die radikalisierten Kämpfer im Westen zur Gefahr?

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ISIS-Kämpfer an einem Checkpoint bei Mosul
Bild: Reuters

Früher war der Berliner Denis Cuspert alias Deso Dogg in der deutschen Hip-Hop-Szene aktiv - heute kämpft er unter dem Namen Abu Talha al-Almani für die Extremistengruppe "Islamischer Dschihad im Irak und in Syrien" (ISIS). Es ist das derzeit prominenteste Beispiel eines Deutschen, der zunächst als salafistischer Prediger auftrat und dann an der Seite gewaltbereiter Islamisten in den so genannten "Heiligen Krieg" zog. Der Ex-Rapper gilt als der Anführer der Kampfeinheit "Deutsche Brigade von Millatu Ibrahim": Gegen sie ermittelt nach Informationen des Magazins "Focus" jetzt die Bundesanwaltschaft. Auch spanische Ermittler haben aktuell eine Gruppe mutmaßlicher ISIS-Terroristen festgenommen, die in Spanien versucht haben sollen, Mitstreiter für die Kämpfe in Syrien und im Irak anzuwerben.

Es ist seit Längerem bekannt, dass bei ISIS nicht nur Kämpfer aus arabischen Staaten engagiert sind, sondern auch Freiwillige aus Europa und den USA. Laut einer Studie des Londoner King's College sind derzeit 3000 Ausländer aus westlichen Staaten bei ISIS aktiv, darunter 320 Deutsche. "Es handelt sich vor allem um junge Männer, die sich offenbar angezogen fühlen von dieser Ideologie", so Falko Walde, Irakspezialist der Friedrich-Naumann-Stiftung in Amman, im DW-Interview. "ISIS gilt unter den radikalen Milizen, die in der Region unterwegs sind, als die aggressivste Gruppe. Und offenbar übt gerade das einen besonderen Reiz auf junge Menschen aus, die nach Orientierung suchen."

Salafisten als Rekrutierungsbasis

Auftritt des Salafisten-Predigers Pierre Vogel in Köln. Foto: Marco Müller/DW;
Auftritt des Salafisten-Predigers Pierre Vogel in Köln: Werben für den Dschihad?Bild: DW/Müller

Die Mehrzahl dieser Kämpfer sind Konvertiten, die sich zum Salafismus bekennen: eine besonders konservative Strömung, die einer idealisierten Vorstellung eines "ursprünglichen Islam" anhängen. Doch was bringt deutsche Teenager dazu, sich lange Bärte wachsen zu lassen und aufgrund mittelalterlicher Gebote in ein fremdes Land in den Krieg zu ziehen? Jung, männlich, schlecht ausgebildet, aufgewachsen in einem schwierigen familiären Umfeld: so sehen die Biografien gewaltbereiter Salafisten häufig aus, sagt Michael Kiefer, Islamwissenschaftler an der Universität Osnabrück.

Vermutlich müsste aber eine ganze Reihe negativer Faktoren zusammentreffen, um Jugendliche so zu radikalisieren. "Und wenn junge Menschen in einer schwierigen Entwicklungssituation dann auf andere treffen, die ihnen Anerkennung geben, Kameradschaft vermitteln, die ihnen sagen, was sie zu tun haben - dann kann dieses Leben auf einmal eine ganz dramatische Richtung nehmen," so Kiefer im Hessischen Rundfunk. "Da wird ein ganz klares Feindbild geliefert: Auf der einen Seite stehen die Guten, und auf der anderen Seite die Bösen." Von dort aus sei es dann nicht mehr weit in den bewaffneten Kampf: "Es ist natürlich die Pflicht jedes anständigen Muslims, auf der Seite der Guten zu kämpfen. Das heißt, es gibt eigentlich gar keine Wahl, zu entscheiden: Will ich das oder nicht?"

Wachsender Terrortourismus seit 09/11

Das Phänomen an sich ist nicht neu: Schon kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA registrierten deutsche Behörden, dass sich deutsche Islamisten nach Tschetschenien aufmachten, um an der Seite islamischer Terroristen gegen die Russen zu kämpfen. Erst waren es nur einige wenige, doch mit dem Krieg in Afghanistan wuchs dann die Zahl deutscher Freiwilliger, die sich unter anderem für den Einsatz in Waziristan anwerben ließen. Später wurde der syrische Bürgerkrieg zum Anziehungspunkt kampfbereiter Dschihadisten aus dem Westen.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vermutet, dass radikale Islamisten aus Deutschland mit der ISIS im Irak kooperieren: "Wenn Sie wissen, dass ISIS die gleiche Organisation ist, die auch in Syrien kämpft, dann können Sie leicht feststellen, dass europäische Kämpfer auch im Irak eingesetzt werden", sagte de Maizière vor einigen Tagen auf einer Konferenz der Innenminister aus Bund und Ländern. "Und das macht uns natürlich die allergrößten Sorgen." Äußerst vage blieb er allerdings bei der Frage, was man dagegen unternehmen will, dass deutsche Dschihadisten ungehindert in Spannungsgebiete reisen. Für den Bundesinnenminister ist es ein hochsensibles Thema: Immerhin handelt es sich überwiegend um deutsche Staatsbürger, die mit einem einfachen Personalausweis jederzeit über die türkische Grenze wieder nach Deutschland zurückkehren können - dann radikalisiert und womöglich traumatisiert, auf jeden Fall aber kampferprobt. Eine Arbeitsgruppe soll nun darüber beraten, welche rechtlichen Möglichkeiten es möglicherweise gibt, sie an einer Wiedereinreise zu hindern.

Innenministerkonferenz
Bundesinnenminister de Maizière: Deutsche Konvertiten als ProblemBild: picture-alliance/dpa

Freiwillige als Kanonenfutter?

Der Bundesverfassungsschutz jedenfalls spricht von einer "wachsenden Bedrohung" durch die Rückkehrer. Diese gelten dann hier unter ihren Glaubensgenossen als Helden: In der Islamistenszene würden bereits jetzt "Syrien-Heimkehrer wie Popstars gefeiert", so ein Ermittler gegenüber der Bild-Zeitung.

Die militärische Bedeutung der freiwilligen Kämpfer aus dem Westen in Syrien und im Irak dürfte allerdings zu vernachlässigen sein: Insgesamt verfügt ISIS über mehr als 10.000 Kämpfer, da fallen ein paar hundert kaum ausgebildete Kräfte aus Europa kaum ins Gewicht, vermutet Irakkenner Falko Walde. "Allerdings haben sie noch eine ganz andere Bedeutung für die ISIS, und zwar eine propagandistische: Es ist sehr wichtig für die Terrorgruppe, sagen zu können, dass sie nicht nur aus Kämpfern aus dem Irak, Syrien und aus den Golfstaaten besteht, sondern dass sie auch Europäer von sich überzeugen kann." Ein PR-Erfolg, den ISIS im Internet genüsslich ausschlachte: "Über die sozialen Medien verbreiten sich solche propagandistischen Botschaften rasend schnell, und das kann zur Rekrutierung weiterer Kämpfer führen."

ISIS-Kämpfer mit Gewehren. Foto: RADWAN MORTADA
ISIS-Kämpfer im Nahen Osten: Auch für den Westen gefährlich?Bild: Radwan Mortada

Rückkehrer als Sicherheitsrisiko

Vor allem aber befürchten die Sicherheitsbehörden, dass die Dschihadisten ihre Kampferfahrung aus dem Nahen Osten für Anschläge in Europa nutzen könnten. Es gebe bereits ein alarmierendes Beispiel dafür, so Falko Walde: der Anschlag auf ein Jüdisches Museum in Brüssel Ende Mai. "Er wurde von einem Kämpfer durchgeführt, der von ISIS ausgebildet worden ist. Das hat gezeigt, wie grenzüberschreitend dieser Konflikt wirklich ist."

Aus einigen Berichten wisse man, dass diese jungen Menschen bei ihrem Kampfeinsatz vollkommen indoktriniert würden: "Es geht um eine radikale, fundamentalistische Auslegung des Islam, der alle Lebensbereiche durchdringt. Und jeder, der sich dem vollkommen verschreibt, der wird vermutlich auch zu Terrormissionen in Europa bereit sein."