Deutsche Liberale kämpfen ums Überleben
21. April 2012Die Freie Demokratische Partei Deutschlands (FDP) will am Wochenende in Karlsruhe ein neues Grundsatzprogramm beschließen, an dem sie knapp zwei Jahre gearbeitet hat. Es handelt sich also um politische Leitgedanken, über die lange und intensiv diskutiert worden ist.
Allerdings liegt den Delegierten des Parteitags der Antrag eines Bezirksverbandes vor, der die Abstimmung über das neue Programm verschieben will. In der Begründung heißt es: "Der FDP fehlt es derzeit an Glaubwürdigkeit – insbesondere auf oberer Ebene." Deutlicher kann man das fehlende Vertrauen in die eigene Führung wohl kaum zum Ausdruck bringen.
Nur noch in elf von 16 Länderparlamenten
Sollte der Antrag eine Mehrheit finden, käme das einem Misstrauensvotum gleich, das den ohnehin schon schwer angeschlagenen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler weiter schwächen würde. Seit der deutsche Wirtschaftsminister im Mai 2011 die Parteispitze von Außenminister Guido Westerwelle übernommen hat, befinden sich die Liberalen im freien Fall. Zwar hatte der Abwärtstrend schon vorher eingesetzt, aber unter Rösler hat er sich gefährlich beschleunigt. Bei allen vier in seine Amtszeit fallenden Landtagswahlen landete die Partei in der außerparlamentarischen Opposition. Teilweise lagen die Ergebnisse unter zwei Prozent - für den Einzug ins Parlament sind überall mindestens fünf nötig.
Der Zustand ist grotesk: Auf Bundesebene ist die FDP Koalitionspartnerin der konservativen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auf Länderebene hingegen entwickelt sie sich mehr und mehr zur Splitterpartei. Weil sie nur noch in elf von 16 Landesparlamenten vertreten ist, schwindet ihre Bedeutung in der föderal strukturierten Bundesrepublik dramatisch. Immer weniger können die Freien Demokraten ihren Einfluss in der Länderkammer (Bundesrat) geltend machen, die bei vielen Gesetzen ein Mitspracherecht hat.
Erklärungen für den Niedergang der Liberalen gibt es viele. Vor allem haben sie seit der Regierungsübernahme 2009 immer wieder den Verdacht bestätigt, sich im Zweifelsfall für die materiell ohnehin Bessergestellten zu engagieren. Auf der einen Seite reduziert sie die Steuern für Hoteliers, auf der anderen Seite ist sie als einzige deutsche Partei grundsätzlich gegen den in fast allen industrialisierten Ländern üblichen Mindestlohn für Arbeitnehmer.
Imagewechsel nicht gelungen
Es gelingt der FDP einfach nicht, das Image der kaltherzigen Klientelpartei abzulegen, das ihr seit Jahrzehnten anhaftet. Das änderte sich auch nach dem Höhenflug bei der Bundestagswahl 2009 nicht, als die Liberalen mit knapp 15 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis erzielten und elf Jahre in der Opposition beendeten. Schon nach kurzer Zeit war der Vertrauensvorschuss aufgebraucht, weil von den versprochenen finanziellen Entlastungen in Milliarden-Höhe bei den meisten Bürgern kaum etwas ankam.
Außenminister Westerwelle wird von vielen als überfordert und zögerlich wahrgenommen. Insbesondere Deutschlands Enthaltung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) bei der Abstimmung über den internationalen Militär-Einsatz in Libyen blieb als Makel allein an Westerwelle haften, obwohl es eine Entscheidung der ganzen Regierung war. Kanzlerin Merkel sonnt sich derweil in hohen Popularitätswerten und wird insbesondere in der europäischen Schuldenkrise als entscheidungsfreudig und durchsetzungsfähig wahrgenommen.
Das Klima innerhalb der Koalition ist oft bis zum Reißen angespannt. Aktuell streiten sich Liberale und Konservative in aller Öffentlichkeit über die richtige Strategie im Anti-Terror-Kampf. Anlass ist eine von Deutschland bis zum 26. April umzusetzende Richtlinie der Europäischen Union über die Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetverbindungen. Die FDP lehnt das vehement ab, weil ihr diese Form der Überwachung als Datenschutz- und Bürgerrechtspartei viel zu weit geht. In der Bevölkerung kann die auf ihre liberale Überzeugung pochende Partei damit aber nur bedingt punkten.
Hoffen auf Lindner
In Umfragen liegt die FDP seit langem bestenfalls bei knapp fünf Prozent. Sollte sie bei den im Mai anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen scheitern, dürfte die Ära des 38 Jahre jungen Parteichefs Philip Rösler nach nur einem Jahr beendet sein.
Retten kann ihn möglicherweise der mit 33 Jahren noch jüngere ehemalige Generalsekretär Christian Lindner, der im Dezember nach zweijähriger Amtszeit überraschend zurückgetreten war, "um eine neue Dynamik zu ermöglichen". Sollte es dem charismatischen und intellektuell beschlagenen Lindner im Mai gelingen, die FDP im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen wieder ins Parlament zu führen, wäre das ein Hoffnungsschimmer für die Partei im Allgemeinen und Rösler im Besonderen.
Ein Erfolg Lindners würde der FDP aber wohl nur eine Verschnaufpause bis zur Bundestagswahl 2013 verschaffen. Sollte die Partei dann aus dem Bundestag fliegen, wäre der parteipolitisch organisierte Liberalismus in Deutschland weitestgehend ins Abseits gestellt.
Denn klassisch liberale Positionen vertreten die anderen Parteien in Deutschland nur in einzelnen Politikfeldern. So gibt es eine weitreichende Übereinstimmung im Anti-Terror-Kampf und beim Datenschutz zwischen FDP, Grünen und Linken. Wirtschaftspolitisch ähneln sich am ehesten die Vorstellungen zwischen Angelas Merkels Konservativen und den Liberalen.
Neuer Konkurrent: die Piratenpartei
In der sogenannten Netzpolitik, also den gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Internet, sind sich FDP und die erstarkende Piratenpartei relativ nahe. Diese 2006 zuerst in Schweden und noch im selben Jahr auch in Deutschland gegründete Partei schaffte inzwischen den Sprung in die Parlamente des Stadtstaates Berlin und des Saarlands. In Umfragen erzielen sie momentan Werte bis zu 14 Prozent. Manche sehen in den Piraten schon die Liberalen des 21. Jahrhunderts, weil sie für uneingeschränkte Freiheit eintreten. Diese Forderung bezieht sich allerdings nur auf die virtuelle Welt im Internet.
Liberal in einem gesamtgesellschaftlichen Sinne ist programmatisch betrachtet allein die schon 1948 gegründete Freie Demokratische Partei. Ihr Problem ist die zurzeit eklatant große Kluft zwischen Wort und Tat.
Wachstum als neues Wahlkampfthema
Dieses Glaubwürdigkeitsproblem zu lösen soll mit Hilfe des neuen Grundsatzprogramms gelingen. Der Titel des Entwurfstextes für den Parteitag an diesem Wochenende in Karlsruhe lautet "Verantwortung für die Freiheit. Freiheitsthesen für eine offene Bürgergesellschaft".
Unter Verantwortung versteht die FDP besonders, die Staatsverschuldung so schnell wie möglich einzudämmen. Damit will sie bereits 2014 beginnen und nicht erst zwei Jahre später, wie in der Regierungskoalition vereinbart. Um dieses Ziel zu erreichen setzt Partei-Chef Rösler konsequent auf Wirtschaftswachstum und daraus resultierende höhere Steuereinnahmen. Mit dieser Strategie glaubt die FDP bei den Landtagswahlen im Mai Erfolg haben zu können. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich also schon bald zeigen.