Die Allianz der Salafisten
6. Januar 2013Er wolle "ein neues Kapitel" aufschlagen, kündigte Emad Abdel Ghaffur zu Jahresbeginn in Kairo an. Der ehemalige Vorsitzende der ägyptischen Partei Al-Nour ("Das Licht") hatte offenbar genug von dem internen Machtkampf, der die Partei bereits seit einigen Monaten beschäftigt. Dabei ging es unter anderem um die Frage, welche Rolle die Kleriker künftig bei politischen Entscheidungen spielen sollen. Während die Scheichs in der Partei die Führung für sich beanspruchen, wollen die Politiker und Pragmatiker von Al-Nour mehr Unabhängigkeit von den islamischen Gelehrten.
Der als pragmatisch geltende Ghaffur hat nun seinen Austritt aus der Partei erklärt, die als noch konservativer gilt als die "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit" der regierenden Muslimbrüder. Statt der Al-Nour-Partei führt Ghaffur nun die neu gegründete Partei Al-Watan ("Das Heimatland") - und hat bereits mehr als 100 ehemalige Al-Nour-Mitglieder abgeworben.
Mehr salafistische Parteien
Dadurch hat sich das Parteienspektrum der Salafisten erweitert. Neben der dominierenden "Partei des Lichts", der wesentlich kleineren "Partei der Authentizität" und der "Partei für Aufbau und Entwicklung" können sich die ägyptischen Wähler nun auch für die Partei "Das Heimatland" entscheiden. Darüber hinaus hat der ultrakonservative Fernsehprediger Hasem Abu Ismail, der im vergangenen Jahr ursprünglich als Präsidentschaftskandidat hatte antreten wollen, ebenfalls die Gründung einer neuen Partei angekündigt. "Die beiden Parteien wollen ein Tandem bilden und gemeinsam salafistische Werte vertreten", sagt Günter Meyer, Professor für Wirtschaftsgeographie und Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt in Mainz.
Einen politischen Impuls erwartet Hamadi El-Aouni, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, von den neuen Parteien allerdings nicht. Eine salafistische Partei "mehr oder weniger" verändere die Szene in Ägypten nicht. "Das sind nur Namen, keine Programme." Und Günter Meyer ergänzt: "Im Gegensatz zu den säkularen Parteien, die sich vor der Parlamentswahl gegenseitig bekämpft haben, bilden die salafistischen Parteien eine Einheit."
Einfluss trotz Uneinigkeit
Die "Islamische Allianz", die sich aus den drei älteren salafistischen Parteien zusammensetzt, hatte bei den - inzwischen für ungültig erklärten - Parlamentswahlen im vergangenen Jahr rund 25 Prozent der Stimmen gewonnen. El-Aouni und Meyer rechnen damit, dass sie auch bei den Neuwahlen in einigen Wochen gut abschneiden - und dass auch interne Machtkämpfe daran nichts ändern werden.
Die wirtschaftliche Misere des Landes spiele den Salafisten dabei in die Hände, meint Hamadi El-Aouni. "Die Salafisten sind in der Lage, ihre Leute zu mobilisieren - und die Leute lassen sich sehr leicht mobilisieren", sagt er. Seit Beginn der Umwälzungen leidet die ägyptische Bevölkerung unter Arbeitslosigkeit, Armut und Unsicherheit. "Es ist leicht, jemandem für einen Liter Olivenöl oder für einen Sack Mehl seine Stimme abzukaufen. Und das machen die Salafisten - nicht spontan, sondern sehr gut organisiert."
Politik und Propaganda
Dabei galten die Salafisten - im Gegensatz zu den ebenfalls islamistischen Muslimbrüdern - unter Ägyptens ehemaligem Machthaber Husni Mubarak als unpolitisch. Denn die Teilnahme am politischen Prozess unterhöhlt ihre Kerndoktrin, wonach nur der Koran und die Sunna, also die Überlieferungen des Propheten, gültige Quellen von Glauben und Handeln sind. Seit dem Sturz des Präsidenten hat sich die Haltung vieler Salafisten allerdings geändert. "Jetzt sind die Islamisten an der Macht", sagt El-Aouni mit Blick auf die Muslimbrüder, die ebenfalls eine stärkere Rolle des Islam in Politik und Gesellschaft fordern. "Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und strukturell. Das heißt: Sie haben Möglichkeiten, die sie früher nicht hatten."
Auch die Salafisten nutzen diese neuen Möglichkeiten. "Sie arbeiten mit verschiedenen Methoden", sagt El-Aouni. "Sie haben Berufsprediger, Fernsehkanäle, Radiosender und Zeitungen - also eine Reihe von Propaganda-Plattformen, die wirklich effizient sind. Hinzu kommt: Die Salafisten haben viel Geld und werden finanziell aus dem Ausland unterstützt - vor allem aus den Golfstaaten." Ein wirklich neues Kapitel werden die Salafisten allerdings kaum aufschlagen: Die große Mehrheit dieser Strömung fordert eine Rückkehr zum Ur-Islam der frommen Altvorderen.