Deutschland streitet über den Wolf
3. April 2021Für den offiziellen Start des "Bundeszentrums Weidetiere und Wolf" hat sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine Schafweide im tiefen Brandenburg, anderthalb Autostunden vom Berliner Regierungsviertel entfernt, ausgesucht. Sie kennt Landwirtschaft aus ihrer Kindheit. Für den Vor-Ort-Termin erscheint sie im frühlingshaften Kostüm, vielleicht ein wenig zu städtisch gekleidet. Doch das hält sie nicht davon ab, in die Hocke zu gehen und mit einem kleinen Lamm Kontakt aufzunehmen, es später sogar in den Arm zu nehmen.
Aber um süße Bilder soll es nicht gehen, macht die Ministerin in einer Rede vor Ort deutlich. Dafür ist der Konflikt, den sie politisch betreuen möchte, zu groß. "Genauso wie der Wolf Anspruch auf Schutz hat, so haben es auch unsere Weidetiere", sagt die Ministerin. "Wir brauchen sie für die Pflege und Erhaltung unserer Kulturlandschaften." Die Rückkehr des Wolfs dürfe nicht dazu führen, "dass die Weidetierhaltung in einigen Regionen Deutschlands in Frage gestellt wird".
"Alle drei bis vier Jahre verdoppelt sich der Wolfsbestand"
Weil Wölfe und Bären in Deutschland ausgerottet waren, mussten im Freien gehaltene Nutztier-Herden in den letzten 100 Jahren nicht mehr besonders geschützt werden. Doch das hat sich seit der Jahrtausendwende geändert. Von Polen aus wanderten die Tiere ein. Sie besiedeln aktuell vor allem Gebiete entlang der Elbe. Seither ist der Wolf vor allem unter Naturschützern sehr willkommen. Denn ihm wird eine wichtige Rolle im Ökosystem zugeschrieben. Sorgt er doch dafür, dass kranke Wildtiere nicht lange überleben.
Doch die Wölfe fressen nicht nur Rehe im Wald, sondern auch Schafe, Ziegen und Rinder von der Weide. Das sorgt seit Jahren für Unmut. Denn sogenannte Weidetierhaltung abseits von Massentierställen wird seit Jahren als naturnahe Alternative gefördert.
Die Ministerin nennt deutlich machende Zahlen. Gab es 2006 noch 40 Tiere, die von Wölfen verletzt oder getötet wurden, waren es 2019 schon 2900 Tiere. Das habe auch mit der gewachsenen Population zu tun, so Klöckner. "Alle drei bis vier Jahre verdoppelt sich der Wolfsbestand." Deshalb müsse es auch um die "Entnahme" von Wölfen gehen, also das gezielte Abschießen.
Bund will Plattform schaffen
Die Schafe auf der Weide, auf der Julia Klöckner zu Gast ist, gehören Carina Vogel. Sie kommt aus der Region und glaubt, dass ein Miteinander möglich ist. "Wir sind als Naturschutzschäferei davon überzeugt, dass eine ökologische, tiergerechte Weidewirtschaft auch unter den erschwerten Bedingungen mit der Anwesenheit des Wolfes möglich ist!", schreibt sie auf Ihrer Website. Vor allem mit Zäunen und Hunden sei das möglich.
Hier will das neue Bundeszentrum ansetzen. "Wir schaffen eine Plattform, die praxisgerechte Lösungen entwickelt - inklusive Angaben zu Kosten und Fördermöglichkeiten", sagt Hanns-Christoph Eiden. Die Arbeitsschwerpunkte seien "Vernetzung und Dialog, Wissenstransfer und die Identifikation von Forschungsbedarf".
"Das interessiert auf dem Land keine Sau"
In Brandenburg leben derzeit die meisten Wölfe. Sie werden über ein landeseigenes Wolfsmanagement überwacht. Gegenwärtig ist von 47 Rudeln die Rede, dazu kommen noch einige Wolfspaare und Einzeltiere. In Brandenburg regt sich deshalb schon seit Jahren Protest unter Viehhaltern.
Seit 2017 findet in Brandenburger Kommunen eine sogenannte "Nacht der Wolfswachen" statt. Landwirte und Jäger wollen mit "Mahnfeuern" auf sich aufmerksam machen und gegen die Ausbreitung des Wolfes demonstrieren. Die Landesregierung unternehme nicht genug, die Weidetiere ausreichend vor Wolfsangriffen zu schützen.
Die Organisatoren treten seit Kurzem auch deutschlandweit auf. Sie nennen sich "Freie Bauern". "Wir haben 480 Mitglieder in Brandenburg und 1250 Mitglieder deutschlandweit", erklärt Reinhard Jung, Medienreferent der Interessenvertretung bäuerlicher Familienbetriebe. Was Julia Klöckner da mache, "interessiere auf dem Land keine Sau", sagt Jung der DW. "Die Menschen sind enttäuscht." Vor allem bei der Weidetierhaltung von Rindern sei der Wolf inzwischen auch ein psychologischer Grund, warum Bauern aufgeben würden. "Sie ertragen es nicht, immer wieder die toten Tiere auf der Weide liegen zu sehen."
Und die Schutzzäune? Das seien inzwischen High-Tech-Zäune, 1,20 Meter hoch, die trotzdem nicht richtig funktionierten. Die also den Wolf nicht konsequent abhielten. "Es ist irre", sagt Jung.
Streit kommt in den Parlamenten an
Auch im Brandenburger Parlament ist der politische Druck inzwischen gewachsen. Im Herbst 2020 hatte der Landesbauernverband die Zusammenarbeit mit der Landesregierung aufgekündet - wegen zu unterschiedlicher Auffassungen im Wolfsmanagement. Ende Januar stimmte der Brandenburger Landtag für ein leichteres Abschießen von so genannten "Problemwölfen".
Es gibt zudem die Initiative "Wolfsfreie Zone", der sich in Brandenburg nach eigenen Angaben 52 Städte und Gemeinden angeschlossen haben.
Für viele Bundesländer in Westdeutschland ist das Thema noch relativ neu, da der Wolf nur langsam gen Westen wandert. Aber inzwischen machen Wolfssichtungen auch in der dortigen Lokalpresse erste Schlagzeilen. Der Streit um den Wolf dürfte sich in den nächsten Jahren fortsetzen.