Deutschland verschärft Corona-Regeln
25. November 2020Die Gans im Ofen, die Geschenke unterm Tannenbaum und die Großeltern mit am Tisch. So oder so ähnlich sieht für viele deutsche Familien das ideale Weihnachtsfest aus. Ein solches Fest mit der ganzen Familie soll auch in diesem Jahr möglich sein - trotz Corona-Pandemie. Darauf haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der 16 deutschen Bundesländer am Mittwoch in einer siebenstündigen Videokonferenz geeinigt. Ihr Entschluss sieht vor: Während der Weihnachtstage sind Treffen mit bis zu zehn Personen aus unterschiedlichen Haushalten erlaubt - Kinder bis zum Alter von 14 Jahren werden dabei nicht mitgezählt.
Nach den Beratungen dämpfte Bundeskanzlerin Merkel allerdings die Vorfreude auf die Weihnachtsferien: "Die Lage erlaubt es nicht, die Novembermaßnahmen aufzuheben." Restaurants, Bars, Freizeit- und Kultureinrichtungen bleiben also weiter geschlossen, touristische Hotelübernachtungen verboten. Dies gilt zunächst bis zum 20. Dezember. Eine weitere Verlängerung sei aber wahrscheinlich, sagte Merkel, "es sei denn, wir haben einen unerwarteten Rückgang der Infektionen." Für einen Teil des dadurch entstehenden finanziellen Schaden soll weiter der Bund aufkommen.
"Lockdown verlängern und vertiefen"
Die Beschränkung der Kontakte wird außerdem weiter verschärft, kündigte Merkel an: Nur noch maximal fünf Personen aus zwei Haushalten sollen sich - außerhalb der Weihnachtspause - treffen dürfen. Zudem sollen in Landkreisen mit mehr als 200 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche weitere Einschränkungen möglich sein, etwa was den Kontakt zu Menschen aus anderen Haushalten angeht. Wie genau diese aussehen, wird jedoch den einzelnen Ländern überlassen.
"Die Lage bleibt sehr, sehr ernst", sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der gemeinsam mit Merkel und Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller die neuen Maßnahmen am Abend vorstellte. "Der Erfolg war nicht so groß wie erhofft. Weil der Lockdown nicht so streng war wie anderswo. Die Todesfälle wachsen." Mit 410 Toten hatte die Zahl der Menschen, die an oder mit Corona gestorben sind, am Dienstag in Deutschland einen neuen Tages-Höchststand erreicht. "Da geht es um Schicksale und Familien. Deswegen ist es wichtig, den milden Lockdown zu verlängern und zu vertiefen", so Söder.
Silvester mit Freunden?
Die Maßnahmen, auf die sich Merkel und die Ministerpräsidenten geeinigt haben, sollen nun von den einzelnen Landesregierungen in Form von Verordnungen umgesetzt werden. Denn Infektionsschutz ist Sache der Bundesländer. Dabei gilt zum ersten Mal das gerade frisch reformierte Infektionsschutzgesetz. Demnach müssen die Bundesländer die Maßnahmen begründen und dabei auch soziale und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen. Zudem gelten die Regeln nur vier Wochen lang und müssen dann verlängert werden.
Die bisherige Erfahrung zeigt: auch wenn die Länderchefs ihre Einigkeit betonen, eins zu eins wurden die Beschlüsse aus ihren Treffen mit Merkel bislang nicht umgesetzt. So wäre auch nach den bisherigen Corona-Verordnungen in einigen Ländern, darunter im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen, ein Weihnachtsabend mit Gästen am heimischen Esstisch rein rechtlich kein Problem gewesen. In Bayern und einigen anderen Länder galten die Kontaktbeschränkungen dagegen auch für Privatwohnungen. Nun aber soll das Treffen in den eigenen vier Wänden zumindest vom 23. Dezember bis "längstens Neujahr" überall möglich sein. Noch ist also nicht klar, ob ein Silvesterabend mit Freunden erlaubt sein wird. Zumindest das Abbrennen von Silvesterfeuerwerk soll nicht generell verboten werden. Nur auf belebten Straßen und Plätzen sollen Böller und Raketen in der Silvesternacht tabu sein.
Streitfall Schule
Besonders lange stritten Merkel und die Ministerpräsidenten beim Thema Schule. Es ging unter anderem um die Frage, ob der Unterricht vor Ort in den Klassenzimmern wie gehabt weiterlaufen kann, wenn die Infektionszahlen weiter ansteigen. Zumindest in Regionen mit besonders hohen Infektionszahlen müsse es weitere Einschränkungen geben, hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder von der CSU gefordert. Hier konnten sich Bund und Länder jedoch nicht auf einheitliche Regeln einigen. Einige Länderchefs bezweifeln, dass Schulen entscheidend zur Verbreitung des Virus beitragen.
Um vor den Weihnachtstagen die Ansteckungsgefahr zu reduzieren, sollen die Schulferien in diesem Jahr bereits am 19. Dezember beginnen. So soll die Zahl der Kontakte in einer Art Vor-Quarantäne verringert werden, bevor sich ganze Großfamilien an Weihnachten treffen.
Platz vor den Regalen
In großen Einkaufszentren sollen künftig weniger Kunden einkaufen dürfen als bisher. Ab einer Einkaufsfläche von 800 Quadratmetern gilt: pro Kunde muss 20 Quadratmeter Platz sein. Bislang waren 10 Quadratmeter pro Kunde möglich. In kleineren Geschäften soll diese Regelung auch weiterhin gelten.
"Überzogen" sei diese Einschränkung des Einzelhandels, sagte FDP-Chef Christian Lindner schon vor Ende der Beratungen in Berlin. Die Oppositionsparteien FDP und AfD haben bislang am lautesten Kritik an den Corona-Maßnahmen in Deutschland geäußert. "Wir müssen stärker die von einem besonders schweren Krankheitsverlauf bedrohten Menschen schützen", sagte Lindner weiter. Anstelle der Einschränkungen für alle schlägt er die Abgabe von Masken, Schnelltests und Taxigutscheinen sowie Einkaufs-Zeitfenster für Risikogruppen wie Ältere vor. "Damit mit Abstand und Hygiene normales gesellschaftliches Leben unter veränderten Bedingungen stattfinden kann", sagte Lindner.
Mehrheit befürwortet Maßnahmen
Laut Umfragen befürwortet eine Mehrheit der Deutschen die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Knapp 57 Prozent der Deutschen halten es auch für gerechtfertigt, dass der Staat die Zahl der gemeinsam Weihnachten Feiernden reguliert. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey. Bei den über 65-Jährigen sprachen sich sogar zwei von drei Befragten für eine staatliche Regelung aus. Älteren Menschen sind sehr viel häufiger von schweren Folgen einer COVID-19-Erkrankung betroffen als Jüngere.
Auch unter Wissenschaftlern ist die richtige Antwort auf die weiter steigenden Infektionszahlen nach wie vor umstritten. Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sagte am Mittwoch im Bayerischen Rundfunk, die Schutzregeln mit Abstand, Hygiene, Masken und Corona-Warn-App seien eigentlich ausreichend. Sie müssten nur konsequent umgesetzt werden. "Es hängt alles an dem Punkt, ob die Bevölkerung zu einem gewissen Teil mitmacht oder eben nicht mitmacht."
Stille Nacht?
Ein Teil der Bevölkerung lehnt die Corona-Maßnahmen der Regierung jedoch nicht nur ab, sondern leugnet generell die Gefahren der Corona-Pandemie. Die "Querdenker"-Bewegung erhält nach wie vor Zulauf, verbreitet Verschwörungsmythen und scheint sich in Teilen zu radikalisieren. Zumindest über die Weihnachtstage könnte diese öffentliche Debatte abflauen, während maskierte Großeltern mit ihren Enkeln vor dem Tannenbaum leise "Stille Nacht" summen. Doch steigen die Infektionszahlen im neuen Jahr weiter an, dann wird auch der Streit um härtere Maßnahmen wieder lauter werden.