Deutsche Waffen können in Kinderhände gelangen
12. Februar 2014"Bei Angriffen wurden wir meist als Erste eingesetzt", berichtet der ehemalige Kindersoldat Michael D. in Berlin. "Oft wurden wir vorgeschickt und mussten im Kugelhagel losstürmen." Als Jugendlicher wurde Michael in seiner Heimat Sierra Leone zum Kämpfer gemacht und fünf Jahre lang gegen Rebellentruppen eingesetzt. So wie er wurden während des Bürgerkriegs im westafrikanischen Land zwischen 1991 und 2001 Tausende Jungen und Mädchen verschleppt und auf beiden Seiten als Soldaten eingesetzt. "Die Kinder wurden von ihren Eltern abgeworben oder aus der Schule entführt", berichtet Michael auf einer Pressekonferenz anlässlich des internationalen Aktionstags für Kindersoldaten. Sie seien gezwungen worden, sich an einem Krieg zu beteiligen, von dem sie nichts wussten. "Mit Drogen und Alkohol wurden wir gefügig gemacht", erinnert er sich.
Michael D. konnte entkommen. Er floh und gelangte über die Elfenbeinküste und Frankreich nach Hamburg, wo er vor 13 Jahren aufgenommen wurde. Heute lebt er in Bremen und engagiert sich im Kampf gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten.
"Weltweit sind mehr als 250.000 Kindersoldaten im Einsatz", sagt Antje Weber, Kinderrechtsexpertin der Organisation "Kindernothilfe". Sie seien Kämpfer, Träger, Köche oder Spione. Oft würden sie auch sexuell missbraucht. An den seelischen und körperlichen Folgen litten sie häufig ein Leben lang.
Michael D. hatte Glück. Wegen seines extrem aggressiven Verhaltens in der Schule wurde ein Lehrer auf ihn aufmerksam und schaltete eine Hilfsorganisation ein. So erhielt er eine Therapie und konnte seine Kriegstraumata aufarbeiten. Doch nur wenigenKindersoldaten gelingt die Flucht. Deutschland nahm 2012 rund 4300 minderjährige Flüchtlinge auf, die ohne Begleitung von Angehörigen ankamen. Nach Schätzungen waren 100 bis 150 von ihnen Kindersoldaten. Es ist möglich, dass auch sie mit deutschen Waffen gekämpft haben.
Tödliche Kleinwaffen
Im blutigen Bürgerkrieg in Sierra Leone zum Beispiel kam auch das Schnellfeuergewehr G3 der deutschen Firma Heckler und Koch zum Einsatz. Es ist heute nach der Kalaschnikow das am weitesten verbreitete Sturmgewehr der Welt. Inzwischen wird von der deutschen Waffenschmiede mit dem G36 ein nur noch 3,6 Kilo schweres Nachfolgemodell dieses Verkaufsschlagers produziert. Es ist eine Standardwaffe der Bundeswehr, taucht aber auch in Krisengebieten auf. "Wegen seines geringen Gewichts eignet es sich besonders gut für Kindersoldaten", erklärt Weber.
Der südafrikanische Buchautor Andrew Feinstein ist Experte für das Thema globaler Waffenhandel. Vor zwei Jahren hat er darüber das Buch "Waffenhandel, das globale Geschäft mit dem Tod" geschrieben. Auf 800 Seiten berichtet er über Auftraggeber, Drahtzieher und Profiteure. "Heckler und Koch beschäftigt zwar nur 700 Arbeiter", sagt er in Berlin, "es ist aber vermutlich das tödlichste Unternehmen Europas". Mit den von Heckler und Koch hergestellten Waffen sterben Schätzungen zufolge pro Tag 100 Menschen, erläutert Ralf Willinger von der Kinderhilfsorganisation "terre des hommes".
Im Jahr 2012 wurden laut Rüstungsexportbericht der Bundesregierung 66.955 Ausfuhren für Kleinwaffen aus Deutschland genehmigt, doppelt so viele wie 2011 und mehr als je zuvor.
Korruption im Waffenhandel
"Deutsche Waffenexporte stecken in einem Sumpf von Korruption und Schmiergeldern mit extrem engen Verbindungen zwischen Herstellerfirmen, Waffenhändlern, der Regierung, Politikern und politischen Parteien", sagt Experte Feinstein. Er selbst hat vergeblich versucht, ein Waffengeschäft der südafrikanischen Regierung mit deutschen Rüstungsfirmen zu überprüfen. Damals war Feinstein Abgeordneter des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) im Parlament von Pretoria. Seine Nachforschungen wurden jedoch vereitelt. 2001 legte er aus Protest gegen die undurchsichtigen Waffengeschäfte sein Mandat nieder.
"Wir hatten dabei zehn Milliarden US-Dollar für Waffen ausgegeben, die wir nicht brauchten und die wir bis heute so gut wie nicht benutzen", erzählt er. Zur gleichen Zeit habe die Regierung den fast sechs Millionen HIV-Infizierten und Aids-Kranken Südafrikas mit dem Hinweis auf knappe Kassen lebensrettende Medikamente verweigert. 365.000 Menschen seien einer Studie zufolge gestorben. Von dem Geschäft profitiert hätten Politiker, Beamte und Parteien in Südafrika, darunter auch der ANC. Mehr als 300 Millionen US-Dollar seien an Bestechungsgeldern geflossen. Allein die beiden deutschen Rüstungsschmieden ThyssenKrupp und Ferrostaal hätten zusammen 62 Millionen US-Dollar Schmiergeld bezahlt, so Feinstein.
Waffenexporteur Deutschland
Deutschland gilt inzwischen als drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Zu den Hauptabnehmern deutscher Rüstungsgüter gehört Saudi-Arabien. Im Jahr 2012 genehmigte der deutsche Staat Waffenlieferungen im Wert von 1,2 Milliarden Euro an den Golfstaat. Er bezieht aus Deutschland neben schwerem Gerät auch Kleinwaffen, wie das G36. Seit kurzem kann Riad sogar selbst G36-Gewehre produzieren, denn mit Genehmigung der Bundesregierung wurde eine komplette Produktionsanlage in dem Königreich aufgebaut.
Darüber hinaus hat Saudi-Arabien Interesse an deutschen Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 und an U-Booten bekundet. Derzeit wird außerdem über die Lieferung von 33 Patrouillenbooten verhandelt. Der Deal soll mit staatlichen Hermes-Bürgschaften abgesichert werden. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel verteidigte das Vorhaben. Die Boote dienten zur Grenzsicherung und könnten nicht zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung eingesetzt werden, sagte er. Dem widerspricht Feinstein energisch. Rüstungsgüter seien leicht umzubauen und für andere Zwecke als für die Landesverteidigung einsetzbar. Außerdem hätten die Verkäufer in der Regel keinerlei Einfluss auf den Verbleib der Waffen, die an Drittstaaten oder an Rebellengruppen weitergegeben werden könnten.
Am Mittwoch (12.02.2014) protestierten in ganz Deutschland Schulen und Jugendeinrichtungen am internationalen Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten, dem sogenannten "Red Hand Day", gegen den Einsatz minderjähriger Kämpfer. Dazu überreichen sie Politikern und Medien einen roten Handabdruck.