Deutsches Schwimmen am Tiefpunkt
11. August 2016Für Chefbundestrainer Henning Lambertz gibt es aus der ständigen Olympia-Tristesse der deutschen Schwimmer nur einen Ausweg: "Das System muss sich ändern, sonst sind wir im Leistungssport nicht mehr existent." Denn nach Weltrekordler Paul Biedermann und Europameister Franziska Hendtke versagte nun auch Marco Koch. Sein siebter Platz über 200 Meter Brust ist nicht nur für Koch selbst eine Riesen-Enttäuschung. Es ist der nächste Schlag ins Gesicht des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV).
Ex-Weltmeisterin Franziska van Almsick sprach sich in der ARD für "einen massiven Kurswechsel" im (DSV) aus: "Davon reden wir seit Jahren." Und Freiwasser-Rekordweltmeister Thomas Lurz kritisierte: "Die Strukturen sind unprofessionell." Vor allem die langjährige Präsidentin Christa Thiel, die mit einem Rückzug im Herbst liebäugelt, steht in der Kritik. Seit 2000 haben deutsche Athleten bei fünf Olympischen Spielen in der Kernsportart Schwimmen lediglich zehn Medaillen gewonnen - bei den letzten drei Spielen sind sie sogar nur noch zwei Mal auf Treppchen gestiegen.
"Die Fans tun mir leid"
In Rio sieht es noch finsterer aus. Gut möglich, dass die deutschen Schwimmer diesmal bei der Medaillenvergabe komplett leer ausgehen "Am meisten tun mir die Fans leid, die nachts um drei aufstehen, um sich so was anzuschauen. Das kann es ja nicht sein", sagte Lambertz. Aufgeben wolle er aber nicht: "Ich denke nicht darüber nach, das sinkende Schiff zu verlassen", betonte der 45-Jährige. "Aber auch ich muss mich ja hinterfragen und will auf keinen Fall Schuld von mir weisen." Er will die deutschen Schwimmer bis 2020 in Tokio zurück in die Weltspitze führen. Nach dem Desaster im Olympic Aquatics Stadium fällt es schwer, an dieses Projekt zu glauben.
"Es hat sich nichts getan", bilanzierte auch Thomas Lurz, zwölfmaliger Schwimm-Weltmeister, der im vergangenen Jahr seine Karriere beendet hatte. "Wir spielen im Schwimmsport keine Rolle mehr". Der Olympiazweite von 2012 über zehn Kilometer attackierte die Verantwortlichen im DSV: "Es fehlt die Transparenz. Keiner weiß, wo es langgeht." Chefbundestrainer Lambertz wünscht sich mehr Geld für seine Sportart und forderte einen Austausch mit Verband und den Geldgebern Innenministerium und DOSB: "So kann es nicht weitergehen."
Olympische Bedeutungslosigkeit
Doch Fördersituationen für den Sportnachwuchs wie in den USA oder Australien sind in Deutschland nicht absehbar, zentralistische Sportprogramme wie in Russland und China nicht durchsetzbar. Neue Ideen und Lösungskonzepte müssen also gefunden werden. Immerhin: In der Nachwuchsarbeit des DSV wurden in den vergangenen Jahren - etwa mit der Bildung eines Perspektivteams - Änderungen angestoßen. Ob die sich in vier Jahren bei den Spielen in Tokio auch auszahlen, ist fraglich. Wenn nicht, dann versinkt der deutsche Schwimmsport endgültig in der olympischen Bedeutungslosigkeit.