Was tut die EU?
9. Oktober 2008Augenscheinlicher kann ein Kommunikationsproblem gar nicht vorgeführt werden: Erst auf Initiative ihrer amtierenden Vorsitzenden, der Französin Christine Lagarde, tauschten die Finanzminister der Europäischen Union am Montag (6.10.2008) während ihrer Sitzung in Luxemburg ernsthaft ihre Handy-Nummern aus - für Notfälle, natürlich.
Dabei war der Notfall längst da: "Europe`s Schadenfreude" über die US-amerikanische Bankenkrise, vom führenden Wirtschaftsmagazin "Economist" ausgemacht, war zu diesem Zeitpunkt schon fast in Panik umgeschlagen, nachdem Banken in Belgien, Frankreich, Irland, den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien in die Knie zu gehen drohten. In Island befürchtete man sogar den Staatsbankrott.
"Wir müssen geeint auftreten", mahnte EU-Währungskommissar Joaquín Almunia, doch mit dem einigen auftreten wird es vorerst nichts. Ein gemeinsamer Rettungsfonds, mit dem Italien und Frankreich geliebäugelt hatten, kommt weiterhin nicht in Frage. Berlin sagt "Nein". Paris und Rom hätten angesichts wankender Banken und kriselnder Börsen gerne einen gemeinsamen Milliarden-Plan nach US-Vorbild. Die Bundesregierung lehnt dies aber ab, bekräftigte Finanzminister Peer Steinbrück. Die Regierung wolle die Kontrolle über das Geld der Steuerzahler nicht aus der Hand geben.
"Es wird keinen Fall Lehman geben"
Immerhin gab die EU aber ein kollektives Bekenntnis ab: Die Insolvenz großer Banken soll auf jeden Fall vermieden werden. "Wir haben vereinbart, systemrelevante Finanzinstitute zu unterstützen", heißt es in der Erklärung der EU-Finanzminister. "In Europa wird es keinen Fall wie Lehman Brothers geben", sagte Christine Lagarde mit Blick auf den verheerenden Zusammenbruch der US-Bank.
Vergoldete Versager?
Die EU-Finanzminister wollen auch eine Empfehlung gegen überhöhte Gehälter und -abfindungen von Führungskräften verabschieden. "Versagen" von Bankmanagern dürfe nicht vergoldet werden, sagte der niederländische Finanzminister Wouter Bos. Zur Beruhigung verunsicherter Bankkunden in ganz Europa beschlossen die EU-Finanzminister außerdem, künftig für private Spareinlagen in Höhe von 50.000 Euro zu garantieren - aber erst, nachdem einige Mitgliedstaaten vorgeprescht waren.
Für die Stabilität des Bankensystems müssen die 27 EU-Mitglieder aber selbst sorgen. Jeder müsse das Notwendige tun, sei es durch Zufluss von Geld aus den Zentralbanken, durch gezielte Maßnahmen für bestimmte Banken oder durch stärkeren Einlagenschutz, erklärte der französische Ratspräsident Nicolas Sarkozy in Paris.
Aber: "Wenn alle Staaten einzeln eine Lösung zu finden versuchen, wird der Lösungsansatz eines Landes für ein anderes zum Problem", sagte etwa der schwedische Finanzminister Anders Borg. Ist das so? Wer tut was?
Im Rampenlicht: Deutschland
Europas größte Volkswirtschaft Deutschland steht besonders im Rampenlicht, auch weil es die bedrohliche Krise beim Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate gibt.
Die Bundesregierung und der Finanzsektor bürgen mit 35 Milliarden Euro für Hypo Real Estate. Um Bankkunden zu beruhigen, kündigte die Bundesregierung außerdem eine Staatsgarantie für private Spareinlagen in unbegrenzter Höhe an.
Kanzlerin Angela Merkel bemüht sich unterdessen, Ängste zu dämpfen. "Vertrauen ist die Währung, in der gezahlt wird", sagte Merkel. Die Lage sei ernst und "in dieser Form noch nie dagewesen." Deutschland sei aber dank der eingeleiteten Reformen gerüstet. "Deutschland ist stark", sagt Merkel.
Zu einer Rettungsaktion wie bei der Hypo Real Estat sei die Regierung "jederzeit wieder bereit". Es gebe aber keinen "Blankoscheck" für Banken und ihre Manager.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat inzwischen gemeinsame Regeln der westlichen Industrieländer für die Finanzmärkte vorgeschlagen. Es sind "Acht Verkehrsregeln", über die er mit seinen Kollegen der G-7-Staaten auf der Herbsttagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) ab dem 11.10. diskutieren will.
Strittige Garantien: Irland
Die bislang umfassendste und strittigste Staatsgarantie für Banken hat Ende September Irland beschlossen - nach dem größten Kurssturz der Geschichte an der Dubliner Börse. Die Garantie wurde gesetzlich verankert und bezieht sich nicht nur auf private Spareinlagen, sondern auch auf alle Verbindlichkeiten der sechs irischen Banken. In Irland aktive ausländische Banken sind von der Garantie bislang nicht erfasst. Diese Garantie soll mindestens zwei Jahre gelten.
Seitdem sollen irische Banken einen regen Zulauf an Spargeldern verzeichnet haben. Die EU-Kommission kritisierte Irland: "Was wir prüfen, ist einerseits der Umfang der Garantie - sie geht über die Absicherung privater Spareinlagen hinaus - und andererseits die Frage, ob sie auch für ausländische Banken auf dem irischen Markt gilt." Auch Kanzlerin Merkel übte scharfe Kritik: Es sei ein ungeeigneter Weg, nicht abgestimmt eigene Bankinstitute unter einen Risikoschirm zu stellen und internationale Institute, die lange in Irland Steuern gezahlt haben, nicht einzubeziehen. Solche Wettbewerbsverwerfungen seien im EU-Binnenmarkt nicht akzeptabel.
Vor dem Bankrott: Island
Die globale Krise spitzte sich inzwischen in Island dramatisch zu: Ministerpräsident Geir Haarde hatte Anfang Oktober einen Staatsbankrott als "sehr reelle" Gefahr für die Inselrepublik mit ihren 300.000 Einwohnern eingestuft. Darauf stimmte das Parlament dem Eilgesetz zur staatlichen Kontrolle über das Bankengewerbe zu.
Die Finanzaufsichtsbehörde in Reykjavik übernahm am 7. Oktober die Kontrolle über Islands zweitgrößtes Geldinstitut Landsbanki. Die Kaupthing-Bank, das größte Bankhaus des Landes, bekam von der Zentralbank einen Kredit über umgerechnet 500 Millionen Euro. Am 8. Oktober übernahm die Regierung auch die vollständige Kontrolle über die landesweit drittgrößte Bank Glitnir.
Die Regierung verhandelt außerdem mit Moskau über einen in Aussicht gestellten Kredit über vier Milliarden Euro. Damit soll die Landeswährung stabilisiert werden. Der Wechselkurs der isländischen Krone wurde fixiert. Sie hat in einem Jahr drei Viertel ihres Wertes gegenüber dem Euro verloren.
Preis der Expansion
Islands Banken hatten in den vergangenen Jahren stark expandiert. Die Zukäufe wurden dabei großteils über Schulden finanziert. Heute stehen sie so tief in den roten Zahlen, dass sie international kaum noch Kredite bekommen.
Beispielloser Plan: Großbritannien
Mit einem beispiellosen Notfallplan kämpft die britische Regierung gegen die Finanzkrise. Vor Öffnung der Londoner Börse am 8. Oktober kündigte die britische Regierung an, acht Banken teilverstaatlichen zu wollen, um die Stabilität auf dem Finanzmarkt wiederherzustellen. "Diese Maßnahmen sind absolut notwendig, um das System wieder in Gang zu bringen", sagte Finanzminister Alistair Darling.
Bei den Banken handelt es sich um Abbey, Barclays, HBOS, HSBC, Lloyds TSB, Nationwide Building Society, Royal Bank of Scotland und Standard Chartered. Der sogenannte Rekapitalisierungsplan bietet bis zu 50 Milliarden Pfund – rund 64,5 Milliarden Euro – in Form von Vorzugsaktien.
Kontrolle? "Absolut nicht"
Die Bank von England werde außerdem weitere kurzfristige Kredite anbieten. Mindestens 200 Milliarden Pfund sollten für bis zu drei Monate bereitgestellt werden. Darling betonte aber, es gehe absolut nicht darum, die Kontrolle über die Banken zu übernehmen. "Wir reden nicht darüber, die Banken in Zukunft selbst zu betreiben", erklärte er.
In den Tagen zuvor hatten einige der großen britischen Banken nahezu die Hälfte ihres Börsenwertes verloren. Einige Investoren befürchten gar deren Zusammenbruch. Die Aktie der Royal Bank of Scotland (RBS) etwa hat an einem Tag 39 Prozent ihres Werts verloren.
In Großbritannien sind seit dem 6. Oktober Guthaben in Höhe von bis zu 50.000 Pfund (64.000 Euro) gesetzlich geschützt. Zuvor waren es 30.000 Pfund.
Millardenschwer? Italien
Rom plant informierten Kreisen zufolge ein milliardenschweres Rettungspaket, das wahrscheinlich ähnlich wie das von Großbritannien ausfallen dürfte. Italiens Finanzminister Giulio Tremonti bestellte Politiker, Bankenchefs und andere Branchenvertreter zu einem Krisentreffen.
Feierlich verpflichtet: Frankreich
Auch Frankreich setzt darauf, Banken durch zwischenzeitliche Verstaatlichung zu retten. "Wir gehen feierlich die Verpflichtung ein, dass kein Bankinstitut in Frankreich Pleite gehen wird", sagte der französische Premierminister François Fillon. Der Staat werde dazu bei den betroffenen Instituten die Kontrolle übernehmen, "die gescheiterten Manager entlassen und sie durch Manager ersetzen, die das volle Vertrauen der Regierung haben", sagte Fillon weiter. Dann werde das Institut saniert und "die staatlichen Anteile wieder auf den Markt gebracht, wenn es die Umstände erlauben".
Auch dies sei "hundertprozentige Garantie" für die Sparer und Kontoinhaber, sagte Fillon. "Der Plan ist, unsere Bankinstitute durch eine Kapitalbeteiligung zu unterstützen und nicht durch eine Unterstützung von Finanzprodukten", sagte Präsident Nicolas Sarkozy am 7. Oktober nach einem Treffen mit Fillon und den anderen Ministern. "Das Laissez-faire ist nun vorbei", verkündete der Präsident.
Prominente Nothelfer: Belgien
Belgien versucht das Bankensystem durch prominente Nothelfer zu stützen. Ex-Premierminister Jean-Luc Dehaene rückt an die Spitze des Verwaltungsrates der schwer angeschlagenen Dexia-Bank. Neuer Vorstands-Vorsitzender wird der französische Bankier Pierre Mariani, ein enger Mitarbeiter des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.
Gemeinsam mit Frankreich und Luxemburg finanzierte der belgische Staat für Dexia eine überlebenswichtige Kapitalerhöhung von 6,4 Milliarden Euro. "Diese Entscheidungen erlauben den Unternehmen, weiterzumachen", sagte der belgische Ministerpräsident Yves Leterme.
Dexia spielt in Belgien eine wichtige Rolle für die Finanzierung der Kommunen. Dexia hat gut 5,5 Millionen Kunden in Belgien, Luxemburg, der Türkei und der Slowakei. In Deutschland ist der Konzern mit der Dexia Kommunalbank Deutschland AG vertreten.
Die Schwierigkeiten des Konzerns hatten sich verschärft, nachdem Dexias umfangreiche Geschäfte mit der deutsche Hypo Real Estate bekanntgeworden waren. Die größten Probleme bei Dexia bereitet die US-Tochter Financial Security Assurance Inc. (FSA). Dexia gab ihrer Tochter 2008 mehrfach kräftige Kapitalspritzen.
Die staatliche Auffanglösung für den Bankenriesen Fortis erwies sich als nicht haltbar. Der wankende Riese war von Belgien, Luxemburg und den Niederlanden teilverstaatlicht worden. Nachdem Den Haag wenige Tage später beschloss, die Geschäfte in den Niederlanden vom Gesamtkonzern abzuspalten, suchten Luxemburg und Belgien nach einem Käufer für die übrigen Bestandteile.
Schließlich übernahm die französische BNP Paribas am 6. Oktober die Reste - und wurde damit zur größten Privatkundenbank der Eurozone. Die französische Bank verwaltet künftig Spareinlagen von 586 Milliarden Euro - mehr als etwa die Deutsche Bank.
Die Probleme bei Fortis begannen kurz nach dem 24 Milliarden teuren Einstieg bei ABN Amro - der größten niederländischen Bank. Seit dem umstrittenen Zukauf im Oktober 2007 hat die Fortis-Aktie vier Fünftel ihres Werts verloren.
Spanien, Griechenland und Schweden
Spanien will den Finanzsektor des Landes mit 30 Milliarden Euro unterstützen. Wenn nötig werde die Summe auf 50 Milliarden Euro aufgestockt, erklärte Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero am 7. Oktober. Außerdem werde die Regierung die Einlagengarantie auf 100.000 Euro erhöhen.
Die griechische Regierung gab schon am 3. Oktober eine politische Garantieerklärung für alle Bankeinlagen im Land ab. Das Bankensystem in Griechenland sei völlig sicher und verlässlich, sagte Finanzminister Georgios Alogoskoufis.
Die schwedische Regierung verdoppelte die Einlagensicherung am Montag von 250.000 Kronen (35.500 Euro) auf eine halbe Million Kronen (71.000 Euro). Die dänische Kreditwirtschaft sagte nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in Kopenhagen 35 Milliarden Kronen (4,63 Milliarden Euro) für einen Fonds zu, der zwei Jahre lang die Einlagen von Kontoinhabern absichern solle. (sams)