Die ewige Falle
6. August 2014"Argentinien stellt Eilantrag auf Mitgliedschaft in der EU!" - das hatte eine deutsche Satireseite im Internet gepostet, nachdem das südamerikanische Land für technisch zahlungsunfähig erklärt worden war. Der kleine und nicht einmal schlechte Scherz wurde schnell weitergereicht - und kam in Argentinien leider überhaupt nicht gut an: Selbst wohlgesonnene Zeitgenossen sprachen von billigem und keinesfalls nachvollziehbarem Humor.
Patriotismus als politisches Instrument
Ein robuster Patriotismus gehörte in Argentinien schon immer zum guten Ton. Dahinter steckte die durchaus konstruktive Idee, dass aus aller Welt eingewanderte Menschen gemeinsam und unterschiedslos unter einer Verfassung zusammenleben. Spätestens der Peronismus machte daraus ein politisches Instrument, das mal mehr, mal weniger geschickt genutzt wurde. Besonders in Krisenzeiten. Wie zum Beispiel gerade jetzt, wo das Land international enormen Gegenwind bekommt bei seinem bizarren Kampf gegen Hedgefonds.
"Unser Patriotismus entstammt einer Mischung: Wir halten uns für die Besten der Welt, was eine Anmaßung ist. Weil das aber nicht zu den Tatsachen passt, sagen wir, dass es eine Verschwörung großer und mysteriöser Mächte gibt, die verhindern, dass wir so sind, wie wir sein sollten", erklärt der Historiker Luis Alberto Romero, der sich seit Jahren mit dem Phänomen beschäftigt. "Das ist ziemlich traurig, aber so funktioniert es."
"Wir oder sie?"
Auch im Streit mit den beiden us-amerikanischen Fonds, die die Schuldenschnitte von 2005 und 2010 nicht mitmachen wollten, setzt die Regierung voll auf patriotische Gefühle: Wer ihre Politik nicht gutheißt, läuft Gefahr, als Vaterlandsverräter zu gelten. Patria o Buitre, "Vaterland oder Geier", steht auf Plakaten, mit denen das Regierungsviertel in Buenos Aires zugepflastert ist. "Geier", so nennen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und ihre Minister die Hedgefonds.
Die Präsidentin zieht ganz bewusst Parallelen zu einer historischen Auseinandersetzung: In den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wehrte sich der damalige Präsidentschaftskandidat Juan Domingo Perón gegen einen politischen Widersacher, den US-Botschafter Spruille Braden. Damals hieß es: Braden o Perón? Und meinte: "USA oder Argentinien?". Die Taktik ging auf: Perón wurde Präsident, Braden als Botschafter abgezogen.
Chancenlose Kritiker
Das nationalistische Schwarz-Weiß-Denken führe auch dazu, dass Kritiker oder die Opposition kaum eine Chance haben, sagt Historiker Romero: "Die sitzen sofort in der Falle. Wie zum Beispiel 2012 bei der Verstaatlichung des Ölkonzerns YPF: Da sagen sie dann: 'Nun ja, ich kann ja nicht gegen das Vaterland und die nationalen Interessen sein!' Und damit sind sie schon mitten drin in diesem diskursiven Spiel der Regierung."
Selbst die oppositionellen Medien schwenken auf Linie, wenn sie beispielsweise den abwertenden Begriff "Geierfonds" übernehmen - paradoxerweise sogar in Meinungsbeiträgen, in denen sie die Politik der Regierung gegenüber den Fonds scharf kritisieren. Demonstrativer Patriotismus hat bei vielen Argentiniern gerade wieder Konjunktur. Das hat Tradition in Krisenzeiten: Der Ton wird schriller, der Zusammenhalt größer.
"Realität ist Realität"
Eine nicht unproblematische Mischung, betont Luis Alberto Romero: "Ich glaube, ihren größten Ausdruck hat sie vor 30 Jahren im Malwinen-Krieg gefunden. Danach haben wir gelernt, dass die Realität eben Relität ist und das Getöse mal aufhören muss. Aber solange es mit dieser Mehrdeutigkeit funktioniert, wird die Regierung weitermachen."
Getragen von der patriotischen Welle, hat die Regierung angekündigt, weiter gegen die Fonds kämpfen zu wollen - jetzt mit juristischen Mitteln. International wird die Lage Argentiniens dadurch nicht unbedingt besser. National gefühlt schon.