Deutschlands diplomatischer Libyen-Vorstoß
12. September 2019Am Mittwoch setzte der deutsche Botschafter in Libyen, Oliver Owcza, per Twitter eine Neuigkeit ab: Deutschland sei im Begriff, für den Herbst eine internationale Libyen-Konferenz zu organisieren. Parallel dazu hat Bundeskanzlerin Angela Merkel angeboten, die Schlüsselstaaten für die Beendigung des Bürgerkrieges nach Berlin einzuladen.
Der Vorstoß zeigt, dass Deutschland die Entwicklung in dem Land im Norden Afrikas sorgfältig verfolgt. Einen gescheiterten Staat können sich Deutschland und die anderen europäischen Staaten vor ihrer Tür nicht leisten. Hier die wichtigsten Aspekte.
Die Situation in Libyen
In Libyen ist seit dem Jahr 2016 eine Einheitsregierung unter Vorsitz des international anerkannten Ministerpräsidenten Fajis al-Sarradsch im Amt. Sie entstand in von den Vereinten Nationen vermittelten Gesprächen mit den verschiedenen politischen Akteuren. In Konkurrenz zu ihr steht allerdings ein weiteres Parlament. Dieses ging aus den Wahlen des Jahres 2014 hervor, in denen Nationalisten und Liberalen die Mehrheit gewannen. Die Islamisten - sie hatten die Wahl verloren - erkannten das Wahlergebnis nicht an. In der Folge floh das neu gewählte Parlament in die Stadt Tobruk im Osten des Landes. Anschließen setzte das Parlament General Chalifa Haftar zum Oberbefehlshaber der Armee ein. Dieser beherrscht inzwischen weite Teile des Landes, während die Regierung von al-Sarradsch de facto nur die Region um Tripolis kontrolliert.
Die Konsequenzen
Das Fehlen einer zentralen Staatsgewalt hat zu anarchischen Zuständen geführt. Bundeskanzlerin Merkel warnte Mitte der Woche im Deutschen Bundestag vor einem Stellvertreterkrieg in Libyen wie in Syrien. Der Konflikt wird auch dadurch angeheizt, dass viele Länder sich nicht an das UN-Waffenembargo halten. Zudem mischen auch internationale Akteure direkt oder indirekt in Libyen mit. So unterstützen Ägypten und die Emirate General Haftar, die Türkei und Katar hingegen die Regierung in Tripolis. Die oft gewaltsam ausgetragene Konkurrenz der unterschiedlichen Akteure führt zu extremer Unsicherheit für die Bürger und der sich im Land aufhaltenden Flüchtlinge.
Die humanitäre Situation
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) halten sich in Libyen rund 800.000 Geflüchtete und Migranten auf. Wie viele Geflüchtete in illegalen Lagern gefangen gehalten werden, ist nicht bekannt. Auch die sogenannten staatlichen Lager würden vielfach von bewaffneten Milizen betrieben, sagte Hyun-Ho Cha, Pressesprecher bei "Amnesty International Deutschland", im Juli dieses Jahres zur DW.
Menschenrechtsverletzungen ahnden zu lassen, sei kaum möglich, da die libysche Staatsanwaltschaft aufgrund des Bürgerkriegs kaum in der Lage sei, Ermittlungen durchzuführen. Die hygienischen Umstände und auch die Versorgung mit Nahrung in vielen Lagern gelten als katastrophal.
Die deutschen Interessen in Libyen
Deutschland - wie auch die anderen europäischen Staaten - haben ein großes Interesse daran, Libyen zu befrieden. Dabei hat die Bundesregierung vor allem Flucht und Migration im Auge. Denn viele Geflüchtete aus ganz Afrika versuchen bereits jetzt, von Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Die Gewalt im Land beschleunigt diese Entwicklung. "Um die Chancen einer Einigung zu erhöhen, müssen internationale Akteure dazu beitragen, das Kräftegleichgewicht zu stabilisieren", heißt es in einer Studie der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" vom März dieses Jahres. Eben das ist das Ziel der Bundesregierung.
Was hat Deutschland bisher gemacht?
Die Bundesregierung unterstützt seit Jahren den politischen Prozess zur Schaffung einer handlungsfähigen Regierung der Nationalen Einheit. Ziel ist es, eine Stabilisierung des Landes zu erreichen. Vor allem, um Perspektiven für die Menschen vor Ort zu schaffen, Terrororganisationen zu bekämpfen und kriminellen Schleusern Einhalt zu gebieten, heißt es im jüngsten Jahresbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2016/17. Bis zum März 2019 unterstützte die Bundesregierung die libysche Regierung auch im Rahmen der EU durch Beteiligung an der Seenotrettungsmission "Sophia". Dabei ging es nicht nur darum, die Schleusernetzwerke zu bekämpfen, sondern auch den illegalen Waffenschmuggel so weit wie möglich zu unterbinden. Zudem versucht die Bundesregierung, die Lebensbedingungen der Menschen durch humanitäre Hilfe zu verbessern. Auch unterstützt sie die Versöhnung der verfeindeten Akteure.
Die Position Frankreichs
Zwar teilen alle europäischen Partner das Interesse an einer Befriedung Libyens. Doch über den Weg haben sie teils unterschiedliche Vorstellungen. Zwar unterstützt die Regierung Macron auch die Regierung in Tripolis, wie etwa beim Besuch von Premier al-Sarradsch im Mai dieses Jahres in Paris deutlich wurde.
Frankreich pflegt aber auch Beziehungen zu General Haftar. Um dies zum Ausdruck zu bringen, lud Macron auch den libyschen General zu dem Treffen mit al-Sarradsch ein. General Haftar wies in den Pariser Gesprächen allerdings die französische Forderung nach einer Waffenruhe zurück. Die Voraussetzungen dafür seien noch nicht erfüllt, erklärte er. In den Worten des französischen Außenministers Jean-Yves Le Driant ist General Haftar "eine Realität auf libyschem Boden", mit der sich Frankreich darum auseinandersetzen müsse.
Eine Bilanz
Insgesamt ist das europäische Engagement in und um Libyen allenfalls bedingt erfolgreich. Derzeit streite Europa darüber, wie viele Schiffe mit Flüchtlingen anlanden dürften, erklärte der ehemalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel im Juli dieses Jahres. "Die Wahrheit ist, wenn wir in Libyen nicht den Bürgerkrieg bekämpfen, dann vergessen wir bitte die Vorstellung, wir würden Leute dorthin zurückbringen können! Ja wohin eigentlich? Wieder zurück in die Konzentrationslager oder in die Finger derjenigen, die Krieg führen?"
Gabriel gab sich überzeugt, dass die europäischen Staaten auf Grundlage ihrer bisherigen Libyenpolitik ihre Ziele kaum erfüllen könnten: "Wir sagen unserer eigenen Bevölkerung, dass wir nicht so viel Migration haben wollen. Wir schaffen aber die Voraussetzung dafür, dass der Migrationsdruck größer wird."