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Deutsche im Stress

Günther Birkenstock2. November 2013

Sechzig Prozent der Deutschen fühlen sich gestresst. Das hat eine Studie im Auftrag der Techniker Krankenkasse ergeben. Nicht selten ist die Belastung von den Betroffenen selbst geschaffen.

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Symbolbild Stress im Büro (Foto: Fotolia/granata68)
Bild: Fotolia/granata68

1000 Frauen und Männer in der ganzen Bundesrepublik hat das Forsa-Institut für Sozialforschung im Auftrag der Techniker Krankenkasse befragt. Die wesentlichen Ergebnisse der Studie: Vor allem Frauen leiden in Deutschland unter Stress (63 Prozent), bei den Männern sind es rund zehn Prozent weniger. Wichtigster Stressfaktor sind die Anforderungen im Beruf, direkt danach folgt der eigene Anspruch. Das Stressempfinden ist je nach Region sehr unterschiedlich. Die Menschen in den südlichen Bundesländern sind gestresster, im Norden ist man entspannter.

Stress ist keine Erkrankung

"Stress, Burnout und Depression sind heute große Themen", sagt der Psychiater Hans-Joachim Thimm, Oberarzt in der Dortmunder Spezialklinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). "Der Krankenstand in den Firmen ist wegen psychischer Erkrankungen exorbitant hoch geworden, so dass die Firmen darauf reagieren müssen. Auch die Krankenkassen tun das. Da gehen die Kosten richtig in die Höhe", erklärt Thimm im Gespräch mit der Deutschen Welle und ergänzt: "Stress ist für sich genommen überhaupt keine Erkrankung, aber durch Stress können Erkrankungen entstehen." Die Psyche und alle Teile des Körpers könnten darunter leiden, wenn man Dauerstress ausgesetzt sei, erläutert der Psychiater.

Hans-Joachim Thimm, Oberarzt für Allgemeine Psychiatrie an der LWL-Klinik Dortmund (Foto: privat)
Hans-Joachim Thimm: Burnout ist anerkannt, Depression nichtBild: privat

Entstehen könnten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magengeschwüre und Depressionen. Hier sei der größte Anstieg zu verzeichnen. "30 Prozent unserer Patienten sind von Depression betroffen." Wenn Menschen ihr Leiden als "Burnout" beschreiben, wird Thimm hellhörig. "Viele Menschen mögen den Begriff Burnout lieber, weil, es ja etwas Tolles ist, wenn man sich für seinen Betrieb ausbrennt. Die Depression ist nicht so anerkannt wie das Burnout-Syndrom. Deswegen gucken wir da genauer hin." Eine wichtige Analyse, denn Burnout-Patienten benötigen meist eine andere Therapie als Depressive.

Burnout ist ein Modewort und trotzdem real

Dass mehr Frauen als Männer angeben, unter Stress zu leiden, wundert Thimm nicht. Sie litten immer noch stark unter ihrer Doppelbelastung durch Familie und Beruf, würden schlechter bezahlt und hätten weniger Aufstiegschancen. Hinzu komme das unterschiedliche Rollenverhalten. Frauen suchten meistens die Gründe für Schwierigkeiten eher bei sich. Männer eher bei den anderen.

Auch wenn der Begriff Burnout heute oft leichtfertig benutzt werde, das Phänomen der zunehmenden körperlichen und geistigen Überlastung existiert nach Einschätzung von Hans-Joachim Thimm tatsächlich. Die Gründe dafür lägen auf der Hand: Arbeitsverdichtung, eine Fülle neuer Technologien, schnellere Arbeitsabläufe, die Forderung nach ständiger Verfügbarkeit. Oft, so Thimm, sei die Überlastung allerdings selbstgeschaffen. Perfektionismus produziere Dauerstress. Das Rezept des Psychiaters: "80 Prozent reichen, nicht alles selbst machen, aufteilen, delegieren, Frühwarnzeichen beachten, Erfolge feiern und sich belohnen." Wer etwas schaffen wolle, müsse fröhlich sein.

Frau mit vier Armen hält Laptop, Mobiltelefon und Taschenrechner in Händen
Besonders Frauen fühlen sich durch die Doppelbelastung von Familie und Beruf gestresst

Zu wenig Freiräume

Auch Günter Koch, Geschäftsführer der Deutschen Psychologen Akademie, sieht zu hohe Ansprüche als häufigen Grund für Stress. Das sei auch im Familienleben zu beobachten, betont der Psychologe im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Bis vor 20 Jahren haben sich die Kinder dem Lebensrhythmus der Eltern anpassen müssen. Heute ist es so, dass sich die Eltern dem Lebensrhythmus der Kinder anpassen und neben ihren sonstigen Pflichten auch noch Chauffeur-Dienste übernehmen oder die Kinder bei ihren Freizeitaktivitäten betreuen."

Dr. Günter Koch Psychologische Hochschule Berlin gGmbH (Foto: privat) +++ Nur im Zusammenhang mit dem Online-Artikel "Stress" zu verwenden. +++
Günter Koch: Wir brauchen Freiräume, in denen kein Handy klingeltBild: Privat

Außerdem zeigten jüngste Untersuchungen, dass es zu inneren Spannungen führt, wenn man Vorgänge nicht abschließt und Dinge nicht zu Ende denkt. "Durch die vielen Kommunikationseinheiten, die wir am Tag zu bearbeiten haben, Mails, SMS, Chats usw., werden Abläufe ständig unterbrochen." So kämen die Menschen nie zum Ziel und nicht zur Ruhe. Koch empfiehlt: weniger Anspruch an sich und die Familie und Freiräume schaffen. Freiräume, in denen kein Handy klingeln kann.

Mit Aufklärung gegen Stress

Um den Deutschen aus ihrer Stressfalle herauszuhelfen, haben viele Krankenkassen Präventionspläne entworfen. "Wir müssen schon in den Schulen ansetzen, aber auch in den Betrieben, um dort den Beteiligten beizubringen, wie kann ich mit dem, was ich persönlich als Druck empfinde, umgehen", sagt Dorothee Meusch, Pressesprecherin der Techniker Krankenkasse. Es gehe darum, beispielsweise in Schulen Mobbing zu verhindern. Unternehmen empfiehlt die Kasse, ihre Arbeitszeitmodelle zu überdenken. "Warum ist es heute noch so selten, dass auch eine Führungskraft in Teilzeit arbeiten kann? Warum kann ich meine Arbeitszeit nicht auch den Lebensphasen anpassen?" Hier könne und müsse sich noch einiges ändern, meint Meusch. Allerdings sieht die Krankenkassen-Vertreterin nicht nur die Arbeitgeber in der Pflicht. Die Angestellten müssten sich einen Ausgleich für den Druck am Arbeitsplatz in ihrer Freizeit schaffen. Inseln der Entspannung. Denn eine Arbeit ganz ohne Stress könne es nicht geben.

Dorothee Meusch, Pressesprecherin Techniker Krankenkasse (Foto: privat/TK)
Dorothee Meusch: Neue Arbeitszeitmodelle können Stress vermeidenBild: privat (TK)