Die beste Bildung für die Zukunft
17. Juni 2013Bildungspolitik ist Erwachsenensache. Ministerien und Gremien entscheiden darüber, was gut für den Nachwuchs ist und was nicht. "Uns fragt ja niemand!" Diesen Satz hört Karin Thelemann vom Goethe-Institut Stockholm immer wieder von ihren schwedischen Sprachschülern. Auch in Schweden läuft in der Schule längst nicht alles rund, obwohl die Skandinavier seit Jahren bei Bildungsstudien die vorderen Plätze belegen.
Politik ignoriert Schülerperspektive
Also hat Karin Thelemann das Netzwerk des Goethe-Instituts genutzt und mit der schwedischen Schülergruppe das Projekt "Dialog: Bildung und Zukunft" ins Leben gerufen. Ein Projekt, das vom Goethe-Institut und der EU unterstützt wird. "Den ersten Kontakt hatten wir nach England, dann kamen ganz schnell noch Schulen und Universitäten aus Finnland, Deutschland und den Niederlanden dazu", freut sich Thelemann über das große Engagement seitens der Schüler und Studenten.
Was bringt Sitzenbleiben? Wie sinnvoll sind Schulnoten? Und vor allem: Wie lernen die europäischen Nachbarn? Mit diesen Fragen haben sich 50 internationale Schüler und Studierende aus fünf Ländern zwei Tage lang in München beschäftigt.
Lernen von den Nachbarn
"Vieles könnte man am deutschen oder englischen Bildungssystem verbessern!" Da sind sich Simon und Liam einig. Der 16-jährige Gymnasiast aus dem oberbayerischen Erding und der 18-jährige Student aus Newcastle haben sich gegenseitig das Schulsystem ihrer Länder vorgestellt. "Da gibt es einiges, was man von den europäischen Nachbarn abschauen kann", sagt der junge Germanistikstudent aus Newcastle in fließendem Deutsch. Zum Beispiel das duale Ausbildungssystem der Berufsschulen in Deutschland. Da lernt man die Praxis in einem Betrieb und geht zur Berufsschule, um sich die Theorie anzueignen. Liam findet das "fantastisch" - in England komme neben den Fremdsprachen auch die praktische berufliche Bildung viel zu kurz, weil alles so stark auf die Universitäten ausgerichtet sei.
Einig waren sich Simon und Liam mit den anderen Teilnehmern auch, dass das finnische Bildungssystem das beste ist. Dort gehen alle Schüler neun Jahre lang in eine Gemeinschaftsschule, bevor sie sich dann mit 15 Jahren für eine andere Schule oder eine Ausbildung entscheiden müssen. In Deutschland dagegen werden die Kinder schon nach der vierten Klasse in verschiedene weiterführende Schulen geschickt. "Viel zu früh", meint Gymnasiast Simon.
Beispiel Finnland: Individualität und Chancengleichheit
Ihn hat vor allem die Chancengleichheit beeindruckt, die das gesamte finnische Bildungssystem prägt: "In Finnland werden alle Studierenden vom Staat unterstützt, dort gibt es sogar Essensgeld für alle!", weiß Simon von Mikka Soumalainen. Der Lehramtststudent aus Helsinki hat Simon im Workshop erklärt, wie sich das Leben als Student in Finnland anfühlt.
Aber dem angehenden Lehrer für Deutsch und Englisch fällt sofort etwas ein, das man auch in der finnischen Schule verbessern könnte. "Mehr soziale Fähigkeiten, mehr mündliche Kommunikation würden bestimmt nicht schaden", sagt Mikka. Dort lernen die Schüler den Unterrichtsstoff größtenteils anhand von individuellen Lernplänen. Der Austausch komme dabei manchmal zu kurz, findet er.
Petition an nationale Bildungspolitiker
Während der Projekttage in München haben sich die Schüler und Studenten nicht nur gegenseitig informiert, sie wollen jetzt auch gemeinsam etwas bewegen. Sie haben eine Petition mit Lob und Kritik für jedes Land verfasst, die jetzt an die einzelnen Bildungsminister geschickt wird. Gymnasiast Simon aus Bayern etwa fordert wie seine Schülerkollegen aus den Niederlanden eine längere gemeinsame Schulzeit. Die Schweden hätten gerne kleinere Klassen und Verbesserungen bei der Lehrerausbildung. Die Engländer wünschen sich ein duales Ausbildungssystem und einen verpflichtenden Fremdsprachenunterricht.
Ob sie damit Politiker wie den bayerischen Bildungsminister Ludwig Spänle oder seinen schwedischen Kollegen Jan Börklund zum Nachdenken bringen? "Wir hoffen es!", sagt Lars Lundkvist, der als Lehrer eine Schülergruppe nach München begleitet hat. Doch selbst wenn der Appell in den Weiten der Ministeriumsgänge verhallen sollte, nehmen die Teilnehmer viel nach Hause mit, glaubt Karin Thelemann vom Goethe-Institut. "Mich hat es begeistert, wie sich die Schüler und Studenten ausgetauscht haben, und wie gut sie sich artikulieren können, ganz gleich ob auf Deutsch oder in einer anderen Sprache!"