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Die alte Last der neuen Linken

Bernd Gräßler4. Dezember 2014

Sie hat sich neu organisiert, umbenannt und entschuldigt. Doch ihre Vergangenheit verfolgt die Linkspartei - auch bei der bevorstehenden Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Wieder einmal kommt die Stasi ins Spiel.

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Abbau des Berliner Denkmals von Lenin im Jahr 1991
Arbeiter in Berlin bauen ein Lenin-Denkmal ab (1991)Bild: picture alliance/dpa

Ohne den Landtagsabgeordneten Frank Kuschel geht nichts bei der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten in Thüringen am Freitag. Denn Linke, Sozialdemokraten und Grüne, die gemeinsam regieren wollen, haben nur eine Stimme mehr im neu gewählten Landtag. Das Problem: Der Linken-Abgeordnete Frank Kuschel, 53, war zu DDR-Zeiten unter dem Decknamen "Fritz Kaiser" inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit, bespitzelte Ausreisewillige und wurde von einer Ethikkommission 2006 als moralisch "parlamentsunwürdig" eingestuft.

Zwar gaben die Wähler in Thüringen der Linken, mit Kuschel auf Platz acht der Landesliste, jüngst 28 Prozent der Stimmen. Doch je näher die Ministerpräsidentenwahl rückt, umso größer wird erneut der Stasi-Schatten, der sich auf die ganze Partei samt ihrem - aus dem Westen stammenden - Ministerpräsidenten-Kandidaten Bodo Ramelow legt. Bundespräsident Joachim Gauck fragte: "Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?"

Mit offener Akte der Vergangenheit gestellt

Ist sie das? Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping ist davon überzeugt, dass ihre Partei Vertrauen verdient. Selbst der einstige IM "Fritz Kaiser" in Thüringen. Denn der habe aus seiner Stasi-Mitarbeit nie einen Hehl gemacht, sondern seine Akte offengelegt und "für sich und andere transparent gemacht, wie es dazu kommen konnte". Sie verweist darauf, dass die Vorgängerpartei der Linken, die aus der SED hervorgegangene PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus), bereits Anfang der 1990er Jahre beschlossen hatte, dass jeder, der ein Parlamentsmandat oder ein Parteiamt anstrebt, eine eventuelle Stasi-Tätigkeit beichten muss.

"Ich finde, dass sich meine Partei immer wieder der Vergangenheit gestellt hat", sagt Katja Kipping im DW-Gespräch, "und zwar in einer Art und Weise, wie ich mir das von den einstigen Blockparteien nur wünschen würde". Der Seitenhieb gilt vor allem der CDU, die sich nach dem Fall der Mauer ohne größere Skrupel mit ihrer ostdeutschen Schwesterpartei vereinigte, obwohl diese bis 1989 fest an der Seite der SED gestanden hatte. Gerade vor der Thüringen-Wahl reibt die CDU den Linken immer wieder ihre Vergangenheit unter die Nase. "Nur weil die heute nicht mehr links sind, sind sie frei von allem Zweifel, was sie in der Vergangenheit gemacht haben?", sagt Katja Kipping. "Für mich ist politisch wichtig, es sich nicht leicht zu machen."

Linken-Vorsitzende Katja Kipping (Foto: dpa)
Katja Kipping: "Wichtig, es sich nicht leicht zu machen"Bild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

"Später kann man kluge Sachen sagen"

Ihre Partei, findet die Chefin, habe es sich nicht leicht gemacht mit dem ungeliebten Erbe einer Staatspartei, an dem auch die junge, unbelastete Generation trägt.

Mit der Frage, ob es 1989 nicht besser gewesen wäre, die SED aufzulösen und eine neue linke Partei zu gründen, kann sie nicht viel anfangen: "Nach einem Vierteljahrhundert kann man immer kluge Sachen sagen. Aber ich glaube, die Antriebsfeder war damals, sich nicht vor dem Erbe zu drücken und die Verantwortung zu übernehmen." Dass zum Nachlass auch beträchtliches Immobilien- und Geldvermögen gehörte, erwähnt sie nicht. Vor denen, die damals in der Partei blieben, hat Kipping "großen Respekt", weil das die echten Linken seien, die sich nicht dem "kapitalismusaffinen Zeitgeist" gebeugt hätten.

Die zierliche Dresdnerin war gerade mal 11 Jahre alt, als die Mauer fiel und die SED entmachtet wurde. Wenn sie von Stasi-Spitzeln spricht, dann verwendet sie den später von den Westmedien geprägten Begriff "informelle Mitarbeiter" statt der DDR-Bezeichnung "inoffizieller Mitarbeiter". Die Drangsalierung von Ausreisewilligen, die Schüsse an der Grenze dürften für sie schlimme aber ferne Entgleisungen eines diktatorischen Sozialismus sein.

Ein Drittel aus dem Westen

Im Dezember 1989 verkündete ein SED-Parteitag den Bruch mit dem Stalinismus, schmiss die alte Führung aus der Partei und entschuldigte sich bei der Bevölkerung für das verübte Unrecht. Die ehemalige Staatspartei schrumpfte auf rund 220.000 ihrer bis dato 2,3 Millionen Mitglieder. Darüber, wie viele von einst heute noch in der Linkspartei sind, führt man in der Zentrale im Berliner Karl-Liebknecht-Haus keine Statistik. Ohnehin stammt mittlerweile rund ein Drittel der rund 64.000 Mitglieder aus den westlichen Bundesländern. Der größte Schub kam 2007, im Gefolge des einstigen SPD-Chefs Oskar Lafontaine. Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die vom Kurs des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder enttäuscht waren, stießen zu den ostdeutschen Genossen. Gleichzeitig sinkt aus biologischen Gründen die Zahl derjenigen in der Linkspartei, deren Leben lange und eng mit der DDR verbunden war. Wer heute noch dabei ist, hat sich - wie der Kommunalexperte Kuschel - mitunter durch überdurchschnittlichen Fleiß ein Abgeordnetenmandat der Linken gesichert.

Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linken im Thüringer Landtag (Foto: dpa)
Ramelow hat zugesichert, keinen früheren Stasi-Mitarbeiter in Regierungsämter zu hievenBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Keine nostalgischen Gefühle

Die heute 36-jährige studierte Slawistin Katja Kipping glaubt an die Veränderbarkeit der Menschen. Nostalgische Gefühle sind ihr aber fremd. "Völlig richtig" findet sie die Bezeichnung der DDR als "Unrechtsstaat" in einem Papier, das die Genossen in Thüringen jüngst unterzeichneten. Sozialdemokraten und Grüne hatten das gefordert, als Gegenleistung für die Wahl eines linken Ministerpräsidenten in Thüringen. Bisher war die Sprachregelung innerhalb der Linken milder: Die DDR sei ein Staat gewesen, in dem "auch" gravierendes Unrecht geschah.

In Thüringen hat Ministerpräsidenten-Anwärter Bodo Ramelow außerdem zugesichert, keine früheren Stasi-Mitarbeiter in Regierungsämter zu hieven. Frank Kuschel alias IM "Fritz Kaiser" wird also einfacher Abgeordneter bleiben.