Deutschlands Medizintourismus in der Krise
24. Oktober 2022Deutschland zählt zu einem der beliebtesten Länder für den Medizintourismus. Gefragt sind nicht nur Schönheits-OPs, wie man vielleicht zunächst denken mag, sondern auch die Behandlung komplexer Krankheitsbilder, die die Möglichkeiten der heimischen Krankenversorgung übersteigen.Fsüd
Die allgemein am häufigsten nachgefragten medizinischen Fachbereiche sind dabei die Orthopädie, die Innere Medizin, die Kardiologie sowie die Chirurgie. "Gerade bei seltenen Erkrankungen suchen Patienten die beste Behandlung, die dann eben mit einer Reise nach Deutschland verbunden werden könnte. Eine Behandlung in Deutschland hat dabei auch Prestige-Gründe", so Mariam Asefi, Leiterin des Forschungsbereichs Medizintourismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Einflussfaktoren wie die Ölpreisentwicklung, die Währungsinstabilität oder die Reallohnentwicklungen seien ebenfalls Gründe für eine Behandlung in Deutschland, so Asefi gegenüber der DW.
Medizintourismus weltweit im Aufwärtstrend
Weltweit ist der Medizintourismus als Folge der Globalisierung ein wachsender Markt. Etwa 30 Länder engagieren sich in dem Bereich, besonders beliebt sind die USA, Südkorea, Thailand und die Türkei. Auch Deutschland zählt seit vielen Jahren zu einer der führenden Medizintourismusdestinationen und gilt als verhältnismäßig kostengünstig. Im Jahr 2020 haben sich über 65.000 ausländische Patienten aus 177 Ländern in Deutschland behandeln lassen. Aus den europäischen Ländern reisten die meisten Patienten aus Polen (über 10.000) und den Niederlanden (fast 6000) ein. Die meisten Nicht-EU-Patienten kamen aus Russland (mehr als 2000), der Ukraine (etwa 1400) oder Saudi-Arabien (fast 500).
Rückgang russischer Patienten
Trotz Deutschlands Renommees als führende Medizintourismusdestination ist die Nachfrage nach deutschen Kliniken bei internationalen Patienten in den letzten zwei Jahren drastisch gesunken. Mariam Asefi sieht vor allem einen Rückgang bei russischen Patienten. 2020 sank ihre Anzahl um 34 Prozent. Nach der Pandemie sei die Nachfrage dafür aus anderen Nationen, vor allem EU-Ländern und bestimmten arabischen Ländern, wieder gestiegen, jedoch nicht ausreichend, um die Lücke der russischen Patienten zu schließen.
Und das spüren die Krankenhäuser deutlich. So zum Beispiel das Universitätsklinikum Freiburg, das eine Abteilung speziell für Nicht-EU-Patienten unterhält. Auch hier sind die Zahlen aufgrund der Pandemie und der damit einhergehenden Reiseeinschränkungen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2021 wurden etwa 800 der insgesamt rund 90.000 Patienten des Klinikums von der zuständigen Abteilung betreut. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es noch 1070. Dabei stammte die Mehrheit von ihnen aus der Ukraine, ein Viertel der Patienten kam aus Russland.
Internationale Bereiche werden aufgelöst
Manche Kliniken haben auch schon vor der Pandemie dem Medizintourismus den Rücken gekehrt. Ein Sprecher des Universitätsklinikums Düsseldorf (UKD) betont gegenüber der DW, dass bereits seit einigen Jahren nicht mehr aktiv um internationale Patienten geworben werde. Erlöse aus diesem Bereich seien in der Größenordnung nicht mehr relevant und Medizintourismus sei kein strategisches Feld des UKD.
Ähnliches lässt sich auch in den Berliner Vivantes-Kliniken beobachten. Der eigens für ausländische Patienten eingerichtete Bereich "Vivantes International Medicine" musste zum 31. März dieses Jahres aufgelöst werden, da die Nachfrage immer geringer wurde und sich die Erhaltung finanziell nicht mehr lohnte. Im Jahr 2020 wurden weniger als 1000 Nicht-EU-Patienten behandelt, die meisten kamen aus Russland und dem arabischsprachigen Raum. In den Jahren 2016 bis 2019 waren es noch etwa 1200.
Zukunft ungewiss
Trotz des guten Rufs deutscher Kliniken weltweit steckt der Medizintourismus in Deutschland in der Krise. Inwieweit die Branche sich in den nächsten Jahren von der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg erholen kann, ist unklar. Nichtsdestotrotz glaubt Mariam Asefi an die Branche. "Ich bin Befürworterin des Medizintourismus, auch für Deutschland. Gerade in Zeiten der Globalisierung", sagt sie.