"Die Chemie stimmt"
22. Januar 2013Das Berliner Regierungsviertel stand seit dem frühen Morgen ganz im Zeichen der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages. Die Straßen rund um den Reichstag und das Kanzleramt waren weiträumig abgesperrt und der Zugang wurde streng kontrolliert. Den Auftakt des Festtages machte der Empfang des französischen Präsidenten François Hollande durch Bundespräsident Joachim Gauck am Morgen bei klirrender Kälte vor dem Schloss Bellevue.
Der Rest des Tages war allerdings von wärmender Herzlichkeit zwischen Vertretern Deutschlands und Frankreichs geprägt. Ganz passend zum Anlass: Der Élysée-Vertrag – 1963 besiegelt durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle – begründete die deutsch-französische Freundschaft und legte zahlreiche Mechanismen zur bilateralen Abstimmung und Völkerverständigung zwischen den beiden Ländern fest. Es ist eine Erfolgsgeschichte, sollte die Botschaft dieses Tages sein.
Das Verhältnis kennt natürlich auch Spannungen. Darüber wollte Bundestagspräsident Norbert Lammert nach einem Gespräch mit Frankreichs Parlamentspräsident Claude Bartolone nicht einfach hinwegsehen. Man solle die Meinungsverschiedenheiten mit dem Nachbarn im Westen "nicht übertünchen", sagte Lammert. Das offene Gespräch sei "ein Test für die Ernsthaftigkeit unserer Beziehung".
Als Höhepunkt der Gedenkfeiern fanden sich im Reichstag die Vertreter des Bundestages und die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung zu einer gemeinsamen Sitzung ein. Dort sprach Lammert über die historische Situation vor 50 Jahren, als Deutschland und Frankreich noch als Erbfeinde gegolten hätten. "Heute ist das Verhältnis der beiden Völker von Grund auf neu gestaltet", rief der CDU-Politiker den Abgeordneten zu und forderte alle auf, das Projekt weiter zu verfolgen.
Nach Lammert erinnerte Präsident Hollande an die Bedeutung dieser Freundschaft für die Stabilität und Sicherheit in Europa. "Es geht darum, nicht nur einen Friedensraum, sondern auch einen Rechtsraum und einen Raum für Solidarität zu schaffen." Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstrich in ihrer Rede vor den Parlamentariern beider Häuser die europäische Dimension des deutsch-französischen Verhältnisses. "Sie ist von überragender Bedeutung eben nicht nur für unsere beiden Völker, sondern auch für ganz Europa." Es sei nun wichtig, weiter an der Währungsunion zu arbeiten und die gemeinsame Sicherheitspolitik im Auge zu behalten.
Neue Projekte auf Regierungsebene
Vor der Sitzung im Bundestag hatten die Regierungen beider Länder ihre Verbundenheit ebenfalls durch eine gemeinsame Sitzung demonstriert. Hollande und Merkel betonten im Anschluss ihre intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit. "Die Chemie stimmt," sagte die Kanzlerin. Im Mai würden gemeinsame Vorschläge für die Verbesserung der Wirtschafts- und Währungsunion vorgelegt werden, stellte sie in Aussicht.
In einer gemeinsamen Erklärung legten die beiden Regierungen zudem umfangreiche Pläne für den Ausbau der Zusammenarbeit der beiden Staaten vor. Darunter werden die Kooperation im Bereich der erneuerbaren Energien und der Wirtschaftspolitik, sowie die Errichtung einer gemeinsamen Arbeitsagentur in Kehl genannt. Außerdem versprach Merkel, die Mittel für den Jugendaustausch zwischen den Ländern um zehn Prozent aufzustocken. Künftig sollen es 23 Millionen Euro sein.
Bundesratspräsident lobt Städtepartnerschaften
Neben Bundestag und -regierung wollte auch der Bundesrat zeigen, wie eng man Frankreich verbunden sei. Es gibt auch dort eine zweite Kammer, den Senat und so war eine gemeinsame Sitzung mit dessen Mitgliedern anberaumt worden – eine "Séance extraordinaire", wie es in der Einladung hieß. Für diese Veranstaltung war der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, gewonnen worden. Dieser nannte den Vertrag die in Worte gefasste Hoffnung, dass Friede zwischen Erbfeinden möglich sei. "Wir müssen alles tun, um das Erreichte zu erhalten und lebendig zu halten".
Die deutsch-französische Freundschaft sei in einzigartiger Weise gewachsen, sagte Bundesratspräsident Winfried Kretschmann und nannte als Beispiele die heute selbstverständliche Zusammenarbeit auf politischer, institutioneller und bürokratischer Ebene. Besonderen Stellenwert maß Kretschmann den mehr als 2200 Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich zu: "Sie bilden das Rückgrat der deutsch-französischen Freundschaft und halten sie lebendig."
Der Sozialist Jean-Pierre Belle, seit 2011 französischer Senatspräsident, mahnte in seiner Rede vor den Mitgliedern der beiden Kammern, die Werte und Inhalte des Vertrags weiter zu verbreiten und erinnerte im Anschluss an die französische Truppenentsendung nach Mali. "Frankreich hat sich entschieden, einem befreundeten Land zu Hilfe zu kommen", sagte Belle, "wir sind dankbar für die Zeichen der Unterstützung, die wir aus Berlin seit einigen Tagen