Drama um Alexandra Popp
31. Juli 2022Es war 19:33 Uhr Ortszeit in London, als der Traum der DFB-Frauen vom erneuten Titelgewinn geplatzt war. 120 Minuten hatten sie sich einen harten Kampf mit den Engländerinnen geliefert, waren nach einem 0:1-Rückstand noch einmal zurückgekommen, hatten die Verlängerung erzwungen, aber das Tor von Chloe Kelly in der 110. Minute entschied das Finale der Fußball-Europameisterschaft zugunsten der Gastgeberinnen.
Beim deutschen Team flossen anschließend die Tränen, während die überwältigende Mehrzahl der Zuschauerinnen und Zuschauer im Wembley-Stadion zu "Football is Coming Home" und "Sweet Caroline" zusammen mit ihren Heldinnen den ersten internationalen Titel für eine englische Frauen-Nationalmannschaft feierten. 87.192 waren bei diesem historischen Moment live dabei - ein EM-Rekord, nicht nur für die Frauen, in der 62-jährigen Geschichte europäischer Titelkämpfe.
"Es ging nicht"
Deutschlands Topstar des Turniers musste sich auf dem Spielfeld von den Mitspielerinnen trösten lassen - und vor allem selbst Trost spenden. Alexandra Popp, die mit ihren sechs Treffern in fünf Spielen zur Symbolfigur der wiedererlangten Spielfreude geworden war, musste wenige Minuten vor Anpfiff des Endspiels passen. Der Test beim Aufwärmen verlief negativ, eine Muskelverletzung machte ihren Einsatz unmöglich. "Das hätte schon etwas ausgelöst, sie hat eine andere Präsenz, aber es ging halt nicht", erklärte eine ernüchterte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nach dem Spiel.
Lea Schüller, ursprünglich als Stammkraft im Sturmzentrum gesetzt und durch eine Corona-Infektion ausgebremst, durfte statt Popp von Anfang an ran. Svenja Huth übernahm stellvertretend die Kapitänsbinde. "Lea war schon vorbereitet", ließ Huth nach dem Spiel in der ARD wissen. "Wir haben das als Team angenommen, wurden aber leider nicht belohnt."
Magull bringt das DFB-Team zurück ins Spiel
Dabei hatte die Partie gut begonnen für das Team von Voss-Tecklenburg. Von der lauten Kulisse unbeeindruckt, hielt die Abwehr den englischen Angriffen stand. Die Innenverteidigung mit Marina Hegering und Kathrin Hendrich stand fast immer sicher, im Mittelfeld wirbelte Lina Magull. Viele Torchancen kamen so nicht zustande in einem von beiden Seiten hochintensiv geführten Match; Härte war Trumpf. Und Deutschland wurde von der ukrainischen Schiedsrichterin ein Strafstoß verwehrt, auch der Video-Check ließt das klare Handspiel unerklärlicherweise ungeahndet.
Schließlich trafen die Engländerinnen durch Ella Toone mit einem sehenswerten Lupfer über die fehlerlos haltende Merle Frohms im deutschen Tor (62.). Die Deutschen antworteten mit einem Treffer von Magull und brachten das Spiel in die Verlängerung, wo der enge Fight auf Augenhöhe weiterging. Auch in der entscheidenden Szene war es nur eine Kleinigkeit, die den Ausschlag zugunsten der Engländerinnen gab. Chloe Kelly nutzte ein Durcheinander im Torraum nach einer Ecke zum Siegtreffer. Sie kam mit langem Bein an den Ball, den deutschen Defensivspielerinnen fehlten ein paar Zentimeter.
Das Entsetzen stand in den Gesichtern der deutschen Spielerinnen. Der Glaube an den Ausgleich schien verflogen. "Wir waren nah dran, vor allem nach dem 1:1, und wollten auch auf 2:1 gehen. Aber Tore entscheiden Spiele. Deshalb sind die Engländerinnen Europameisterinnen geworden", klang die Bundestrainerin mit dem Abstand von einer halben Stunde nach Abpfiff schon sehr gefasst.
Lob für Leichtigkeit, Spielfreude und Teamgeist
Auch von anderen Experten gab es durchweg Lob für die Finalleistung und den gesamten Auftritt der Deutschen während des Turniers. "Es tut mir für Martina Voss-Tecklenburg und ihr gesamtes Team sehr leid, dass sie ihre großartigen Auftritte nicht mit dem Titel krönen konnten. Aber nach der ersten Enttäuschung können sie mit Stolz auf dieses Turnier zurückblicken", tröstete Hansi Flick, Fußball-Bundestrainer der Männer. "Mit welcher Leidenschaft und gleichzeitig Leichtigkeit, Spielfreude und Teamgeist die Mannschaft durch dieses Turnier gegangen ist, hat mich begeistert."
"Dieses großartige Turnier unserer Mannschaft hätte den Titelgewinn als würdigen Abschluss verdient gehabt. Die Auftritte unserer Mannschaft in England waren trotz der Finalniederlage vom ersten Spiel an bis zum Schluss ganz große Klasse", sagte auch DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff und prophezeite: "Dieses Turnier wird ein Meilenstein für die Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland sein."
Für die deutschen Spielerinnen kam solcher Trost allerdings noch ein bisschen zu früh. Zu nah war man dem ganz großen Erfolg gewesen. "Wir haben 120 Minuten alles gegeben und uns auch vom Rückstand nicht schocken lassen. Leider haben wir uns nicht belohnt", sagte Ersatzkapitänin Svenja Huth. "Es tut gerade einfach nur schweineweh."