Wirtschaft warnt vor Verschärfung der Sanktionen
22. Juli 2014Entschlossenheit gegenüber dem Kreml zeigen und gleichzeitig den Schaden für die eigene Wirtschaft überschaubar halten - das ist die Herausforderung, der die europäischen Staats- und Regierungschefs nach dem Abschuss von Flug MH17 gegenüber stehen. Während sich die USA schon seit längerem von der EU drastischere Maßnahmen im Umgang mit dem Kreml wünschen, warnen Wirtschaftsverbände vor den unüberschaubaren Folgen schärferer Sanktionen.
"Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab. Wenn wir das auf den deutsch-russischen Handel runterbrechen, haben wir immerhin 300.000 Arbeitsplätze, die von diesem Handel betroffen sind", sagt Volker Treier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie und Handelskammertags (DIHK), im DW-Gespräch. "Es gibt viele Unternehmen, die enorm viel in Russland investiert haben. Müssen die nun bezahlen für einen politischen Konflikt? Als Wirtschaftsvertreter kommen mir da Zweifel, und diese Zweifel müssen wir artikulieren."
Sanktionen schon spürbar
Schon die bisher beschlossenen Maßnahmen, die in der öffentlichen Wahrnehmung als sehr zurückhaltend empfunden wurden, hätten eine deutliche Auswirkung auf die Wirtschaft gezeigt. "Wir hatten in den ersten fünf Monaten des Jahres einen Rückgang der Exporte nach Russland um über 13 Prozent", so Treier.
Russische Unternehmen würden sich angesichts der ungewissen Lage nun verstärkt Partnern in anderen Regionen der Welt zuwenden. "Wir wissen durch die Erfahrungen der deutschen Auslandshandelskammern, dass russische Geschäftspartner sich insbesondere nach China umsehen." Auch wenn die Chinesen meist nicht die gleiche Qualität liefern könnten, wie deutsche Unternehmen, würde dort nun neuer Handel entstehen.
Mittelstand besonders betroffen
Auch der deutsche Mittelstand warnt vor schärferen Sanktionen gegen Russland. "Bei einem Wirtschaftskrieg mit Russland gäbe es nur Verlierer", so der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, in einem Interview. "Ein Embargo oder ähnliche Zwangsmaßnahmen gegen Russland würden vor allem viele unserer exportorientierten Mittelständler treffen."
Die Mehrzahl der etwa 6300 deutschen Unternehmen, die sich auf dem russischen Markt engagieren, sind laut Ohoven Klein- und Mittelbetriebe. 98 Prozent der rund 350.000 deutschen Exporteure seien mittelständische Firmen, und auf jede vierte Firma davon würden Wirtschaftssanktionen zurückschlagen.
Der Druck der deutschen Wirtschaft auf die Bundesregierung, bei der Ausweitung der Sanktionen mit äußerster Zurückhaltung vorzugehen, ist also groß. Die Außenminister der EU verständigten sich am Dienstag (22.07.2014) in Brüssel darauf, dass die EU-Kommission bis Donnerstag Vorschläge erarbeitet, gegen welche Personen oder Firmen nun zusätzlich Sanktionen verhängt werden sollen.
Balanceakt für die Politik
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte im Vorfeld des Treffens "schärfere Maßnahmen" der Europäischen Union gefordert. Die EU habe sich stets um einen Dialog und eine Entschärfung der Lage bemüht, sagte Steinmeier in Brüssel vor einem Treffen der EU-Außenminister. "Gleichwohl hat Russland seine Verabredungen nicht in dem erforderlichen Maße erfüllt", kritisierte Steinmeier und fügte hinzu: "Daraus müssen wir und werden wir unsere Schlüsse ziehen." Details nannte er jedoch nicht.
Sollte sich die EU irgendwann zu einer sektorübergreifenden Ausweitung von Sanktionen entscheiden, fürchtet die Wirtschaft Gegenmaßnahmen der Russen."Wir würden dann extreme Vergeltungsmaßnahmen ernten und in eine Sanktionsspirale hereinlaufen", glaubt Treier. "Die Politiker müssen der Wirtschaft und der Bevölkerung dann auch erklären, wie es hier in Deutschland weitergeht." Schließlich sei Deutschland in hohem Maße abhängig von Erdgasimporten aus Russland. "Diese Frage muss dann auch adressiert werden."