Dialog oder Konfrontation?
19. November 2014Martin Hoffmann ist ein sogenannter "Russlandversteher". Er ist Geschäftsführer des Deutsch-Russischen Forums, das nach eigenen Angaben "den Dialog zwischen den Gesellschaften Deutschlands und Russlands organisiert". Und er fordert mehr Verständnis für die Nöte und Ängste der Russen. Menschen, mit denen er seit Jahren in einem engen Austausch stehe, fühlten sich vom Westen verletzt und missverstanden, sagte er der Deutschen Welle. Das gehe viel tiefer, als man im Westen annimmt, und betreffe nicht nur die Elite des Landes. "Wir verlieren Russland", warnt Hoffmann.
Er selbst habe in der Zeit des Kalten Krieges russische Philologie studiert und das Land häufig bereist. Damals sei die russische Gesellschaft trotz der tiefen ideologischen Gegensätze dem Westen zugewandt gewesen. Die politischen Auseinandersetzungen hätten dem gegenseitigen Respekt keinen Abbruch getan, so Hoffmann. Zu einer solchen Atmosphäre müsse man in der aktuellen Krise wieder zurückfinden.
Das bedeute nicht, dass man die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Unterstützung der ukrainischen Separatisten durch den Kreml widerspruchslos hinnehme. "Die Politiker müssen hart verhandeln. Das lässt sich nicht ändern. Was man aber verändern kann, ist die Atmosphäre, in der diese Verhandlungen stattfinden." Darum spricht sich Hoffmann gegen Wirtschaftssanktionen aus. Sie würden in Russland als Bestrafung wahrgenommen, sagt er, "als Gebärde eines überlegenen Akteurs dem Unterlegenen gegenüber."
"Die Personalisierung der Russland-Kritik ist falsch"
Auch die Zuspitzung des Konflikts auf die Person des russischen Präsidenten Wladimir Putin hält Hoffmann nicht für hilfreich. Viele Russen identifizierten sich mit ihrem Staatsoberhaupt und empfänden die verbalen Angriffe auf ihn als Herabwürdigung ihres Landes. Daraus könne sich eine hochgefährliche Dynamik entwickeln. Darum begrüßt der Geschäftsführer des Deutsch-Russischen Forums die diplomatischen Bemühungen von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier um eine Entschärfung des Konflikts. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel lasse ja den Gesprächsfaden mit dem Kreml nicht abreißen.
Daneben sei aber auch die Zivilgesellschaft in Deutschland und Russland gefragt. "Die Gesellschaften haben eine große Verantwortung, für eine Atmosphäre zu sorgen, in der die Politiker einen Spielraum für Deeskalation haben". Die Zivilgesellschaften in Russland und Europa müssten durch Signale und Gesten immer wieder deutlich machen, "wie wichtig Russland für Europa ist und wie wichtig Europa für Russland ist".
Shuttle-Diplomatie des deutschen Außenministers
Steinmeier war am Dienstag vor dem Hintergrund der Zuspitzung des Konflikts um die Ukraine nach Kiew und Moskau gereist. In der ukrainischen Hauptstadt forderte er die Konfliktparteien auf, das Minsker Abkommen einzuhalten. Die Vereinbarung sei zwar nicht perfekt, sie biete aber eine Grundlage, auf die man sich berufen könne, sagte er nach seinen Treffen mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk und Präsident Petro Poroschenko.
Das Anfang September geschlossene Minsker Abkommen müsse nicht nur respektiert, sondern Zug um Zug umgesetzt werden. Dazu gehörten der vereinbarte Gefangenenaustausch, die Demilitarisierung bestimmter Gebiete und die Überwachung von Grenzen. Steinmeier beklagte, dass es nach einer gewissen Phase der Beruhigung nun zu erneuten Spannungen gekommen sei und warnte vor einer Rückkehr zur Konfrontation.
Dass offenbar auch Russland darauf setzt, den Gesprächsfaden mit Berlin nicht abreißen zu lassen, zeigt die überraschende Einladung an Außenminister Steinmeier: Nach seinem Gespräch mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag in Moskau wurde er gebeten, auch noch in den Kreml zu Präsident Putin zu kommen. Die Unterredung sei "ernsthaft und offen" gewesen, hieß es im Anschluss aus deutschen Delegationskreisen. Bei dem 75-minütigen Treffen zwischen Putin und Steinmeier sei es um "Wege aus der Ukraine-Krise, die neue Perspektiven der Kooperation eröffnen könnten" gegangen. Konkrete Ergebnisse wurden nicht bekannt.
Deutliche Worte des Bundeskanzlerin
Am vergangenen Wochenende hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Auftritt im australischen Sydney ungewöhnlich deutliche Worte gefunden. In Europa müsse man derzeit erleben, dass es noch immer Kräfte gebe, die sich dem gegenseitigen Respekt und einer Konfliktlösung mit demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln verweigerten und stattdessen auf das Recht des Stärkeren setzten, sagte sie.
Russland habe mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim die territoriale Integrität und die staatliche Souveränität der Ukraine verletzt. Dies stelle die europäische Friedensordnung nach zwei Weltkriegen und dem Ende des Kalten Krieges insgesamt infrage.
"Wir wissen, dass regionale Konflikte sich sehr schnell zu einem Flächenbrand ausweiten können", fügte Merkel hinzu. Militärisch sei der Konflikt nicht zu lösen. Dies könne aber nicht bedeuten, dass man ihn gar nicht lösen könne. Sie setze daher auf ökonomischen Druck. Dabei sei der Westen aufgefordert, Nachteile durch die Sanktionen in Kauf zu nehmen.
Für und wider eine harte Hand
Deutliche Unterstützung erhielt Merkel von Werner Schulz, einem ehemaligen Europa-Abgeordneten der Grünen und scharfen Kritiker des russischen Präsidenten. Er lobte die klaren Worte der Kanzlerin, bezweifelte jedoch, ob Wirtschaftssanktionen den gewünschten Erfolg bringen könnten. Die bisher ergriffenen Maßnahmen hätten Putin nicht zum Einlenken gebracht, sagte er im Deutschlandfunk. Nach der Annexion der Krim wäre es angemessen gewesen, der russischen Schwarzmeer-Flotte die Durchfahrt durch den Bosporus zu verweigern. "Das wäre die entsprechende Antwort gewesen. Das hätte man im Kreml sehr gut verstanden und wir hätten uns alles Weitere ersparen können", so Schulz. Russland treibe einen aggressiven, völkischen Nationalismus voran.
Ganz anders die Position der Linken. Sie sieht die Verantwortung auf beiden Seiten des Konflikts, in Moskau und in Kiew. Wolfgang Gehrcke, Außenpolitik-Experte der linken Bundestagsfraktion sagte, man müsse "zweiseitig agieren". Russland und die Ukraine müssten sich an das Minsker Abkommen halten. Dies bedeute, dass die Regierung in Kiew ihre Armee aus den Grenzregionen zu Russland zurückziehen und Russland die Überwachung durch die OSZE zulassen müsse und keine Waffen mehr in die Konfliktregion liefern dürfe. Gehrcke ist derzeit zu Gesprächen in Russland und der Ukraine unterwegs.