Deutschunterricht als Waffe im polnischen Wahlkampf
4. August 2023"Gebt den Kindern die Sprache zurück", kann man seit zwei Wochen auf großen Billboards entlang der Wege in der Woiwodschaft Oppeln im Südwesten Polens lesen. Auch an privaten Häusern hängen Plakate mit demselben Inhalt. Eins sei nicht gleich drei, Sprachunterricht sei keine Politik, steht außerdem auf Plakaten, auf denen ein Junge seine Hand vor den Mund hält. Die Aktion soll an die Reduzierung des herkunftssprachlichen Deutschunterrichts erinnern.
Aus drei Stunden wöchentlich ist seit dem Schuljahr 2022/2023 nur noch eine geworden. Die Einschränkung wurde von einer entsprechenden Kürzung der Finanzen im Staatshaushalt 2022 begleitet. Sie betraf nur die deutsche Minderheit, andere Volksgruppen durften ihre drei Stunden pro Woche nach wie vor behalten. Nach zahlreichen Protesten versprach der Bildungsminister Przemyslaw Czarnek im Januar 2023, die Kürzung rückgängig zu machen. Bisher ist das nicht geschehen.
Die oberschlesische Region Oppeln, die seit 1945 zu Polen gehört, ist das Zuhause für die meisten Mitglieder der deutschen Minderheit im Lande. Offiziell erklären sich derzeit rund 140.000 polnische Staatsbürger als Deutsche. Nach Angaben des Verbands der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) haben aber weit über 300.000 polnische Staatsbürger eine deutsche Identität.
"Politisches Kalkül" der PiS
Wenn man im heutzutage eher homogenen Polen nach einer multikulturellen Region sucht, ist man im Oppelner Schlesien richtig. Und gerade hier wird die Reduzierung des Deutschunterrichts als besonders schmerzhaft empfunden. Davon seien 55.000 Kinder in der Region betroffen, sagt der VdG-Vorsitzende Rafal Bartek der DW.
"Zugrunde lag, meiner Meinung nach, ein total falsches politisches Kalkül, dass sich mit Kindern Politik machen lässt", betont er. Das habe einen stark politischen Kontext und sei ein Teil der antideutschen Rhetorik der Regierung vor den Parlamentswahlen im Herbst. "Herr Minister Czarnek glaubte, dass man damit Berlin treffen kann, weil es angeblich keine Symmetrie gäbe, was die Finanzierung des herkunftssprachlichen Deutschunterrichts in Polen und des herkunftssprachlichen Polnischunterrichts in Deutschland angeht", so der 46-Jährige.
Die angebliche ungleiche Behandlung ist ein Dauervorwurf der PiS-Regierung an Berlin. Der polnische Bildungsminister Przemyslaw Czarnek wiederholt es auch in einem Tweet, in dem er auf die Billboard-Kampagne reagierte: "Wenn 120 Millionen Zloty pro Jahr für den Deutschunterricht als Muttersprache eine Diskriminierung sind, wie nennen Sie dann 0 Euro von der Bundesrepublik Deutschland für den herkunftssprachlichen Polnischunterricht für Polen in Deutschland?"
Unterschiede im Bildungssystem
Zu diesem häufigen Vorwurf der PiS-Regierung an Berlin äußerte sich im Februar 2022 Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, indem er den Unterschied zwischen den Schulsystemen in den beiden Ländern erklärte: "In Polen wird immer behauptet, die Bundesregierung, die Bundesrepublik würde nicht fördern. Das liegt einfach daran, dass in Deutschland die Bildung Ländersache ist. Die Förderung erfolgt auf Länderebene." Laut Fabritius würden die Bundesländer jedes Jahr ungefähr 200 Millionen Euro für den Polnischunterricht ausgeben.
Laut dem Bericht der Kultusministerkonferenz "Zur Situation des Polnischunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland", der der DW vorliegt, betrug die Zahl der Polnisch lernenden Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2019/2020 fast 14.500. Die Vorwürfe, die die PiS an die Bundesregierung in Berlin richtet, beruhen also auf falschen Annahmen und können für Menschen in Polen, die das deutsche System nicht kennen, irreführend sein.
In seinem Tweet nennt der polnische Minister außerdem die Summe von 120 Millionen Zloty, also ungefähr 27 Millionen Euro, die für den herkunftssprachlichen Deutschunterricht in Polen ausgegeben würde. Das ist die Hälfte der früheren Ausgaben. Als im Februar 2022 die Kürzung der Mittel im polnischen Staatshaushalt beschlossen wurde, war aber lediglich von einem Sechstel der früheren Summe die Rede.
Deutschlehrer in schwieriger Lage
Die Lehrer, mit denen die DW sprach, sind besorgt. Marcin Gambiec unterrichtet seit 14 Jahren Deutsch in der Grundschule Nummer 24 in Oppeln - sowohl Deutsch als Fremdsprache als auch Deutsch als Muttersprache. Es sind zwei unterschiedliche Lernprogramme: Deutsch als Muttersprache beginnt schon in der ersten Klasse, Deutsch als Fremdsprache erst in der siebten.
Als der Deutschunterricht reduziert wurde, sollte Gambiec die Hälfte seiner Stunden verlieren. Doch irgendwie hat er sich "gerettet", wie er DW sagt. "Ich war noch in einer guten Lage, weil ich früher ein Zusatzstudium in Informatik gemacht habe und so die fehlenden Stunden als Informatiklehrer ersetzen konnte. Aber meine beiden Germanisten-Kolleginnen, die halbtags als Deutschlehrerinnen arbeiteten, haben ihre Arbeit verloren", so Gambiec.
Kinder als Opfer der Politik
Am schlimmsten aber seien die Kinder betroffen. "Für die deutschstämmigen Familien ist es sehr wichtig, dass die junge Generation die Sprache beibehält, auch, dass sie sie in der Schule lernt. Wer kann, der schickt seine Kinder für längere Zeit zu Verwandten nach Deutschland, damit sie dort die Möglichkeit haben, Deutsch zu üben", erklärt der Lehrer. Doch das alles würde die regulären Deutschstunden nicht ersetzen.
Dass die PiS vor den Wahlen antideutsche Töne anschlägt, gehört für Rafal Bartek zur Normalität. "Seit ich mich erinnere, ist in Polen die antideutsche Karte immer ein Element des Wahlkampfes gewesen", sagt der VdG-Vorsitzende. "Aber es war noch nie so schlimm, dass 55.000 Bürger, in diesem Fall Kinder, von dem politischen Spiel so direkt betroffen waren", fügt er hinzu.
Antideutsche Karte im Wahlkampf
Rund 15.000 Eltern haben einen Protestbrief gegen die Kürzung der Deutschstunden veröffentlicht. Viele haben dem Minister zusätzlich Briefe mit Fragen nach der Zukunft des Deutschunterrichts geschickt. Sie bekamen formalistische Antworten. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft sei "dabei, die bestehenden Regelungen in diesem Bereich zu analysieren, um den Unterricht in Minderheiten-, ethnischen und regionalen Sprachen umfassend zu gestalten".
Im Schuljahr 2023/24, das bald beginnt, wird das Angebot des Deutschunterrichts weiter beschränkt sein. Für Rafal Bartek bleibt die Reduzierung der Deutschstunden eine "Diskriminierung eigener Staatsbürger". "Es ist eine schändliche Karte, die da gespielt wird. Das wird in die Geschichte der polnischen Politik eingehen."