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Katja Petrowskaja: Bachmann-Preisträgerin 2013

Holger Heimann10. Juli 2013

Die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja erzählt im DW-Gespräch von ihrem Ringen mit der fremden Sprache. In der Ukraine geboren, empfindet sie das Schreiben auf Deutsch als kämpferischen Akt.

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Die Journalistin und Buchautorin Katja Petrowskaja in Berlin (Foto: Imago/gezett)
Bild: Imago/gezett

DW: Wann haben Sie während der Tage in Klagenfurt zum ersten Mal gedacht, dass Sie den Bachmann-Preis gewinnen könnten?

Katja Petrowskaja: Als ich die Bühne betrat, habe ich ein paar wache Menschen gesehen und Akzeptanz gespürt. Das hat es mir leichter gemacht. Die Einladung, in Klagenfurt zu lesen, bedeutete für mich schon weit mehr, als ich gehofft hatte. Ich weiß durchaus, dass man nach meinem Text ein bisschen betäubt ist, weil er so laut in die Posaune der Katharsis bläst. Das hat wohl auch das Urteil der Jury beeinflusst. Denn es gab andere Texte, die literarisch interessanter sind als mein eigener.  

Sie sind Journalistin, haben eine Kolumne in einer Wochenzeitung. Was hat Sie zum literarischen Schreiben gebracht?

Was ich mache, bezeichne ich nicht als Literatur. Als ich ungefähr 38 Jahre alt war, schien es mir einfach an der Zeit, meine Familiengeschichte aufzuschreiben. Das ist natürlich nicht sehr originell, das machen alle. Überraschend für mich selbst war dabei, dass ich deutsche Sätze gebildet habe. In dem Konglomerat sowjetisch-jüdischer Geschichte, das sich vor mir auftat, bin ich immer wieder ungewollt über den Krieg gestolpert. Ich wusste nicht, warum und wozu. Denn mein Plan war es eigentlich gewesen, etwas Friedliches zu schreiben. Die deutsche Sprache kam da einer Befreiung gleich.

Katja Petrowskaja (L), und Benjamin Maack beim Bachmann-Wettbewerb 2013 in Klagenfurt (Foto: dpa)
Katja Petrowskaja und der Schriftstellerkollege Benjamin Maack in Klagenfurt 2013Bild: picture-alliance/dpa

Wie das?

Wenn man über diese Zeit auf Russisch schreibt, ist man unweigerlich in einem moralischen Diskurs von Sieg und Opferbereitschaft gefangen. Von der gleichen Begebenheit in deutschen Worten zu berichten, bedeutete hingegen, sich ein deutsches Gegenüber zu imaginieren. Und so konnte ich davon erzählen, dass die Geschichte von Opfer und Täter für mich passé ist. Wenn man die Rollenfestlegung immer weiter trägt, bleibt man unweigerlich in diesen Rollen stecken, ohne etwas zu verstehen.

Was bedeutet es für Sie, auf Deutsch zu schreiben - in einer Sprache, in der Sie nach eigener Auskunft noch "minderjährig" sind?

Ich schreibe gemeinsam mit zwei anderen Menschen - mein Mann korrigiert alle meine Fehler, eine Freundin ist meine erste Lektorin. Ohne diese Menschen könnte ich nicht agieren. Zwar spreche ich ganz gut deutsch. Aber das Schreiben ist doch etwas anderes. Ich nenne das ganz bescheiden "mein Kampf". Es ist ein Kampf mit dieser Sprache. Doch gerade die Schwierigkeit impliziert eine gewisse Qualität. Mein Schreiben muss schwierig und kompliziert sein. Ich habe, um diese Sprache zu lernen, zehn Jahre Leben in die Luft geschossen. Vielleicht war dieses Opfer zu groß. Mein Wunsch ist es, einmal in beiden Sprachen sehr unterschiedliche Texte zu schreiben. Ich weiß nicht, wie es sich weiterentwickelt. Einige Texte für mein Buch sind auf Russisch oder im Gewühl zwischen den Sprachen entstanden. Sie sind ein Delirium zwischen den Sprachen. Ich habe es gespürt, das leicht Gestörte und Nicht-Funktionierende. Genau das ist meine Stimme.

Ihr Bachmann-Text "Vielleicht Esther", in dem die Erzählerin den Mord an ihrer Ur-Großmutter durch die SS zu rekonstruieren versucht, ist also Teil Ihrer Familiengeschichte?

Ja, der gesamte Erzählband, der unter dem Titel "Vielleicht Esther" im März 2014 im Suhrkamp Verlag erscheint, ist als Familienbuch gedacht. Ich hatte sehr viel recherchiert, bis ich verstand, dass ich die Wahrheit in einem historischen Sinn überhaupt nicht brauche. Dass ich sogar meine Familie nicht brauche, aber dafür war es zu spät. Nun bleibt abzuwarten, ob ich mich vom Familiären trennen und mich reiner Fiktion widmen kann.

Das AKW Tschernobyl (Foto: DW/Yevgen Teyze)
Nach der Katastrophe von Tschernobyl verließen die Eltern von Katja Petrowskaja die HeimatBild: DW/Y.Teyze

Sie wurden in Kiew geboren, haben in Estland studiert und in Moskau promoviert. Seit 1999 leben Sie in Berlin. Was hat Sie nach Deutschland geführt?

Ich habe in Kiew Mitte der 90er Jahre einen deutschen Mann kennengelernt. Er hat mich für eine kurze Reise sofort mit nach Berlin genommen. So stand ich am Potsdamer Platz wie ein Zitat aus dem Wenders-Film "Himmel über Berlin". Was mich am meisten angezogen hat, war diese Unbestimmtheit, der rohe Zustand, dieser leere Raum. Die Begegnung mit einem Teenager mag so ähnlich sein: Man sieht diesen Menschen und weiß nicht, was aus ihm wird. Das ist unheimlich spannend. Gerade die Zerstörung hat Berlin so faszinierend gemacht, so frei für Neues und so friedlich. Es ist ein faszinierender Raum, der aus der bewussten Bewältigung des Krieges entstanden ist. In Moskau spürte man seinerzeit schon das Getrampel von Putin. Ich konnte da nicht bleiben. Mein deutscher Mann wollte in Moskau leben. Ich habe ihn nach Berlin verfrachtet.

Was ist Heimat für Sie?

Ich bin ein Mensch aus einem Road-Movie, der kein Auto fahren kann. Heimat ist für mich eine Gegend, durch die man reisen kann, wo man aber keine Wurzeln schlägt.

Im Vorjahr hat Olga Martynowa den Bachmann-Preis erhalten, auch sie ist in der Sowjetunion aufgewachsen. Ist die Erfahrung verschiedener Kulturen und Sprachen von Vorteil für das Schreiben?

Vielleicht ja, weil Entfremdung immer etwas ausmacht. Es ist unheimlich interessant, dass viele Autoren, deren Muttersprache eine andere ist, auf Deutsch schreiben. Womöglich hat das auch mit Moden zu tun. Aber fest steht auch, es gibt etwas unglaublich Attraktives an diesem Land. Nur vermittels der großen Deutschland-Sehnsucht der Ausländer können Deutsche das vielleicht verstehen.