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Politik

Deutschland und das Impfen: Eine logistische Mondlandung

16. Dezember 2020

Die Zulassung des Corona-Impfstoffes ist erfolgt. Bürger, Ärzte und Hilfskräfte stehen vor einer riesigen Herausforderung. Wie genau soll das Impfen eines 80-Millionen-Volkes über die Bühne gehen?

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Bild: Scott Olson/Getty Images

Es wird eine der größten logistischen Herausforderungen für Deutschland seit langem: Nachdem die europäische Arzneimittelbehörde EMA mit Sitz in Amsterdam und die EU-Kommission die Zulassung erteilt haben, laufen die Impfvorbereitungen endgültig auf Hochtouren. Die EMA, eigentlich politisch unabhängig, hatte den ursprünglich für den 29. Dezember angedachten Zeitpunkt für eine Zulassungsempfehlung vorverlegt. Nicht zuletzt auf Druck der deutschen Regierung.

Jetzt kann also, mit einigen Tagen Vorlauf, mit dem Impfen begonnen werden. Nach der Zulassung vielleicht kurz nach Weihnachten - die Gesundheitsministerkonferenz der Länder stellt sich auf einen Impfbeginn am 27. Dezember ein.

 Endlich, der Impfstoff ist da. "Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk", so die Gesundheitsexpertin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Karin Maag, am Mittwoch.

Erst die Alten und Kranken, dann das medizinische Personal

Messehallen, Konzertsäle, Hotels, ehemalige Asylbewerberunterkünfte, sogar frühere Supermarkthallen: An rund 440 Standorten im ganzen Land verteilt sollen die Menschen sich so bald wie möglich impfen lassen können. Jugendherbergen werden umfunktioniert, ebenso frühere "Indoor"-Spielplätze.

Wer zuerst geimpft wird, diese Reihenfolge haben die Experten der "Ständigen Impfkommission", einer unabhängigen Expertengruppe, die die Regierung berät, bereits festgelegt: Erst kommen die Hochrisikogruppen an die Reihe, alte Menschen also und solche mit Vorerkrankungen. Dann das medizinische Personal. Allein diese beiden Gruppen umfassen über acht Millionen Menschen.

Nordirland Belfast | Coronavirus | Impfung Pfizer/BioNTech
Erst sollen neben Alten und Kranken Ärzte und Pflegepersonal geimpft werdenBild: Liam McBurney/REUTERS

Dann kommen Mitarbeiter wichtiger Arbeitsbereiche, Lehrer etwa oder die Fachleute in den Elektrizitätswerken. Die Bundesregierung übernimmt die Kosten für die Impfungen und lagert die Impfstoffe in zentralen Lagern, rund 2,7 Milliarden Euro sind dafür im Haushalt vorgesehen. Für die Verteilung auf die 440 Zentren sind dann aber die Bundesländer verantwortlich.

Zwei Hauptschwierigkeiten

Zwei große Probleme machen dabei den Organisatoren Sorgen: Der Impfstoff muss bis unmittelbar vor der Anwendung bei minus 70 Grad gekühlt werden. Dann wird er aufgetaut und verabreicht.

Und bei der Impfung selbst sollen die Menschen so wenig Zeit wie möglich in den Impfzentren verbringen müssen. Es wird also schwierig, immer nur so viele Impfdosen parat zu haben, wie gerade Menschen geimpft werden sollen.

Abstand halten auch im Impfzentrum

Wie das Arbeiten in einem Zentrum praktisch aussehen wird, schildert Kristin Hultzsch, Mitarbeiterin eines Impfzentrums in Schleswig-Holstein, im Gespräch mit der Zeitung "taz": "Die Impflinge melden sich am Empfang, dort werden ihre Personalien überprüft. Dann geht es in einen Wartebereich, wo sie auf den Aufruf warten müssen. Im nächsten Raum findet dann ein Vorgespräch mit einem Arzt statt. Anschließend geht es in einem Einbahnstraßensystem weiter in den Impfraum, wo es die Spritze gibt." In einem weiteren Bereich sollen sich die Menschen dann eine Viertelstunde lang erholen und werden beobachtet.

Auch in den Impfzentren gilt also: Abstand halten, Maske tragen, Begegnungen möglichst vermeiden. Nach einigen Wochen muss die Impfung wiederholt werden, jeder Mensch braucht also zwei Dosen. Insgesamt, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), erhält Deutschland aus den europäischen Kontingenten 100 Millionen Impfdosen, in den ersten Wochen stehen aber nur rund drei Millionen Dosen bereit, in den ersten drei Monate bis zu elf Millionen. 

Riesiger Personalbedarf

Der Bedarf an Personal ist gewaltig. Zehntausende Ärztinnen, Ärzte und weitere Helfer haben sich bereits freiwillig gemeldet, an vielen Orten wird dennoch weiter fieberhaft nach Unterstützung gesucht. Allein in Bayern, das zu den Bundesländern mit den höchsten Infektionszahlen gehört, sollen 99 Impfzentren in Betrieb gehen und bis zu 30.000 Impfungen am Tag vornehmen.

Jedes Bundesland verfolgt eigene Konzepte: Hamburg will bis zu 7000 Impfungen pro Tag ermöglichen, in der Messehalle sind dafür gleich sieben Zentren parallel nebeneinander vorgesehen. Hoher Personalbedarf besteht etwa auch bei Dolmetschern und Sicherheitskräften. Der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin, Benjamin Jendro, etwa erklärt: "Es ist vollkommen utopisch, die angedachten sechs Corona-Impfzentren durch die Polizei bewachen zu lassen." Das müsse privates Sicherheitspersonal übernehmen.

Manch ein Politiker, sogar CDU-Parteifreunde von Gesundheitsminister Spahn, sorgt sich wegen solcher Probleme darum, dass die Regierung zu viel verspricht, wenn es um rasche Erfolge beim Impfen geht. So erinnert etwa der Vize-Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, Georg Nüßlein, an den Engpass bei den Masken im Frühjahr, als die Pandemie in Deutschland bei weitem noch nicht so heftig war. "Jetzt geht es darum, rasch und zielgerichtet zu impfen. Dabei macht uns die Logistik große Sorge. Bei Masken und Tests hat sich die öffentliche Hand nicht mit Ruhm bekleckert. Die Verteilung und der Einsatz des Impfstoffes muss dagegen besser laufen."

Alle sind startklar. Fast alle

Etwas forsch hatte Spahn erklärt, bis Mitte Dezember stehe im ganzen Land die Infrastruktur für die Massenimpfung. Tatsächlich ist vieles fertig, aber etwa in Berlin und Brandenburg gibt es noch Verzögerungen. Bis Anfang Januar etwa werden in Brandenburg nach Auskunft der Landesregierung in Potsdam die geplanten elf Zentren zur Verfügung stehen. In schwach besiedelten Flächenländern ist der Aufbau der Zentren naturgemäß schwieriger. Baden-Württemberg etwa meldet, dass neun zentrale Zentren tatsächlich jetzt einsatzbereit seien, weitere 50 kleine Zentren in den Kreisen aber erst ab Mitte Januar.

Jedenfalls werden wohl die Kapazitäten von Beginn an höher sein als die verfügbaren Dosen. Deshalb gehen Experten davon aus, dass viele Monate vergehen, bis nennenswerte Teile der Gesellschaft geimpft sind und dann ein Einfluss auf das Infektionsgeschehen messbar sein wird. Neben den Impfungen in den Zentren sind auch solche durch mobile Teams geplant, die etwa Menschen in den Altenheimen besuchen. In Berlin sind 30 solcher Teams vorgesehen.

Impfbereitschaft bei 68 Prozent?

Wie brisant das Thema Corona und Impfungen derzeit auch in Deutschland ist, zeigen Meldungen vom Mittwoch. Da wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem Weg zur Sitzung ihres Kabinetts in Berlin fotografiert, unter dem Arm eine Liste verschiedener Bevölkerungsgruppen und deren geschätzte Bereitschaft, sich tatsächlich impfen zu lassen. Denn das hat die Regierung stets betont: Das Impfen ist freiwillig, niemand wird dazu gezwungen.

Corona-Krise könnte Impfbereitschaft fördern
Wie groß ist die Impfbereitschaft in der Bevölkerung wirklich? Bild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Die Regierung geht laut dieser Liste davon aus, dass 46,16 Millionen Menschen in Deutschland zur Impfung bereit sind, was einer Quote von 68 Prozent entspricht. Das sind mehr, als zuletzt Umfragen ergaben. Die wiesen nämlich aus, dass die Impfbereitschaft in Deutschland zuletzt eher gesunken war, auf teilweise nur knapp über 50 Prozent, sicherlich eine Folge der oft verwirrenden Aussagen über mögliche Zeitpunkte des Beginns, auch über mögliche Nebenwirkungen. Und natürlich gibt es auch einige grundsätzliche Gegner von Impfungen.

Der Staat nimmt also die Impfungen im großen Stil selbst in die Hand. Wenn signifikante Teile der Bevölkerung ihre Dosen erhalten haben, sollen auch die Ärzte in den Praxen die Impfungen übernehmen. Wann das sein wird, ist aber noch offen. Und irgendwann einmal stehen dann – hoffentlich – auch die Produkte weiterer fünf Impfstoffhersteller zur Verfügung, bei denen die Regierung vorsorglich Kontingente bestellt hat.