Imageprobleme
26. März 2013Seit Beginn der Eurokrise sieht man immer wieder ähnliche Bilder aus wechselnden EU-Ländern: Wütende Demonstranten tragen Plakate mit Bildern von Bundeskanzlerin Angela Merkel in SA-Uniform, mit Hakenkreuz oder Hitlerbart. Gegner der Sparmaßnahmen greifen auf Nazi-Vergleiche zurück, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, sei es in Griechenland, Italien oder Zypern.
Das anti-deutsche Klima in Europa fand seinen vorläufigen Höhepunkt am vergangenen Wochenende auf der Website der spanischen Tageszeitung "El País". Dort verglich Juan Torres López, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Sevilla, in einem Kommentar Angela Merkel mit Adolf Hitler. "Wie Hitler hat Angela Merkel dem Rest des Kontinents den Krieg erklärt - dieses Mal, um Deutschland seinen wirtschaftlichen Lebensraum zu sichern", schrieb der Professor. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter rief das überraschte und wütende Reaktionen hervor - worauf die Zeitungsredaktion den Kommentar aus seinem Internetangebot löschte und bedauerte, dass es wegen "Fehlern in der redaktionellen Aufsicht" zu dessen Veröffentlichung gekommen sei..
"Es geht im Kern darum, wer den größten Einfluss auf das System hat", erklärt Janis Emmanouilidis Deutschlands natürliche Führungsrolle. "Alle blicken auf Deutschland wegen seiner Größe und weil das Land die Krise besser als andere bewältigt hat", meint der EU-Experte vom "European Policy Center" in Brüssel im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Pedantische Preußen
Dennoch: "Die Deutschen" ist laut Derek Scally in der Eurozone zum Synonym für "Vorherrschaft, Disziplin oder Sparsamkeit" geworden. Der Berliner Korrespondent der "Irish Times" lebt seit 13 Jahren in der Bundeshauptstadt und hat sich mehrfach mit dem zunehmenden Imageproblem der Deutschen in Krisenzeiten befasst. Die Menschen hätten ein Bild von "pedantischen Preußen mit klaren Regeln" - Regeln, die man befolgen müsse, auch wenn die politische Realität vielleicht andere Schritte verlange.
Die Medien in etlichen europäischen Ländern hätten maßgeblich dazu beigetragen, dieses Bild zu fördern, meint Scally. In guten Zeiten wurden deutsche innenpolitische Diskussionen mehr oder weniger ignoriert, erklärt der irische Korrespondent. Aber in Krisenzeiten "haben sie nichts als Stereotypen zur Hand und Vorurteile darüber, wie sie glauben, dass in Deutschland Politik gemacht wird." Regierungsberichte zum Thema Anstieg der Armut in deutschen Haushalten, zum Beispiel, würden üblicherweise ignoriert. Die deutsche Geschichte - nicht zuletzt die Nazivergangenheit - macht das Land zu einer einfachen Zielscheibe für Beschuldigungen.
Allerdings, meint Emmanouilidis, hätten sich die Deutschen auch zu Beginn der Krise in Europa im Ton vergriffen. "Wenn man hört, wie die Bundeskanzlerin andeutet, die Griechen arbeiteten weniger - da ergibt sich eben ein bestimmtes Bild." So etwas würde sie wohl heute nicht mehr sagen, fügt der Brüsseler EU-Experte hinzu.
Edle Retter
Die Bundesregierung befinde sich seit dem Tag, an dem sie ihre Krisenstrategie offenlegen musste, in einem echten Dilemma, meint Derek Scally. "Es ist einfach eine schwierige Situation", erklärt der Korrespondent im Interview mit DW. Wie solle man seine Politik verkaufen, ohne als dominierend angesehen zu werden? "Wie man es macht, macht man es falsch."
Kleinere, wohlhabende Länder unterstützen Deutschland lieber im Verborgenen, meint Emmanouilidis. "Für manche in den Niederlanden und Finnland ist es bequem, sich hinter den Deutschen zu verstecken."
Daher werde vor allem Deutschland die Schuld für die nordeuropäische Sicht der Krise zugeschoben. Führende deutsche Boulevardblätter und Politiker gossen noch Öl ins Feuer, als sie öffentlich nach einem griechischen Bankrott riefen, noch bevor das Land von seinen europäischen Partner Finanzhilfe erhielt. "Nach deutscher Lesart gibt es diese Randländer, die es in den letzten 10 Jahren übertrieben haben; nun ist es an Kernländern wie Deutschland, sie da wieder rauszupauken", erklärt Scally. Verständlich, dass diese Sichtweise in den Krisenländern nicht gut angekommen sei.
Neid schwingt mit
Beobachter meinen, die öffentliche Debatte in Deutschland habe völlig außer Acht gelassen, in welchem Maß die Bundesrepublik selbst für ihr wirtschaftliches Überleben vom Euro abhänge - obwohl Angela Merkel immer wieder die Verbindung zwischen der Zukunft des Euro und der Zukunft der EU als Ganzes betone. In einem komplizierten, vernetzten Finanzsystem fliesse Kapital hin und her, so Scally. "Die Vorstellung, dass deutsche Rentenfonds oder Banken in den vergangenen 10 Jahren vielleicht überschüssiges Kapital gern in den Peripherie-Ländern investierten, weil sie es für eine gute Idee hielten, bis alles den Bach runter ging - das wird verschwiegen."
Deutschland kann sein Imageproblem nicht alleine lösen, da sind sich die Experten sicher. Die Bilder von Angela Merkel in SA-Uniform beleuchten die systemischen Fehler der Eurozone, die es zu korrigieren gilt, sagt Emmanouilidis. Er hoffe, die EU werde sich nun schneller auf eine Bankenunion zu bewegen. Hätte es letztere bereits bei der Zypernkrise gegeben, hätten man verletzende Schuldzuweisungen zumindest im Falle Zyperns vermeiden können, so der EU-Experte.
Der Meinung schliesst sich der Korrespondent Scally an: In jeder Krisensituation gebe es den verständlichen Drang, mit dem Finger auf andere zu zeigen und sich selbst zu entlasten. Aber: "Die Vorstellung, dass es unschuldige und schuldige Parteien gibt, dass alles schwarz und weiß ist - diese Vorstellung ist allzu simpel. Jeder Politiker, der so etwas zum eigenen politischen Vorteil andeutet, untergräbt das Projekt als Ganzes."