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"Deutsche Konsumenten tragen Verantwortung"

Jahidul Kabir22. April 2014

Vor einem Jahr ist das Fabrikgebäude Rana Plaza in Dhaka eingestürzt. Zwei Frauen aus Bangladesch sind jetzt in Deutschland, um sich für die Entschädigung der Opfer einzusetzen.

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Shila Begum und Safia Parvin (Foto: DW)
Bild: DW/J. Kabir

Shila Begum (im Bild rechts) ist eine Überlebende. Trotz schwerster Verletzungen konnte sie nach 16 Stunden aus den Trümmern geborgen werden. Über 1100 ihrer Kolleginnen und Kollegen sind gestorben.

Safia Parvin ist die Generalsekretärin der Nationalen Textilarbeiter-Vereinigung, einer Gewerkschaft, die sich für die Rechte von Textilarbeitern in Bangladesch einsetzt.

Beide Frauen sprachen mit der Deutschen Welle in Frankfurt.

Deutsche Welle: Was ist das Ziel Ihres Besuchs in Deutschland?

Safia Parvin: Wir wollen die deutschen und internationalen Marken- und Zwischenhändler, die Kleidung in dem Industriekomplex am Rana Plaza bestellt haben, dazu bringen, Entschädigungen für die Opfer der Tragödie vom 24. April 2013 zu zahlen.

Was passierte damals?

Shila Begum: Ich war die Vorarbeiterin bei Ether Tex, einer Textilfirma, die vor allem Shirts und Hosen für ausländische Kunden produziert hat. Unser Betrieb war auf der fünften Etage des achtstöckigen Gebäudes am Rana Plaza. Am 23. April entdeckten einige Arbeiter Risse in den Wänden. Wir liefen zum Manager und wollten das Gebäude verlassen. Die Chefs schlossen die Fabrik daraufhin, sagten aber, wir müssten am nächsten Tag wieder zur Arbeit erscheinen. Sonst würden wir zwei Monate lang keine Gehälter bekommen.

Am 24. April um 8:00 Uhr morgens betraten etwa 5000 Arbeiter das Gebäude. Nach einer halben Stunde fiel der Strom aus und die Notstrom-Generatoren sprangen an. Ich spürte, wie das Gebäude bebte. Dann stürzte die Decke auf mich herunter. Meine rechte Hand wurde zwischen Trümmern eingeklemmt, ein Betonpfeiler stürzte auf meinen Unterleib. Eine Kollegin starb direkt vor meinen Augen. Der Allmächtige hat mich vielleicht wegen meiner zehn Jahre alten Tochter Nipu Moni gerettet.

Nach 16 Stunden erreichten mich die Rettungskräfte und trugen mich aus dem Gebäude. Nach einer Notoperation wurde ich ins Universitätsklinikum von Dhaka gebracht, wo man meine Gebärmutter entfernte.

Zurzeit werde ich in einem Rehabilitationszentrum für Gelähmte in Savar behandelt. Obwohl es schon ein Jahr her ist, kann ich meinen rechten Arm immer noch nicht bewegen. Ich kann ihn nicht benutzen, um zu essen oder um im Haushalt zu arbeiten. Meine Tochter Nipu Moni ist Klassenbeste, aber vielleicht kann sie die Schule nicht fortsetzen, weil ich nicht in der Lage bin, die Unterrichtsgebühren zu bezahlen. Meine jüngere Schwester unterstützt mich, damit ich behandelt werden kann. Ich bekomme auch Unterstützung von der Nationalen Textilarbeiter-Vereinigung. Aber wir Arbeiter vom Rana Plaza hoffen auf ärztliche Versorgung und Entschädigung. Wir wollen einen fairen Lohn und wünschen uns ein besseres Leben, aber nichts ist geschehen.

Haben Sie irgendwelche Entschädigungen bekommen?

Shila Begum: Ich habe 45.000 Taka (ca. 420 Euro) von Firmen wie Primark und anderen bekommen. Auch andere Menschen haben etwas gegeben. Alles in allem etwa 70.000 Taka (ca. 650 Euro). Aber ich kann nicht mehr arbeiten und das Geld ist schon aufgebraucht. Vor zwei Monaten beging die Textilarbeiterin Salma Selbstmord, um ihrem ähnlichen Schicksal zu entgehen. Was erwarten die 29 ausländischen Handelsfirmen, die in Rana Plaza Textilien gekauft haben? Soll ich mich umbringen? Werden sie nicht ein wenig Mitleid haben? Ich hoffe auf Entschädigungen, damit wir weiterleben und unsere Kinder weiter zur Schule gehen können.

Was erwarten Sie von deutschen Konsumenten und internationalen Firmen, die mit der Textilindustrie in Bangladesch kooperieren?

Safia Parvin: Internationale Marken kaufen in Bangladesch billige Textilien und erwirtschaften Millionengewinne durch den Verkauf auf ausländischen Märkten. Sie können ihre Verantwortung gegenüber den Arbeitern in Bangladesch nicht ignorieren. Sie sollten ihren Einfluss nutzen, um die Fabrikbesitzer dazu zu bringen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Deutsche Konsumenten wiederum sollten Druck auf die internationalen Händler ausüben, so dass diese ihrer Verantwortung nicht ausweichen können.

Welchen Einfluss haben die Gewerkschaften in der Textilbranche in Bangladesch?

Safia Parvin: Die Gewerkschaften sind in keiner starken Position. Weniger als drei Prozent der Textilarbeiter sind Mitglied in einer Gewerkschaft. Sie können sich die Lage also vorstellen. Dennoch setzt sich die Nationale Textilarbeiter-Vereinigung für die Rechte der Arbeiter ein. Die Gewerkschaft versucht Arbeitnehmerfragen mit den Textilproduzenten, der Export-Vereinigung (BGMEA) und der Regierung zu diskutieren. Wir organisieren die Arbeiter auch, um ihren Bedürfnissen eine Stimme zu geben. Wenn es etwa zu Verzögerungen bei Lohnzahlungen kommt oder Arbeitsplätze abgebaut werden sollen, protestieren die Gewerkschaften.

Wie schwierig ist es für die Gewerkschaften, die Arbeitsbedingungen der Arbeiter zu verbessern?

Safia Parvin: Gewerkschaftsaktivisten kämpfen in Bangladesch mit vielen Problemen. Manchmal müssen wir uns mit Schlägern auseinandersetzen, die von den Fabrikbesitzern angeheuert werden, um die Gewerkschafter am Zutritt zu den Fabriken zu hindern. Manchmal unterstützt die Regierung die Fabrikbesitzer, anstatt auf Seiten der Arbeiter zu stehen. Aber die Situation hat sich ein bisschen verbessert. Die gegenwärtige Regierung scheint sich ein bisschen mehr um die Arbeiter zu kümmern.

Was konnten die Gewerkschaften bisher erreichen?

Safia Parvin: In den 80er Jahren gab es für die Textilarbeiter keinen geregelten Urlaub. Sie arbeiteten sogar am Tag der Arbeit, dem 1. Mai. Es gab keine Zuschläge für Feiertagsarbeit und keine Mutterschaftsurlaub für Frauen. Nach einem langen Kampf haben die Arbeiter von Bangladesch diese Rechte erstritten. Es ist heute auch leichter, eine Gewerkschaft zu gründen.