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Deutschland auf Partnersuche in Südostasien

Christina zur Nedden Singapur
17. November 2022

Deutschland will sich von China lösen und sucht neue wirtschaftliche und politische Partner in Südostasien. Andere Länder sind viel früher aktiv geworden und haben bereits Bündnisse geschmiedet.

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Olaf Scholz (l.) und Pham Minh Chinh, der Premierminister Vietnams, beim Handschlag vor deutschen und vietnamesischen Flaggen
Bundeskanzler Olaf Scholz wird in Vietnam von Premierminister Pham Minh Chinh empfangenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Dass sowohl der deutsche Bundeskanzler als auch der Vize-Kanzler gleichzeitig nach Singapur reisen, hatte es noch nie zuvor gegeben. "Wir müssen unsere Handelspolitik neu aufstellen", sagte Robert Habeck auf der Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft (APK) am vergangenen Wochenende. "Der asiatisch-pazifische Raum ist viel mehr als China", ergänzte Olaf Scholz, der ebenfalls an der APK teilnahm.

"Diversifikation" ist das Schlagwort, das bei beiden immer wieder fiel. Neben China will Deutschland neue Partner im Indopazifik finden. Deutschland will aufholen in einer Region, die bereits viele Partner im Rest der Welt hat. Denn Deutschland braucht aufgrund der Energiekrise und aufgrund der Abhängigkeit vom autoritären China neue Partner. Das war in den Indopazifik-Leitlinien 2020 bereits so formuliert, doch die Umsetzung gestaltet sich zäh.

Eine sicherheitspolitische Übersetzung in praktische Maßnahmen steht noch am Anfang. Während China und die USA seit Jahren auf den Indopazifik setzen, hat sich Deutschland bisher vor allem auf China fokussiert. Deutschland spielt hier neben diesen politischen Schwergewichten nur eine Nebenrolle.

Aktive Reisediplomatie

Noch nie zuvor hatte die deutsche Politik so viel Interesse an Südost- und Ostasien. Während ihrer sechszehnjährigen Amtszeit reiste Angela Merkel zwölf Mal nach China. Nur einmal besuchte sie Indonesien, Singapur und Vietnam. Doch in diesem Jahr änderte sich das.

Bundeskanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und Vivian Balakrishnan, Außenminister von Singapur, auf der Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft.
Bundeskanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und Vivian Balakrishnan (r.), Außenminister von Singapur, auf der Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen WirtschaftBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Im September nahmen sechs Eurofighter der deutschen Luftwaffe erstmalig an internationalen Manövern in Australien teil. Zuvor hatte die Bundesmarine die "Fregatte Bayern" sieben Monate auf Asien-Reise geschickt. Im Juli besuchte Außenministerin Annalena Baerbock den südpazifischen Inselstaat Palau und ernannte eine Sonderbotschafterin für die Region. Zuvor besuchte sie das G-20-Außenministertreffen in Indonesien und flog dann nach Japan. Anfang November reiste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Japan und Südkorea und stoppte vorher in Singapur. Bundeskanzler Scholz macht derzeit seine dritte Asien-Reise in elf Monaten. Im April hatte er Japan und Anfang November Peking besucht, nun reiste er nach Vietnam, nach Singapur zur Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft und ist derzeit beim G-20-Treffen in Bali.

Neuausrichtung Deutschlands

"Wir brauchen andere Länder, andere Partner", sagte Habeck in Singapur. In bestimmten kritischen Bereichen dürfe man sich nicht einseitige Abhängigkeiten von China leisten. Das bedeute aber nicht, dass es um eine wirtschaftliche Abkopplung von China gehe, betonten Habeck als auch Scholz. "Diversifikation bedeutet nicht Entkoppelung", so der Bundeskanzler. China bleibe zwar ein "wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner", habe sich aber in den letzten Jahren stark verändert. "Unser politischer und wirtschaftlicher Ansatz muss dies widerspiegeln", so Scholz.

Der japanische General Shunji Izutsu und Generalleutnant Ingo Gerhartz vor einem deutschen Eurofighter Typhoon auf dem Luftwaffenstützpunkt Hyakuri
Eurofighter Typhoon auf Besuch auf der japanischen Luftwaffenbasis in Hyakuri im September 2022Bild: Kento Nara/Geisler-Fotopress/picture alliance

Unter seiner Vorgängerin Angela Merkel wurde China zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner. Doch seit Xi Jinping regiert, wird China nach außen hin aggressiver. Ein Krieg um Taiwan zwischen China und den USA würde Deutschland in eine schwierige Position bringen, wenn es sich im Falle von Sanktionen für seinen NATO-Partner entscheiden müsste. Die Folgen für Deutschlands Wirtschaft wären weitaus gravierender als in der derzeitigen Energiekrise. Daher wird nun nach Alternativen im Indopazifik gesucht.

Global Gateway statt Seidenstraße

Die Länder der Region haben bereits viele Partner: Die USA ist starker Sicherheitspartner von Ländern wie Japan, Australien oder Südkorea. China investiert seit 2013 im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI) in der Region. In Ländern wie Kambodscha, Thailand, Indonesien oder Sri Lanka werden große Infrastrukturprojekte mit chinesischem Geld finanziert.

Die EU antwortete erst im Dezember 2021 mit einer Gegenoffensive unter dem Namen Global Gateway. Sie soll mit der BRI konkurrieren, indem sie Entwicklungsländer beim Aufbau von Infrastruktur und bei der Digitalisierung unterstützt. Rund 300 Milliarden Euro sollen dafür bis 2027 aus privaten und staatlichen Quellen mobilisiert werden. Bisher ist das Projekt jedoch noch nicht angelaufen.

"Hohe EU-Standards und Auflagen bezüglich Menschenrechten und Umweltschutz, die China nicht fordert, könnten den Prozess verlangsamen", sagt Angela Stanzel, Wissenschaftlerin bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Trotzdem sei "der Zug noch nicht abgefahren". Die EU-Initiative könnte eine Alternative für manche Länder in der Region sein. Die teilnehmenden Länder sollen nicht in Kreditfallen oder politische Abhängigkeit geraten. Einige Seidenstraße-Partner sind stark bei China verschuldet, manche Projekte sind deswegen stillgelegt worden.

Erste Maßnahmen

2020 veröffentlichte die Bundesregierung die "Leitlinien zum Indo-Pazifik" mit dem Ziel, Deutschlands Rolle im Indo-Pazifik-Raum langfristig zu stärken. Darin werden die aktuelle und mögliche Zusammenarbeit mit der Region und, im neuen Fortschrittsbericht, auch die Situation in Taiwan angesprochen.

Im September 2021 erschien die "Indo-Pazifik-Strategie" der EU und lieferte bereits erste konkrete Ergebnisse. Die Beziehungen zwischen der EU und dem südostasiatischen Staatenbund ASEAN wurden zu einer strategischen Partnerschaft aufgewertet, sicherheitspolitische Konsultationen mit Japan und Australien wurden aufgenommen, es gibt ein Luftverkehrsabkommen EU-ASEAN.

Die vielen geplanten Freihandelsabkommen in der Region mit Ländern wie Indien oder Indonesien stagnieren allerdings.

Neue China-Strategie

Für Mitte nächsten Jahres hat die Bundesregierung eine kritische "China-Strategie" angekündigt. Im Koalitionsvertrag wurde China bereits als "Systemrivale" bezeichnet und Menschenrechtsverletzungen wurden offen angesprochen. Die beiden Dokumente in Einklang zu bringen wird ein Balanceakt, der von Peking argwöhnisch beobachtet wird.

Auf der APK in Singapur sprach Habeck immer wieder davon, dass die neue Handelspolitik "wertebasiert" sein soll. Er wünscht sich Kooperation mit Ländern, die soziale Standards, Klimaschutz und Schutz von Minderheiten anstreben. Doch der Großteil der Länder Südostasiens entspricht diesen Standards nicht, oder wird von Autokraten regiert. So ist zum Beispiel Vietnam, dass Scholz gerade besuchte, ein kommunistisch regiertes Land mit einer Rekordzahl an politischen Gefangenen. Der Ukraine-Krieg wird von Vietnam aufgrund von engen Beziehungen zu Russland nicht verurteilt.