Die EU will Ungarns Premier an den Geldbeutel
7. April 2018An einem erneuten Wahlsieg der nationalkonservativen Fidesz-Partei von Premierminister Viktor Orbán am Sonntag in Ungarn bestehen in Brüssel wenig Zweifel. Die Europäische Union rechnet mit weiteren vier Jahren Orbanismus, wie der Umbau Ungarns zum eher autoritären Staat und die permanente Opposition Orbáns zum EU-Mainstream von EU-Diplomaten genannt wird.
Seit 2010 beobachtet die EU-Kommission die Veränderungen in Staatsaufbau, Justiz und Medien, die Orbán massiv vorantreibt. Mehrfach gab es sogenannte Vertragsverletzungsverfahren, um ungarische Gesetze zu korrigieren, die gegen EU-Recht verstoßen. Nach der Drohung im Jahr 2013, ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge einzuleiten, machte Viktor Orbán einige Zugeständnisse.
Das Verhältnis zur EU-Kommission blieb aber angespannt. Die ungarische Regierung weigert sich, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Aufnahme von Flüchtlingen umzusetzen. Orbán spricht von einem "Diktat der EU" und hetzt im Wahlkampf gegen "Überfremdung durch islamische Invasoren" und "Merkels Flüchtlinge". Probleme machen aus Sicht Orbáns vor allem die deutsche Bundeskanzlerin und die Europäische Union. Die Weigerung Ungarns ein Urteil des EuGH umzusetzen, ist in der EU bislang ohne Beispiel.
Orban wettert gegen die EU, nimmt aber ihr Geld
Die harte Rhetorik aus Budapest verwundert viele EU-Politiker, denn das Land ist seit seinem Beitritt zur Europäischen Union in Jahr 2004 einer der Hauptempfänger von EU-Fördermitteln. In den vergangenen zehn Jahren wurden 34 Milliarden Euro von Brüssel nach Budapest gepumpt. "Warum beißt Orbán die Hand, die ihn füttert," fragen sich viele.
Und sie füttert nicht nur den Politiker Viktor Orbán, sondern auch seine weitere Familie. Die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF hat in einem Bericht im Januar festgestellt, dass eine Firma des Schwiegersohns von Viktor Orbán regelmäßig und in großem Stil von Fördermitteln der EU profitierte. Von "schweren Unregelmäßigkeiten und Interessenkonflikten" ist im OLAF-Bericht die Rede. Im aktuellen Fall könnte Ungarn gezwungen werden, 43 Millionen Euro an Fördermitteln wieder zurückzugeben.
Oppositionelle Zeitungen in Ungarn berichten immer wieder von einem Filz aus Korruption und Vetternwirtschaft, in den auch die Brüder und der Vater von Viktor Orbán verwickelt sein sollen. Die Zeitung "Pester Lloyd" behauptet, auch Orbán persönlich bereichere sich, eventuell durch Provisionen aus dem Verkauf von EU-Aufenthaltstiteln an reiche Ausländer, sogenannte goldene Visa, die gegen den Kauf von ungarischen Staatsanleihen erteilt werden.
Im Dezember verklagte die EU-Kommission die ungarische Regierung erneut vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, diesmal wegen eines Gesetzes, das die Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen in Ungarn unzulässig einschränken soll. Das Gesetz richtet sich vor allem gegen den ungarisch-stämmigen Investor George Soros, den Viktor Orbán wegen dessen zu liberalen gesellschaftspolitischen Ansichten zum Lieblingsfeind erkoren hat. Im Wahlkampf verstieg sich Orbán sogar zu antisemitischen Äußerungen. Er beschrieb einen internationalen, gesichtslosen Feind, der lieber mit Geld spekuliert statt zu arbeiten. Die Wortwahl erinnerte stark an die Hetze der Stalinisten gegen Juden in Ungarn nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Ungarn wählt einen "starken Mann"
Die ungarischen Wählerinnen und Wähler scheinen die Vorgänge nicht zu stören, die in der EU-Zentrale die Alarmglocken schrillen lassen. Laut einer Umfrage eines soziologischen Instituts in Österreich wünschen sich 88 Prozent aller ungarischen Bürgerinnen und Bürger "einen starken Mann an der Spitze". Wer kann das anderes sein als der Populist Orbán, der gerne die Nähe anderer starker Männer wie Russlands Präsident Wladimir Putin oder Amerikas Präsident Donald Trump sucht?
Der Erosion des Rechtsstaates in Ungarn konnte die EU bislang wenig entgegensetzen. Orbán ging immer so weit, wie es die Regeln der EU gerade noch zuließen. "Die bisher verfügbaren Werkzeuge der EU erweisen sich als wenig wirksam", meint Martin Michelot vom Europeum, einer Denkfabrik in Prag. In die staatliche Ordnung und innere Verfassung eines Mitgliedsstaates kann die Europäische Union nicht eingreifen. Das ist von den EU-Verträgen her ausgeschlossen. Sie kann aber sehr wohl prüfen, ob die rechtsstaatlichen Kriterien eingehalten werden.
An einem Artikel-7-Strafverfahren ist Ungarn bislang hart vorbeigeschrammt. Das Europäische Parlament will aber genau das, auf Beitreiben der liberalen Fraktion hin, es noch einmal versuchen. Ein entsprechender Bericht mit Ungarns Verfehlungen wird vorbereitet.
Bis der Antrag auf ein Strafverfahren tatsächlich gestellt werden könnte, ist es noch weit, denn dazu braucht es eine Mehrheit im Plenum. Die Fidesz-Partei von Viktor Orbán gehört zur konservativen "Europäischen Volkspartei" (EVP). Die stellt die größte Fraktion im Parlament und hat sich bislang nicht offen gegen Orbán gestellt. Im Gegenteil: Der Fraktionschef der EVP, der CSU-Abgeordnete Manfred Weber, warb in einer ungarischen Boulevardzeitung unverblümt für Orbáns Wiederwahl.
Geld nur gegen Wohlverhalten?
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat schon lange erkannt, dass Ungarn wohl nur da zu packen sein wird, wo es weh tut: am Geldbeutel. Auf Oettingers Vorschlag hin stimmten im Februar bei einem Gipfeltreffen viele der EU-Staats- und Regierungschefs dem Vorhaben zu, im künftigen EU-Haushalt, die Auszahlung von Mitteln stärker an rechtsstaatliche Kriterien zu binden.
EU-Kommissar Frans Timmermans weist immer gerne darauf hin, dass die grundsätzliche Teilnahme am EU-Binnenmarkt Rechtsstaatlichkeit voraussetzt. Oettinger legte einen weiteren Vorschlag nach und möchte, wie die deutsche Bundesregierung, die Hilfen für Flüchtlinge und Asylbewerber über den EU-Haushalt abwickeln. Das würde bedeuten, dass nur EU-Länder, die tatsächlich auch Flüchtlinge aufnehmen, Geld bekommen. Ungarn, Polen und andere Staaten weisen diese Verknüpfung vehement von sich.
Das Problem dabei ist, dass neuen Haushaltsregeln alle EU-Staaten geschlossen zustimmen müssten. "Im Zuge der Haushaltsverhandlungen für die Jahre 2021 bis 2027, die jetzt anstehen, müssten die Nettozahler Wege finden, um Druck auf die Querulanten auszuüben", meinte dazu ein EU-Diplomat in Brüssel, der ungenannt bleiben will. Auch der Prager Europa-Experte Martin Michelot sagt, das Geld sei ein guter Hebel, vielleicht der einzige. "Ein solches Vorgehen birgt politische Risiken und es ist nicht sicher, wie effizient es sein würde. Auf jeden Fall zeigt das Ganze aber, das neue differenzierte Sanktionsmechanismen eingeführt werden müssen, unterhalb der Schwelle von Artikel 7."
Beim Geld hört die Freundschaft auf
Die von Frankreich und Deutschland angestoßenen Reformen der Euro-Zone, die in der Praxis zu einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten" führen könnten, lehnen Ungarn, Polen und einige andere Staaten ab. Sie wollen nicht, dass sich die beiden großen Nettozahler schneller bewegen und die großen Nettoempfänger "abkoppeln".
Beim Geld hört dann aber auch die Freundschaft der vier Visegrad-Staaten untereinander auf. Tschechien könnte in der nächsten Haushaltsperiode zum Nettozahler werden und müsste dann Ungarn mitfinanzieren und sieht Orbáns EU-Verweigerungspolitik daher zunehmend skeptischer. Österreich, dessen nationalkonservative Regierung Orbán in der Flüchtlingsfrage ideologisch nahe steht, zeigt sich beim Geld zugeknöpft. Bundeskanzler Sebastian Kurz möchte als Nettozahler nicht die Verstöße Ungarns gegen die EU-Normen quer finanzieren.
Noch versucht die EU-Kommission einen Kompromiss mit Ungarn hinzubekommen, der es auch Orbán ermöglicht, sein Gesicht zu wahren. Dem Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker wird ein gutes persönliches Verhältnis zu Viktor Orbán nachgesagt. Orbán nennt Juncker in Anspielung auf dessen Heimat Luxemburg "Großfürst". Juncker foppte Orbán schon 2015 mit der Begrüßung "Hallo Diktator!". Allerdings lachten damals beide noch herzlich.