Fünf Denkanstöße für die Demokratie
30. November 2017Eigentlich hat Frank-Walter Steinmeier dieser Tage genug damit zu tun, den Parteien bei Gesprächen zu einer Koalitionsbildung zur Seite zu stehen. Doch für sein "Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie" nahm er sich Zeit. 200 Gäste waren geladen - Verleger, Journalisten, Ex-Minister und andere. Auf der Bühne drei internationale Schriftsteller: Sir Salman Rushdie, Eva Menasse und Daniel Kehlmann.
Steinmeier, der ehemalige Außenminister, fühlte sich wohl in diesem Format. Er hielt nicht nur die Eröffnungsrede, sondern nahm auch engagiert an der Podiumsdiskussion teil über die "Freiheit des Denkens in unruhigen Zeiten". Einige Denkanstöße wurden genannt für die. die nach Antworten auch auf politische Fragen suchen. Was also konnte man aus der Diskussion mitnehmen? Eine Auswahl:
1. Die Sache mit der Identität
Die indische Regierung versuche gerade, ein Hindu-Staat zu werden, also die säkularen Wurzeln des modernen Indien zu kappen, erzählte der in Indien geborene Rushdie. Das sei ein Beispiel für die Gefahr, die in identitärer Politik stecke. Denn sie habe die Tendenz, den Rahmen immer enger zu definieren, also zu sagen, wer dazu gehört und wer nicht. So würden Konflikte immer wahrscheinlicher, warnte Rushdie.
Schriftsteller aber böten ein Gegenprogramm: Bürgerliche Romane würden in ihren Figuren wie "Madame Bovary" schon immer und aktuell zeigen, wie vielseitig die eigene Identität immer ist. "Wir alle sind immer verschiedene Menschen gleichzeitig." Gesunde Vielfalt als Schutz vor Nationalismus.
2. Vom zu schnellen Wandel
"Wir haben als Menschheit gerade eine Wahrnehmungsstörung", sagte Menasse. Denn die digitale Revolution überhole den Entwicklungsstand der Menschheit: "Was ist wahr im Internet, was falsch?" Kehlmann erinnerte an das 16. und 17. Jahrhundert, als das gedruckte Wort die Welt eroberte. "Das war die erste große Zeit der Propaganda", so Kehlmann. Auch damals hätten die Menschen nicht gewusst, was man glauben kann und was nicht.
Doch mit der Zeit seien Systeme entstanden, die Autoritäten waren - wie Verlage oder Buchläden. Heute gelte wie damals erst einmal, die Verwirrung zu überleben. Allerdings habe es damals zunächst viele Kriege gegeben, wie den 30-jährigen Krieg. Heutzutage seien die Risiken von Kriegen wohl zu hoch - hofft Kehlmann.
3. Es beginnt mit der Freiheit des Wortes
Die Geschichte autoritärer Staaten zeige, erinnerte Rushdie, dass der erste Angriff auf demokratische Prinzipien der Angriff auf die Freiheit des Wortes sei. Schriftsteller hätten eine Stimme, die niemandem gehöre. Doch autokratische Regime versuchten, die Geschichten zu bestimmen, die Kontrolle zu haben. Das Ende der Entwicklung sei der autoritäre Führer.
Und was macht der US-Präsident? Donald Trump könne im Moment alles sagen und tun, selbst wenn es noch so "fake" ist; seine Unterstützer glaubten ihm. In der eigenen Partei würden keine Gegenmaßnahmen unternommen. In Teilen der Bevölkerung werde er noch immer als Retter der Zurückgelassenen wahrgenommen. Keine guten Aussichten also.
4. Sind die sozialen Medien schuld?
Wie ruhig wäre es in der Welt, wenn fünf Tage lang niemand die Tweets von Trump lesen würde, träumte Menasse. Der Bundespräsident entgegnete, er sei süchtig danach, auch "Bad News" anzuschauen. Bei ihm zuhause sorge das allerdings schnell für schlechte Laune. "Wir hätten trotzdem ein Problem, wenn alle Sozialen Medien weg wären", entgegnete Steinmeier dem von Menasse exemplarisch geäußerten Kulturpessimismus zu Twitter, Facebook und Co. Die Globalisierung habe die Autonomie von nationalen Regierungen verändert. Es brauche internationale Formate, um das Risiko von Krisen zu verringern. Abschottung als Abwehr sei der falsche Weg. Politiker müssten aufklären, wie vertrackt die Lage wirklich ist. Wichtig seien selbstbewusste Medien im Sinne der Aufklärung jenseits sozialer Medien.
Rushdie gab zu, soziale Medien nach sechs Jahren aufgegeben zu haben. Die darin angebotene direkte Kommunikation habe er eigentlich gut gefunden, doch er und auch Twitter hätten sich geändert. Vieles darauf sei so unangenehm geworden. Seinen Account habe er aber nicht gelöscht - damit auch kein anderer unter seinem Namen twittern könne.
5. Die neue Spaltung der Gesellschaft
In Deutschland hätten verschiedene soziale Schichten kaum noch Kontakte miteinander. Kann es sein, dass wir deshalb viele AfD-Wähler nicht verstehen, fragte Kehlmann in die Runde, oder dass wir bestimmte Einwanderermilieus nicht kennen? Literatur sei immer eine bürgerliche Kunst gewesen, gab Menasse zu bedenken.
Für einen Politiker sollte das natürlich nicht gelten, entgegnete Steinmeier. Der Eindruck sei falsch, dass Politiker nicht wüssten, was im Volk los ist. Viele Bürger wollten die Kontrolle über ihre Welt zurückerobern, die verlorene Überschaubarkeit wieder gewinnen. Die Erzählkunst trage zur Selbsterkenntnis einer Gesellschaft bei, wenn sie denen eine Stimme verleihe, die sonst ungehört blieben, sagte Steinmeier.