"Deutschlands Rolle wird wichtiger"
20. April 2016An Treffen mangelt es Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsidentin Litauens Dalia Grybauskaitė wahrlich nicht. Mehr als fünfzehn Mal begegneten sich beide in den vergangenen fünfzehn Monaten. Mal zur Debatte über Griechenlands Schulden bei EU-Gipfeln, mal bei Krisengipfeln zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Am Mittwoch kam die litauische Staatspräsidentin, die fünf Jahre auch EU-Kommissarin für Budget und Finanzen war, zum ersten Mal als offizieller Staatsgast nach Berlin. Litauen ist seit 2004 EU-Mitglied, ebenso Bündnispartner in der NATO und zählt derzeit zu den wachstumsstärksten Ländern der Eurozone. Nebst einem Staatsbankett mit Bundespräsident Gauck führte sie auch politische Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zentrales Thema: der Schutz europäischer Außengrenzen.
Aber jetzt: Schutz der EU-Außengrenzen
Bei der Frage, was jetzt die dringlichste Aufgabe sei, wurde die Staatspräsidentin des Dreimillionen-Einwohner-Landes gleich konkret: "Noch haben wir die Kontrolle der EU-Außengrenzen nicht wieder zurück", so Grybauskaitė. Ihr Blick fällt dabei auf die direkte Nachbarschaft, wo sich spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland wieder ein Gefühl unmittelbarer Gefährdung eingestellt hat. Russland "terrorisiere" seine Nachbarn, sagte die Staatspräsidentin zu einem früheren Zeitpunkt. Aber auch mit Blick auf den Mittelmeerraum sei der Schutz der Außengrenzen Kernaufgabe Europas. Der Kampf gegen Schmugglerbanden sei bisher "noch nicht gut gelungen".
Grybauskaitė sieht hierbei Deutschland in der Pflicht: Besonders militärisch sollte sich das Land stärker bei der Überwachung und Sicherung der NATO-Außengrenzen in Osteuropa engagieren, so ihre Forderung an die deutsche Kanzlerin. "Wir wissen, dass Deutschland eine führende Rolle dabei zu spielen hat - und diese Rolle wird immer wichtiger werden." Die Kanzlerin kündigte an, neben der Flugüberwachungsmission (Air Policing) weitere Beteiligungen der Bundeswehr zu prüfen. Konkrete Vereinbarungen sollten, kündigte Merkel an, Anfang Juli auf dem NATO-Gipfel in Warschau fallen."Wir haben keinerlei Vorbehalte, in Litauen weiter dabei zu sein", erklärte die Kanzlerin. Im September 2015 setzte die NATO den "Readyness Action Plan" in Kraft - eine Art Antwort auf die neue Bedrohungslage durch Russland unter der Führung von Präsident Wladimir Putin. Der Pakt soll das Sicherheitsgefühl der NATO-Staaten Mittel- und Osteuropas stärken, durch Patrouillen-Flüge an der NATO-Außengrenze und in Teilen Truppenaufstockungen.
Litauens Skepsis gegenüber dem russischen Nachbarn
Auch die Wiederaufnahme von Gesprächen im NATO-Russland-Rat in Brüssel, kommentierten beide Politikerinnen. An diesem Mittwoch hatte nach zweijähriger Unterbrechung zum ersten Mal das Gremium wieder getagt, in dem sich die NATO-Bündnispartner mit russischen Vertretern zu Sicherheitsfragen austauschen. Grybauskaitė betonte, es sei gut, die Gesprächskanäle wieder zu benutzen. Überzogene Hoffnungen dämpfte sie aber."Die Meinungsunterschiede sind noch sehr groß - eine Zusammenarbeit gibt es also noch keine."
Die Kanzlerin betonte, es gehe um "Gesprächsfähigkeit". Litauens Außenminister Linas Linkevicius hatte zuvor die Aufrüstung russischer Waffenarsenale in unmittelbarer Nachbarschaft zum Baltikum scharf verurteilt. In einem Interview mit tagesschau.de sagte er, es handle sich dabei um "militärisches Rowdytum", das die Gefahr für unbeabsichtigte, aber dann schwerwiegende Zwischenfälle berge.
EU-Türkei-Pakt: Eine "Teillösung"
Grybauskaitė, die ihr Land oft mit markigen Worten weit über seine Grenzen hinaus bekannt gemacht hat, hielt ihre Meinung auch bei ihrer Bewertung des EU-Türkei-Pakts nicht zurück. Das sei nicht mehr als eine "Teillösung", auf die weitere Schritte folgen müssten. "Es ist eine komplizierte Verabredung – und wird auch in Zukunft kompliziert bleiben." Gegenüber dem Handelsblatt Global Edition hatte Grybauskaitė vorab betont, dass jede Lösungen aber nur eine Europäische sein könne. "Europäische Einigkeit ist jetzt keine Möglichkeit unter vielen, sondern eine absolute Notwendigkeit."
Überzeugungen wie diese brachten Grbauskaitė 2013 den renommierten Karlspreis in Aachen ein. Er wird an Persönlichkeiten verliehen, die sich besonders um die europäische Einigung verdient gemacht haben. Ihren Staatsbesuch beendet Grybauskaitė am Donnerstag ganz privat - mit einem Besuch der Potsdamer Schlösser.