Die Entschärfung des Atommülls
26. April 2012Ein abgebranntes Brennelement enthält relativ wenige langlebige hochradioaktive Stoffe. In einer Tonne verbrauchtem Kernbrennstoff stecken etwa neun Kilogramm Plutonium und rund ein Kilogramm sogenannte minore Actinide. "Diese Actinide bestimmen bei den hochradioaktiven Abfällen die Radiotoxizität", erklärt Dirk Bosbach vom Forschungszentrum Jülich. Besonders die langen Zeiträume, in denen diese Stoffe gefährlich strahlen, machen den Forschern bei der Endlagersuche Sorgen. Daher sei es sinnvoll, Verfahren zu entwickeln, um die Giftwirkung deutlich zu verringern, so der Wissenschaftler.
Versuchsanlage könnte ab 2023 in Betrieb gehen
Ab 2014 soll in Mol in Belgien eine Pilotanlage entstehen, um zu untersuchen, ob mit dem Verfahren der Transmutation Plutonium und minore Actinide in kurzlebigere und weniger toxische Spaltprodukte umgewandelt werden können.
Dazu müssen die radioaktiven Stoffe zunächst aus den Brennstäben herausgeholt werden. Das Verfahren ist nicht neu. Vom Prinzip her wird es bereits heute in nuklearen Wiederaufbereitungsanlagen zur Wiedergewinnung von Plutonium genutzt. Dafür werden die Kernbrennstäbe zunächst zerkleinert und in einer salpetersauren Lösung aufgelöst.
"Die meisten Verfahren basieren auf der Flüssig-Flüssig-Extraktion", erklärt Andreas Geist vom Karlsruher Institut für Technologie. "Sie haben eine wässrige Lösung ihrer Brennstoffe und eine Ölphase, die mit Wasser nicht mischbar ist." In der Ölphase befinden sich sogenannte selektive Komplexbildner, die ausschließlich die Actinide aus dem 'Brennstoffwasser' herauslösen.
Abtrennungsverfahren aus der Wiederaufbereitung bekannt
In einem zweiten Schritt führen die Forscher die gewonnenen Actinide wieder in eine Wasserlösung zurück, verdampfen das Wasser und erhalten so ihr Material, um daraus neue Brennstäbe herzustellen.
Die daraus hergestellten Brennstäbe kommen anschließend in eine Transmutationsanlage. Diese ähnelt einem flüssigmetallgekühlten Kernreaktor. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied: Die Kernreaktion, die sich im Transmutationsreaktor abspielen soll, ist unterkritisch. Das bedeutet: Es wird keine sich selbst erhaltende Kettenreaktion geben. Die schnellen Neutronen, die für die Kernreaktion benötigt werden, kommen also nicht aus dem Reaktorkern selbst, sondern von außerhalb. Dadurch lässt sich die Kernreaktion kontrollieren und jederzeit stoppen.
Zunächst schießen die Wissenschaftler Protonen aus einem Teilchenbeschleuniger auf ein Blei-Wismut-Flüssigmetall, das zur Kühlung des Reaktors eingesetzt wird. "So entsteht eine Kernreaktion, und es bilden sich Neutronen", erklärt die Karlsruher Kernphysikerin Concetta Fazio die Reaktion im Reaktor. "Diese Neutronen treffen auf die Brennstoffe mit den minoren Actiniden und es kommt zu einer weiteren Kernreaktion, der sogenannten Transmutation." Dabei werden die minoren Actinide zerstört und in kurzlebigere Spaltprodukte umgewandelt.
Erste Versuche, die dazu benötigten schnellen Neutronen zu erzeugen, sind der Forscherin und einem internationalen Team in einem Teilchenbeschleuniger in der Schweiz bereits geglückt. "Wir konnten auch messen, wie viele Neutronen pro Proton entstehen, das Experiment ist sehr positiv abgelaufen", sagt Fazio.
Flüssigmetallkühlung bei 500 Grad Celsius
Doch bevor die Anlage in Mol gebaut werden kann, ist noch allerhand Grundlagenforschung nötig. Verlaufen die Versuche erfolgreich, könnte eine Transmutationsanlage die Zeitspanne, in der hochradioaktive Abfälle stark strahlen, um Hunderdtausende von Jahren verkürzen.
"Wir nehmen als Referenz die Radiotoxizität des Natururans, das wir der Erde entnehmen, um damit Brennelemente herzustellen", erklärt der Kernforscher Geist. "Wenn man die Actinide ohne Verluste abtrennen und transmutieren könnte, würde man dieses Niveau nach weniger als 1000 Jahren erreichen." Zum Vergleich: Bei direkter Endlagerung ohne Transmutation dauert es mindestens 200.000 Jahre bis die Actinide die Giftigkeit von Natururan hätten.
1000 Jahre sind für die Menschheit ein relativ überschaubarer Zeitraum. So gibt es Bauwerke, wie die Pyramiden, die viel älter sind. Was innerhalb von 100.000 Jahren geschehen kann, wagt hingegen kaum jemand vorherzusagen. Deshalb stehen die politischen Entscheidungsträger vor einer schwierigen Frage: Sollen sie den Atommüll für alle Ewigkeit in ein Endlager schaffen oder lieber so einlagern, dass er noch rückholbar ist?
In einigen Jahrzehnten, wenn die Transmutationstechnologie einsatzbereit ist, könnte man Schritt für Schritt den alten Atommüll entschärfen. Allerdings würde auch das noch keine Ende der Endlagersuche bedeuten, denn auch das, was nach der Transmutation übrig bleibt, muss auf Dauer sicher eingelagert werden.