Deutschlandtrend: 2024 - Kriege, Krisen, Kanzler
4. Januar 2024Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist erneut in ein deutsches Hochwassergebiet geflogen, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Diesmal war der Kanzler präpariert, kam in Gummistiefeln und musste nicht wieder an der Wasserkante stehenbleiben. Das war ihm Silvester in Niedersachsen passiert, als er in Wanderschuhen kam - was dort für Kopfschütteln und Unmut sorgte.
Auf ihren Kanzler sind die Deutschen ohnehin nicht gut zu sprechen. Nur 19 Prozent der Bürger sind mit der Arbeit von Olaf Scholz zufrieden. Noch schlechter sehen die Werte für die Bundesregierung insgesamt aus. Gerade einmal 17 Prozent finden, dass SPD, Grüne und FDP, die zusammen eine Koalition bilden, ihre Arbeit gut machen.
Das geht aus dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend hervor, für den das Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap am 2. und 3. Januar insgesamt 1321 wahlberechtigte Bürger repräsentativ befragt hat.
Interessant ist, dass selbst die Wähler der Regierungsparteien mehrheitlich unzufrieden sind. Bei der FDP sind es 78 Prozent und bei der SPD 58 Prozent. Selbst bei den Anhängern der Grünen, die seit Amtsantritt der Regierung im Dezember 2021 immer am zufriedensten waren, hebt nur noch jeder Zweite den Daumen.
Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre
Im vergangenen Jahr haben die Koalitionäre viel gestritten. Ob sich das in diesem Jahr ändert, darf bezweifelt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Haushaltsführung der Bundesregierung teilweise für verfassungswidrig erklärt. Nun fehlt viel Geld in der Kasse - und SPD, Grüne und FDP müssen sich darüber einigen, wo sie sparen wollen und können.
Werden sie sich einigen - oder wird die Koalition an den politischen und ideologischen Gegensätzen vorzeitig scheitern? 49 Prozent der für den Deutschlandtrend Befragten glauben daran, dass die Bundesregierung 2024 übersteht, 41 Prozent denken, dass die Regierung scheitern wird. Doch SPD, Grüne und FDP dürften wenig Interesse daran haben, in Neuwahlen zu gehen. Ihre Zustimmungswerte sind so schlecht, dass sie zusammen nur noch auf 32 Prozent kommen.
Verunsichert ins neue Jahr
Infratest-dimap hat zum Jahresbeginn auch die persönlichen Erwartungen der Bundesbürger abgefragt. Sie fallen deutlich weniger positiv aus als zu Beginn des vergangenen Jahres. Nur noch etwas mehr als die Hälfte rechnet für sich selbst mit einem guten Jahr 2024. Ein Drittel glaubt, dass vor ihnen ein eher schlechtes Jahr liegt. Erwartungen für 2024: mehr Extremwetterlagen, fortgesetzter Preisauftrieb, keine Entspannung in der Zuwanderung. 83 Prozent der Bürger finden die Zustände in Deutschland besorgniserregend.
Der Krieg in der Ukraine wird dauern
Wenig optimistisch schauen die Deutschen auch auf die gewaltsamen internationalen Konflikte. Dass der Krieg im Nahen Osten in diesem Jahr beendet wird, halten 73 Prozent der Befragten für unwahrscheinlich. Beim Ukraine-Krieg sind die Befragten noch pessimistischer. Nur neun Prozent glauben an ein Ende in diesem Jahr und damit 23 Prozentpunkte weniger als Anfang 2023 - möglicherweise Ausdruck der hinter den Erwartungen zurückgebliebenen ukrainischen Offensive.
Die Zahl der Bundesbürger, die Gebietskonzessionen der Ukraine an Russland als Voraussetzung für ein Kriegsende ansehen, ist mit 44 Prozent binnen eines Dreivierteljahres erkennbar gestiegen. Dennoch ist nach wie vor eine große Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht, dass in erster Linie die Ukraine selbst zu entscheiden hat, wann sie sich auf Verhandlungen mit Russland einlässt.
Ende vergangenen Jahres hat die Europäische Union beschlossen, EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Eine langfristige EU-Mitgliedschaft des Landes wird im aktuellen ARD-Deutschlandtrend etwas zurückhaltender bewertet als vor einem knappen Jahr. Nach 58 Prozent im Februar äußern sich aktuell 53 Prozent zustimmend. Ebenfalls rückläufig ist die Zustimmung zu einer langfristigen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, die derzeit von weniger als jedem Zweiten (44 Prozent; -7) unterstützt wird.
Was bedeutet das für Deutschland?
Die Bundesregierung will die Ukraine so lange unterstützen, wie es nötig ist. Das finden auch Politiker von CDU und CSU richtig. Die Bundesregierung hat angekündigt, in diesem Jahr allein acht Milliarden Euro für Militärhilfe bereitzustellen. Die Positionen der Bundesbürger zum deutschen Ukraine-Kurs sind in den vergangenen Monaten weitgehend gleichgeblieben. Abhängig davon, ob Bürger in Westdeutschland oder in Ostdeutschland befragt werden, differieren die Antworten allerdings.
Nach wie vor ist gut ein Drittel der Befragten der Meinung, dass Deutschland zu viele Waffen liefert. Jeder Fünfte plädiert hingegen für mehr Militärhilfe. Vier von zehn Befragten finden, dass die gegen Russland getroffenen Sanktionsmaßnahmen ausgebaut werden könnten. Jeder Zweite hält die diplomatischen Anstrengungen Deutschlands zur Beendigung des Krieges für unzureichend.
Spuren hinterlassen die Kriegsdauer und die wachsenden hiesigen Haushaltsprobleme beim Thema Finanzhilfen. Mit 41 Prozent (+21 zu April 2022) erachten mittlerweile doppelt so viele Bundesbürger wie noch zu Kriegsbeginn die finanzielle Unterstützung der Ukraine durch Deutschland als zu weitgehend.
Was wäre, wenn die USA ausfallen würden
Deutschland ist weltweit der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Mit Abstand der größte sind die USA. Wird das 2024 so bleiben? Oder droht ein Rückzug nach den US-Präsidentschaftswahlen Ende des Jahres? Und was würde das für die Europäische Union und Deutschland bedeuten?
80 Prozent der Befragten im Deutschlandtrend haben Zweifel, dass gegebenenfalls ausbleibende amerikanische Hilfen an die Ukraine durch die EU-Staaten kompensiert werden könnten. Bundeskanzler Olaf Scholz sieht Deutschland allerdings in der Pflicht. Das Land müsse sich darauf einstellen, noch mehr leisten zu müssen, "wenn andere schwächeln", sagte Scholz auf dem SPD-Parteitag. Daher müsse es auf deutscher Seite Entscheidungen geben, "dass wir dazu in der Lage sind". Was er damit meint: Notfalls müssten dafür Kredite aufgenommen werden.