Die Bombe ist schon da
15. April 2004Nach einem Bericht der "New York Times" wurden Khan, der im Januar illegale Lieferungen von Nuklear-Technologie an Iran, Libyen und Nordkorea zugegeben hatte, bei einem Besuch in Nordkorea vor fünf Jahren drei Atomwaffen gezeigt. Khan habe dies in Interviews mit pakistanischen Behörden gesagt, berichtet die Zeitung unter Berufung auf amerikanische und asiatische Regierungsbeamte. Sollten Khans Angaben zutreffen, wäre es das erste Mal, dass ein Ausländer nordkoreanische Atomwaffen gesehen hätte. Die Nachricht würde zudem den Druck auf die internationale Gemeinschaft, besonders die USA, China und die IAEO verstärken, Nordkorea zur Kontrolle oder Aufgabe seines Atomprogramms zu bewegen.
Bereit für den Einsatz?
Ostasien-Experten gehen im Interview mit DW-WORLD inzwischen übereinstimmend davon aus, dass Nordkorea tatsächlich bereits über Atomwaffen verfügt. Für Patrick Köllner vom Institut für Asienkunde in Hamburg sind die Aussagen von Khan daher ein weiteres Teilchen im großen Atom-Puzzle Nordkorea. Man müsse nun annehmen, dass Nordkorea tatsächlich über Atomwaffen verfüge. "Die noch wichtigere Frage, die bislang aber noch nicht beantwortet ist, lautet: Kann Nordkorea die Atomwaffen auch miniaturisieren, um sie auf Trägersystemen einzusetzen", sagt Köllner. Bislang habe man angenommen, dass Nordkorea nicht dazu in der Lage sei, doch seit die Pakistan-Connection bekannt wurde, gebe es vermehrt Zweifel an dieser Annahme, da Pakistan über die Miniaturisierungs-Technologie verfüge. "Ich glaube nicht, dass Nordkorea schon die Technologie hat, die Atomwaffen auch einzusetzen", betont dagegen Xuewu Gu, Leiter der Sektion Politik Ostasiens an der Ruhr-Universität Bochum.
Die immer wiederkehrenden Atom-Drohungen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-Il sind die letzte Hoffnung eines isolierten Regimes. "Das Land sieht sich seit Anfang der 90er Jahre subjektiv als bedroht an", erläutert Asien-Fachmann Köllner. Erst wurde der Beistandspakt mit der Sowjetunion aufgekündigt. Die Unterstützung durch den großen Nachbarn China gilt seit längerem als äußerst ungewiss, Japan und Südkorea werden wirtschaftlich und militärisch zunehmend als Bedrohung wahrgenommen und schließlich haben die USA Nordkorea mit militärischen Konsequenzen gedroht. Die Folge: Nordkorea sieht sich von Feinden umzingelt und setzt als letzten Strohhalm auf Atomwaffen als strategischen Ausgleichsmechanismus.
Militärische Mittel in Reichweite
Und tatsächlich haben die Supermacht USA und die regionale Großmacht China bezüglich Nordkoreas gleiche Interessen: "Sie wollen beide unbedingt verhindern, dass Nordkorea über einsatzfähige Atomwaffen verfügt", sagt Ostasien-Experte Gu und ergänzt: "Die USA wollen keine weitere Atommacht neben China in Ostasien, die Chinesen wollen die einzige Nuklearmacht in der Region bleiben." Gleiches Interesse, andere Methoden: "Die USA donnern, die Chinesen lächeln", sagt Gu. Während die Amerikaner wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Druck auf das Land ausüben und sich nicht erpressen lassen wollen, setzen die Chinesen auf Verhandlungen mit Nordkorea. "Im Notfall werden die USA auch begrenzte militärische Mittel anwenden", glaubt Gu. Dagegen fürchteten die Chinesen vor allem einen Zusammenbruch des Systems in Nordkorea, weil sie davon direkt betroffen würden.
Die Gefahr der Weitergabe von Atomwaffentechnologie, der so genannten Proliferation, an andere Staaten oder Terroristen durch das marode Regime halten die Experten für beherrschbar. "Die Sorge der Proliferation ist berechtigt, aber ich glaube das ist sehr schwierig und die USA überwachen das sehr gründlich", sagt Gu. Sein Kollege Köllner wird noch deutlicher: "Die USA wissen anders als bei El Kaida sehr genau wo sich Nordkorea befindet und überwachen die Lage genau. Sollte Nordkorea so dumm sein und versuchen Atomwaffen zu verkaufen - was ich für sehr unwahrscheinlich halte - dann gäbe es kein Regime Kim Il Sung mehr."
Zeit läuft für Nordkorea
Stattdessen wird es den Experten zufolge zu einer mehrstufigen Lösung der Krise kommen müssen. Nordkorea wird Kontrollen vor Ort und später die Aufgabe seines Programms zulassen und dafür Wirtschaftshilfen und Sicherheitsgarantien durch die USA bekommen müssen. Die Frage ist nur, wer macht den ersten Schritt und wann. Vor der US-Präsidentschaftswahl wird sich jedoch voraussichtlich nichts mehr bewegen, was wiederum Kim Il Sung hilft, sein Atomprogramm weiter zu entwickeln. "Die Zeit läuft für Nordkorea", betont Köllner.