Belastete Vergangenheit
13. April 2012Der 9. Juli 2011 war ein historisches Datum für den Sudan. An diesem Tag erklärte der Südsudan seine Unabhängigkeit von seinem nördlichen Nachbarn, der Republik Sudan. Ein halbes Jahr vorher hatten sich rund 99 Prozent der Südsudanesen in einem Referendum für die Abspaltung vom Norden ausgesprochen. Frieden und Ruhe sind seitdem trotzdem nicht eingekehrt. Zehn Monate nach der Unabhängigkeit wird weiter erbittert um Ölfelder in der Grenzregion gekämpft. Anfang der Woche (09.04.2012) hatten sudanesische Flugzeuge Gebiete südlich der Grenze bombardiert, daraufhin marschierte die südsudanesische Armee Richtung Norden und besetzte die Erdölanlagen in der Region Heglig.
Ringen ums schwarze Gold
Es geht um Ressourcen, genauer gesagt ums Öl. Der Norden des Landes hatte bei der Abspaltung des Südsudans 75 Prozent seiner Erdölvorkommen verloren. Der Verlust wiegt allerdings für beide Länder schwer, beziehen sie doch enorme Deviseneinkünfte durch das schwarze Gold - der Süden ist sogar zu 98 Prozent von den Erdöl-Einnahmen abhängig. Die meisten Vorkommen befinden sich seit der Abspaltung zwar jetzt im Süden, aber die Pipelines für den Transport gehören dem Norden. Im Streit über die Höhe der Gebühren für die Nutzung der sudanesischen Pipelines stellte der Südsudan seine Ölförderung im Januar ein. Momentan fließt kein Öl mehr. Den Regierungen beider Staaten fehlen nun die bitter benötigten Einkünfte.
"Es geht bei weitem nicht nur um das Öl, es geht letztlich auch um die Machtfrage zwischen den beiden Staaten. Man muss den Blick weiten, um zu verstehen, was hier eigentlich passiert", sagt Ulrich Delius, Afrikareferent der Organisation Gesellschaft für bedrohte Völker. Ein Blick in die Geschichte der beiden Staaten zeigt die Ursprünge der schwelenden Konflikte. Im 19. Jahrhundert betrieben Sklavenhändler aus dem Norden im Süden des Sudans regelrecht Jagd auf Menschen und machten sie zu Sklaven. Als der Sudan 1956 als gemeinsamer Staat seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien erlangte, blieb den Südsudanesen eine Beteiligung an der Verwaltung und Regierung des Landes weitgehend verwehrt. Der schwelende Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden brach nach der Unabhängigkeit 1956 großflächig aus und gipfelte in einem Bürgerkrieg. Der erste Bürgerkrieg dauerte bis 1972, ein zweiter von 1983 bis 2005 zerrüttete das Land nachhaltig. Eigentlich sollte das Friedensabkommen von 2005, welches in dem Referendum und der Unabhängigkeit 2011 gipfelte, die Probleme lösen und für Frieden sorgen.
Ungeklärte Fragen der Vergangenheit
"Dinge, die im Friedensabkommen von 2005 vereinbart wurden, sind immer noch nicht umgesetzt worden. Die Grenzen sind nicht demarkiert worden, es gibt Gebiete, bei denen nicht klar ist, zu wem sie gehören", erklärt Marina Peter vom Netzwerk Sudan Focal Point Europe. Vor allem die Situation um die Provinz Abyei, der ein Sonderstatus in der Grenzregion zukommen sollte, ist immer noch nicht geklärt. "Es hat kein Referendum in Abyei gegeben, man konnte sich nicht einigen, welche Volksgruppen hier abstimmen sollten", sagt Peter. Eigentlich sollte die Zugehörigkeit von Abyei zeitgleich zum allgemeinen Referendum im Sudan ebenfalls im Januar 2011 geklärt werden, doch die steht bis heute aus.
"Was wir jetzt sehen, ist ein Ringen um Genugtuung für die Verbrechen, die von der jeweils anderen Seite begangen wurden. Wir haben über Jahrzehnte einen Völkermord gesehen, der nicht aufgearbeitet worden ist. Deshalb liegen da manchmal die Nerven blank", sagt Afrika-Experte Delius. So sei auch der Status der südsudanesischen Flüchtlinge, die in den letzten Jahren im Norden Zuflucht gesucht haben, noch ungeklärt, sagt Delius. "Letztlich geht es aber um das Überleben beider Regierungen, weil sie eben von den Einnahmen der Ölförderung abhängig sind." Beide Staaten würden systematisch versuchen, dem jeweils Anderen die Existenzgrundlage zu entziehen. "Da werden dann etwa Vorwürfe erhoben, dass Öl illegal abgeschöpft worden sei", berichtet der Sudan-Experte.
Gipfeltreffen abgesagt
Ob eine Eskalation der Gewalt überhaupt noch abzuwenden ist, scheint derzeit mehr als fraglich. In einem Telefonat zwischen UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mit dem südsudanesischen Präsidenten Kiir hatte Moon dringend zu einem Treffen der beiden mit Sudans Staatschef Omar al-Baschir aufgerufen. Allerdings wurde das für Anfang April geplante Gipfeltreffen wegen wachsender Spannungen abgesagt.
"Wahrscheinlich muss man jetzt mit internationalen Sanktionen drohen, um eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern", fordert Delius. Fraglich sei, was Sanktionen in der jetzigen Situation noch bringen können, sagt Sudan-Expertin Peter. "Eine weitere Eskalation des Krieges scheint kaum abwendbar, der Nordsudan hat ja schon all seine Männer zu den Waffen gerufen."
Die internationale Gemeinschaft ist gefragt
Doch wie könnte der Konflikt dauerhaft beigelegt werden? "Es kann nur eine Lösung am Verhandlungstisch geben. Die internationale Gemeinschaft muss die beiden Parteien drängen, zu einer gemeinsamen und friedlichen Lösung zu kommen", sagt Delius. Allerdings liege der internationale Fokus derzeit stark auf Syrien.
"Das Dramatische ist natürlich, dass das Schicksal der Zivilbevölkerung von beiden Seiten herzlich wenig berücksichtigt wird", klagt Delius an.