Deutsche Lobbyarbeit in Serbien
29. Mai 2018"Das neue Gesetz, sollte es in Kraft treten, würde uns veranlassen, die Einstellung all unserer Aktivitäten in Serbien in Betracht zu ziehen", steht in einem Brief, den Phillip Haussmann im März 2015 nach Belgrad schickte. Der Chef des deutschen Verlagsriesen "Klett" schrieb in diesem Ton keinem Geringerem als dem starken Mann Serbiens, Aleksandar Vučić. Der heutige Präsident Vučić war damals noch Regierungschef.
Wenn "Klett" Serbien verlasse, würden hunderte Arbeitsplätze verloren gehen und so eine schlechte Botschaft an weitere Investoren gesendet, so Haussmann weiter. Dazu erinnerte er Vučić auch an ein vermeintlich in Stuttgart stattgefundenes Gespräch, in dem der serbische Politiker angeblich die Änderung der Gesetzesnovelle in Aussicht stellte.
Es geht um viel Geld
Dabei geht es um Millionen, die "Klett" auf dem serbischem Schulbuchmarkt macht. Experten schätzen, dass das Geschäft in dem Balkanland rund 50 Millionen Euro jährlich schwer ist. Etwa die Hälfte entfällt auf den Klett-Verlag, erwirtschaftet teilweise auch durch den Zukauf serbischer Verlage.
Der damalige Bildungsminister Srđan Verbić, ein Quereinsteiger aus der Wissenschaft, hatte 2015 Großes vor: die Lehrer sollten die Schulbücher anstatt jedes Jahr für vier Jahre auswählen. Auch eine Preisbindung war geplant. Dazu wollte Verbić die gängige Praxis untersagen, dass Verlage - allen voran "Klett" - die Lehrer mit teuren Geschenken und Reisen umgarnen. Denn um die Lehrer zu beeinflussen, war es üblich, mal ein Tablet als "Lernmittel" zu schenken, mal zu einer mehrtägigen Schulbuchpräsentation an exklusive Orten einzuladen.
"Ich bin ja nicht verrückt"
Der brisante Brief wurde letzte Woche durch die Recherche von Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) öffentlich bekannt. Gleichzeitig bestätigte der Handelsminister Rasim Ljajić, dass ihm damals auch der frühere deutsche Botschafter in Serbien auf das Thema ansprach.
Auch der deutsche EU-Abgeordnete David McAllister schaltete sich auf eine Bitte von "Klett" ein, mit einem Brief an den EU-Ausschuss des Parlaments in Belgrad. "Mir wurde berichtet, dass die Möglichkeit bestehe, dass die geplante Gesetzgebung gegen den freien Wettbewerb verstoßen könnte", schrieb McAllister auf Anfrage dazu. Da ihm der Sachverhalt nicht völlig bekannt gewesen sei, habe er die serbischen Parlamentarier angeschrieben.
Kleine Geschenke unter Freunden
Ex-Bildungsminister Verbić berichtete jedoch von massivem "Druck, Drohungen und Einschüchterungsversuchen" seitens mancher Verleger. Seine Aussage vor der Agentur für Korruptionsbekämpfung von Februar 2016 ging an die Staatsanwaltschaft, die fünf Monate später entschied, dass die Verleger kein Gesetz gebrochen haben.
Auch der "Klett"-Chef Haussmann behauptet, man habe stets im Einklang mit dem Gesetz gehandelt und bloß seinen Positionen Gehör verschaffen gewollt. "Das ist selten so nötig wie es in Serbien war. Ich habe aber ganz bestimmt nicht gedroht. Ich bin ja nicht verrückt", so Haussmann gegenüber BIRN.
Die Gesetzesinitiative schaffte es im September 2015 doch durch das Parlament, wo die Fortschrittspartei von Aleksandar Vučić über eine komfortable Mehrheit verfügt. Aber die Änderungen nach dem Geschmack der Verleger ließen nicht lange auf sich warten. Nach den Wahlen 2016, als die Fortschrittspartei wieder eine satte Mehrheit der Stimmen bekam, war nun Verbić kein Minister mehr.
Sein Nachfolger zeigte sich im Februar dieses Jahres zusammen mit der Premierministerin Ana Brnabić bei einer Buchpräsentation des Klett-Verlages, im April folgte die Gesetzesänderung. Jetzt können die Lehrer wieder jedes Jahr neue Schulbücher anordnen und ganz offiziell "kleine" Geschenke entgegennehmen. Was "klein" sein soll, ist jedoch nicht definiert.
Belastung für die Eltern
Zurzeit machen Schulbuchpreise vielen Eltern zu schaffen. Ein Büchersatz, den sie in Serbien aus eigener Tasche zahlen müssen, kostet bis zu 200 Euro im Schnitt - je nach dem, welche Angebote der Verleger einzelne Lehrer angenommen haben.
Das ist eine erhebliche Belastung in einem Land, in dem vier von fünf Beschäftigten weniger als Durchschnittslohn (rund 400 Euro netto im Monat) verdienen. Und wenn sich die Schulbücher von Jahr zu Jahr ändern, ist eine Vererbung der Bücher zwischen Generationen praktisch unmöglich.
"Es mag an meiner politischen Unerfahrenheit liegen, aber ich war zutiefst von den europäischen Offiziellen enttäuscht, mit denen ich zum Thema Schulbuchgesetz gesprochen habe", sagt der frühere Bildungsminister Verbić der DW. "Statt die Bildung zu thematisieren, sprachen sie stets von 'ausländischen Investitionen und freiem Markt'. Für mich war das nicht normal."
Es sei die Gelegenheit gewesen, so Verbić weiter, die Schulbuchpreise zu begrenzen. "Anscheinend geht das nicht. Am Ende wurde das Gesetz, das von allen unabhängigen Institutionen positiv bewertet wurde, mit einem neuen ersetzt, das diese Institutionen als inakzeptabel bewerten."
Vučić schweigt
Es ist nicht das erste Mal, dass die Gesetze in Serbien wohl auf Wunsch deutscher Investoren hin geändert wurden. So etwa wurde 2015, nach dem die Großinvestition des Wurstfabrikanten "Tönnies" angekündigt worden war, die Regelung zur Vergabe von Ackerland so verändert, dass Großinvestoren Vorfahrt haben.
Die Regierungskritiker behaupten, auch das Arbeitsgesetz sei 2014 nach Gusto der westeuropäischen Investoren geändert worden, die in Serbien billige Arbeitskräfte finden und ausgiebige Subventionen aus dem staatlichen Etat bekommen.
Der serbische Präsident Aleksandar Vučić führt das Balkanland seit sechs Jahren mit eiserner Hand: die Medienlandschaft und Justiz stehen unter politischer Kontrolle, eine politische Opposition ist fast nicht existent. Vučić betont gerne, dass er sein Land in die EU führen möchte und zu schmerzhaften Reformen bereit sei.
Und noch öfter sagt er, dass er sich keinerlei Erpressung beugt, weder aus dem Osten noch aus dem Westen. Wie jedoch das umstrittene Schulbuchgesetz zustande gekommen ist? Diese Frage wollte Vučić den Journalisten nicht beantworten.