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Die erste Ärztin Deutschlands musste heimlich promovieren

Ingrid Lommer5. Januar 2006

Frauen hätten nicht die Hirnmasse für ein Hochschulstudium, hieß es noch vor 100 Jahren. Eine Ausstellung in Leipzig erinnert an die erste Ärztin in Deutschland, die das Gegenteil beweisen durfte.

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Hope Bridges Adams-Lehmann - sie war die erste Dr. med. in DeutschlandBild: dpa

Im Foyer des operativen Zentrums der Universität Leipzig herrscht reger Betrieb. Patienten, Besucher und Ärzte hasten vorbei, einige bleiben immer wieder stehen, um sich die Ausstellung über Hope Bridges Adams-Lehmann anzusehen. Von den Ausstellungswänden blicken Schwarz-Weiß-Fotografien zurück, die eine eher unauffällige Frau zeigen. "Sie war auf der einen Seite sehr ernsthaft, auf der anderen Seite aber auch sehr leidenschaftlich," erzählt die Biografin Martia Krauss. "Sie muss persönlich durchaus zurückhaltend gewesen sein und eher ein bisschen schüchtern, ist aber mit einer Selbstverständlichkeit durch die Hürden gegangen, die so einer Frau im Wege standen, dass es ganz bemerkenswert war."

1873 Jahren kam die junge Britin mit ihrer Mutter nach Deutschland. Sie wollte deutsch lernen, Lehrerin werden, entschloss sich drei Jahre später aber, Medizin in Leipzig zu studieren - an einer der damals besten Universitäten Europas. Das war kein leichtes Unterfangen: Im 19. Jahrhundert war das Studium für Frauen tabu, erzählt die Biografin: "Nach dem gängigen Vorurteil hatten Frauen überhaupt nicht die geistige Kapazität, hatten ein viel kleineres Hirn, die Hirnmasse reichte gar nicht aus, um zu studieren. Sie waren physisch gar nicht in der Lage dazu, dachte man, viel zu kurzatmig, keine Kondition, hätten keine Möglichkeit, ein Studium, geschweige denn einen Beruf auszuüben."

Mädchen durften auch kein Abitur machen

Zum Glück dachten nicht alle Hochschulen so: 1873 war die Uni Leipzig für weibliche Gasthörerinnen geöffnet worden. Frauen durften ab diesem Zeitpunkt alle Kurse besuchen - sofern die Professoren Frauen in ihren Vorlesungen duldeten, berichtet die Medizinhistorikerin Ortrun Riha. "Das große Manko, weshalb Frauen diese Schwierigkeiten hatten, war, dass sie kein Abitur vorweisen konnten. Vor 1893 gab es in Deutschland kein Mädchengymnasium. Das hatte in der Regel zur Konsequenz, dass die weiblichen Studierenden kein Latinum hatten. Das hat man damals als enormes Defizit betrachtet, gerade im Bereich der Medizin."

Hope aber konnte Latein - damit war eine große Hürde auf dem Weg des Studiums schon mal genommen. Dennoch: Zu den Staatsexamensprüfungen, ohne die Hope nicht als Ärztin praktizieren durfte, wird sie nicht zugelassen. Sie schreibt Petitionen an das sächsische Kulturministerium, holt sich Unterstützung beim britischen Generalkonsul und sogar bei der deutschen Kaiserin Augusta Victoria. Alles umsonst, sie darf die entscheidenden Prüfungen nicht ablegen.

Die Anfänge der Heilpraktiker

Schließlich kommen ihr die Leipziger Professoren zu Hilfe: 1880 lassen sie Hope in aller Heimlichkeit zu den Staatsexamensprüfungen zu. Der Doktortitel aber bleibt ihr in Deutschland noch 20 Jahre lang verwehrt. Trotzdem eröffnet sie mit ihrem zweiten Ehemann Karl Lehmann, in München eine Praxis. "Es gab ein Reichsgesetz, dass es ermöglichte, als so genannter Kurpfuscher zu arbeiten - das ist so eine Art Heilpraktikergesetz gewesen," weiß Marita Krauss. "Das ermöglichte eine gewisse Heilfreiheit. Sie durfte keine Totenscheine ausstellen, keine Geburtsscheine und auch keine Rezepte, aber sie durfte praktizieren, ohne ihren Doktortitel zu führen, was sie dann doch immer irgendwie tat, aber nicht offiziell."

Aber Hope hat noch mehr vor. Sie will eine Frauenklinik mit angeschlossenem Müttergenesungswerk aufbauen, wo sich auch arme Arbeiterinnen ein Bett leisten können. Zurückhaltend, leise, aber bestimmt geht sie in München auf die Suche nach Geldgebern für ihr Projekt - und hat bald die Stadtverwaltung, den größten Teil der männlichen Ärzteschaft des Uni-Klinikums und die Spitzen der Münchner Gesellschaft überzeugt.

Ihre Frauenklinik wird Realität - und ist erstaunlich modern, betont Krauss. "Zum Beispiel sollten arme Frauen Einzelzimmer haben können - es war damals ja die Zeit der 18-Betten-Zimmer, wo die kranke Frau neben der Entbindenden oder neben der Sterbenden lag. Dann sollten die jungen Ärzte in der Ausbildung gemeinsam mit den Pflegern und Pflegerinnen pflegen. Dann sollte immer ein Familienmitglied bei der Geburt dabei sein dürfen, und es sollten sich ganze Familien in der Klinik einquartieren dürfen und bei der Pflege mithelfen."

Die Pionierin der Frauenbewegung

Ausstellung "Die Frau der Zukunft" am Universitätsklinikum Leipzig, Geburtshilfebesteck
Geburtshilfebesteck aus dem 19. JahrhundertBild: AP

In ihrer Klinik kümmert sich Hope um Frauenleiden aller Art - auch ungewollte Schwangerschaften gehören dazu. Zu ihrer Zeit ein gefährliches Gebiet: Der Abbruch einer Schwangerschaft ist strafbar und nur erlaubt, wenn das Leben der Mutter in ernster Gefahr ist. Hope legt diese Regel sehr weit aus und stellt bei der Entscheidung den Wunsch der werdenden Mutter in den Vordergrund. 1914, im Alter von 59 Jahren muss sie sich dafür in einem Gerichtsverfahren stellen. Hope wird freigesprochen - auch weil fast die gesamte Münchner Ärzteschaft zu ihren Gunsten aussagt. Zwei Jahre später stirbt Hope Adams Lehmann.

Karriere und Familie - trotz vieler Schwierigkeiten und Hindernisse hat sie Anfang des Jahrhunderts geschafft, wovon viele junge Ärztinnen in Deutschland heute träumen. Gerade mal ein Drittel der berufstätigen Ärzte ist weiblich, nur fünf Prozent der medizinischen Führungspositionen sind von Frauen besetzt. Kinder sind in einem Land, in dem nur ein knappes Prozent der Männer Erziehungsurlaub nehmen, ein Karrierehindernis. Vielleicht bleiben deshalb so viele junge Ärztinnen zwischen zwei Schichten im operativen Zentrum stehen und sehen sich die Ausstellung über Hope Bridges Adams-Lehmann an.