Deutscher Export in Gefahr?
21. Oktober 2016Gute Aussichten für Ruheständler und Berufstätige in Deutschland: Auch im kommenden Jahr werden die Löhne und Gehälter weiter steigen und die Renten deutlich zulegen, sagen führende Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten voraus. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist nach wie vor historisch günstig. Im September sank die Zahl der Menschen ohne Job auf den niedrigsten Stand seit März 1991.
Doch hinter dieser glänzenden Fassade bröckelt die Substanz. So laufen die Löhne der Produktivität davon - eine Entwicklung, die sich bislang noch im grünen Bereich bewegt, auf Dauer gesehen aber unangenehme Folgen haben könnte. "Bisher ist die Industrie noch relativ gut damit gefahren, dass wir steigende Lohnstückkosten haben, die Produktivität also langsamer steigt als die Arbeitskosten", sagt Christoph Schröder, Arbeitsmarkt- und Tarifexperte beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im Gespräch mit der DW.
Günstige Rahmenbedingungen
Niedrige Rohstoffpreise und auch der niedrige Euro, der deutsche Waren im Ausland verbilligt, hätten bislang negative Folgen überteuerter Lohnstückkosten für die Exportwirtschaft verhindert. "Wenn diese günstige Phase vorbei geht, dann laufen wir Gefahr, an Wettbewerbsfähigkeit und damit an Arbeitsplätzen zu verlieren", so Schröder.
Denn auch ein globaler Investitionsboom neige sich dem Ende zu. Vor allem die Schwellenländer hätten fleißig Investitionsgüter wie langlebige Maschinen und Anlagen bei deutschen Herstellern eingekauft - auch aufgrund der verhältnismäßig günstigen Preise. Wäre Deutschland nicht Teil der Euro-Währungsunion, würde eine eigene Landeswährung vermutlich viel höher notieren, Exportgüter wären deutlich teurer.
Marktanteile gehen verloren
IW-Expert Christoph Schröder hat den Zusammenhang zwischen der Exportleistung und der Entwicklung der Lohnstückkosten im Vergleich zu anderen Ländern untersucht. Er ist sich sicher, dass ein Land, das sich bei den Lohnstückkosten schlechter entwickelt als andere Länder, in der Regel auch Marktanteile verliert. Deutschland habe sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert, so Schröder.
Der Experte beruft sich bei seinen Überlegungen auf die sogenannte "Exportperformance" - ein von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geprägter Begriff. Hierbei werden für alle Zielländer, in die ein Land exportiert, zunächst einzeln die Marktanteile des exportierenden Landes berechnet. Die Ergebnisse einzelner Länder werden dann mit konstanten Gewichten zusammengefasst. Steigende (gewichtete) Marktanteile bedeuten einen Anstieg der Exportperformance.
Schlüsselbegriff "Exportperformance"
Damit werden Struktureffekte ausgeschaltet, die etwa dadurch entstehen können, dass ein Land besonders viel in ein Zielland exportiert, das sehr dynamisch wächst – wie beispielsweise China. Es könnte dann dort und in allen anderen Ländern Marktanteile verlieren aber trotzdem seinen (ungewichteten) Weltmarktanteil erhöhen. Die Exportperfomance würde indes sinken.
Die OECD prognostiziert für 2016 einen Rückgang der deutschen Exportperformance von 1,6 Prozent - das wäre im Euroraum hinter Griechenland der stärkste Rückgang. Für 2017 rechnet die OECD für Deutschland mit einem weiteren Marktanteilsverlust, während es bei den übrigen Ländern des Euroraums, ausgenommen Finnland und Estland, wieder aufwärts gehen soll.
Schröder sieht einen engen Zusammenhang zwischen der schlechteren Exportperformance und kräftigen Lohnsteigerungen ohne einen entsprechenden Produktivitätszuwachs.Höhere Löhne hätten zwar auch eine wichtige Bedeutung für die Volkswirtschaft, weil sie die Kauflaune der Konsumenten steigern und damit das Wirtschaftswachstum unterstützen. "Wenn man aber den Bogen überspannt", warnt Schröder, " gehen Arbeitsplätze verloren - nämlich dann, wenn man die Kosten nicht mehr tragen kann mit den Mitteln, die man erwirtschaften muss. Und das hat letztendlich einen viel stärkeren Effekt auf den Konsum als höhere Löhne".
Forschung und Entwicklung fördern
Schröder fordert, das Preisbewusstsein zu schärfen und darauf zu achten, dass die Löhne nicht so stark der Produktivität davonlaufen. Deutschland müsse dabei weiterhin auf Innovationen setzen, um auch technisch vorne zu sein. "Die Politik kann helfen, indem sie beispielsweise Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen fördert oder indem sie die Infrastruktur ausbaut und es damit erleichtert, kostengünstiger zu produzieren."