"Nicht für die Iraker, nicht für die Kurden"
26. September 2017Die Feierlaune der Kurden im Nordirak angesichts ihres Unabhängigkeitsreferendums steht in auffallendem Gegensatz zu der Drohkulisse, die von der Zentralregierung in Bagdad und den regionalen Nachbarn Iran und Türkei aufgebaut wird. Außer dem Staat Israel, der als einziger die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützt, will sich in der internationalen Arena niemand mit den Kurden freuen.
Auch Deutschland steht der Volksabstimmung im irakischen Kurdengebiet kritisch gegenüber. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ließ am Dienstag noch einmal sein Bedauern über das Referendum mitteilen. "Ohne Rücksicht auf Vorbehalte, Warnungen und gegen den einhelligen Rat der internationalen Gemeinschaft" hätten die kurdischen Behörden die Entscheidung zum Abhalten der Volksabstimmung getroffen, beklagte Gabriel. Zugleich betonte er, das Referendum sei rechtlich nicht bindend - speziell was die Zugehörigkeit der sogenannten umstrittenen Gebiete angeht.
Damit ist vor allem die ölreiche Region um Kirkuk gemeint. Die gehört eigentlich nicht zur Autonomen Region Kurdistan. Nach der weitgehenden Vertreibung des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) wird sie aber von kurdischen Peschmerga kontrolliert. Dass auch hier - mit reger Beteiligung - über die kurdische Unabhängigkeit abgestimmt wurde, erbost die Zentralregierung in Bagdad besonders. Gerade hier droht der Konflikt zu eskalieren. Speziell schiitische Volksmobilisierungs-Milizen rasseln angesichts der drohenden Abspaltung der Region mit dem Säbel. Auch deshalb mahnt Gabriel alle Seiten, "jegliche Eskalation zu vermeiden und von einseitigen Schritten in Richtung Unabhängigkeit oder Zwangsmaßnahmen Abstand zu nehmen".
Deutschlands Ablehnung, kurdische Enttäuschung
Schon vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte Gabriel Mitte vergangener Woche dazu aufgerufen, "einen demokratischen und inklusiven irakischen Staat zu stärken - und ihn nicht durch Vorstöße einer einzelnen Teilregion der erneuten Gefahr der Destabilisierung auszusetzen". Deutschlands ablehnende Haltung stößt bei vielen Kurden auf Unverständnis. Ferhad Seyder von der Mustafa-Barzani-Arbeitsstelle für Kurdische Studien an der Universität Erfurt fasst die Haltung vieler seiner Landsleute so zusammen: "Man glaubte, Deutschland würde sich wenigstens zurück halten. Zumal so viele Kurden hier leben und Deutschland eine wichtige strategische Rolle bei der Bewaffnung der Kurden gespielt hat", sagte Seyder der DW.
Seit sich die Kurden 2014 als letzte Verteidigungslinie im Kampf gegen die Terrormiliz IS erwiesen hatten, unterstützt Deutschland sie mit Waffen und militärischer Ausbildung - gegen heftige Proteste der Türkei. Die fürchtet, deutsche Waffen könnten trotz "Endverbleibserklärung" den Weg zu kurdischen Waffenbrüdern in der Türkei finden. Dort lebt mit rund 20 Millionen der größte Teil der auf vier Staaten im Nahen Osten verteilten geschätzt gut 40 Millionen Kurden - eines der größten Völker ohne eigenen Staat.
Kurdische Kinder heißen "Milan"
Rund 140 deutsche Soldaten sind im Nordirak nahe der kurdischen Regionalhauptstadt Erbil stationiert und trainieren dort kurdische Peschmerga. Schrottreife Flinten wurden gegen das Sturmgewehr G36 getauscht und vor allem die Panzerabwehrrakete Milan hat den Peschmerga im Kampf gegen den IS extrem gute Dienste geleistet. Damit ließen sich nicht nur die Panzer und gepanzerten Fahrzeuge stoppen, die dem IS bei der Eroberung Mossuls 2014 in großer Zahl in die Hände gefallen waren. Die Milan Raketen stoppen auch Selbstmordattentäter mit ihren Autobomben. So effektiv sind die 60 gelieferten Systeme, dass Milan inzwischen ein beliebter Name für Neugeborene im Kurdengebiet ist.
Die Lieferung von Militärgerät aus Deutschland hält bis jetzt an. Zuletzt landete am 19. September ein Transportflugzeug mit deutschem Militärgerät auf dem Flughafen von Erbil. An Bord: Material zur Abwehr chemischer und biologischer Waffen, inklusive eines Spezial-LKWs, Sanitätsmaterial und Material zur Entschärfung von Sprengsätzen. Die begehrten Milan-Raketen waren trotz kurdischen Bittens nicht dabei. Die werden nicht mehr produziert und Deutschland verfügt selbst nur über begrenzte Bestände.
Jetzt hofft die Bundesregierung, dass die von ihr gelieferten Waffen nicht in einem - weiteren - inner-irakischen Konflikt zum Einsatz kommen. Vergangene Woche entgegnete ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin auf die Frage, auf welcher Seite die Bundeswehr denn im Konfliktfall zwischen Irakern und Kurden stehe, ebenso salomonisch wie hilflos: "Wir sind nicht für die Iraker und auch nicht für die Kurden, sondern für eine gute Zukunft des Irak. Dazu müssen Zentralregierung und Regionalregierung zusammen arbeiten". Mit dem Referendum ist die Grundlage für diese Zusammenarbeit deutlich kleiner geworden.