Karriere einer Stadt
1. Oktober 2012Der 20. Juni 1991 drohte, ein schwarzer Tag in der 2000-jährigen Geschichte der Stadt Bonn zu werden. Nach langer Debatte und mit einer knappen Mehrheit hatte der Bundestag beschlossen, dass Berlin Regierungs- und Parlamentssitz des wiedervereinigten Deutschlands sein sollte, nicht Bonn. Die Zeit, in der die einst beschauliche kurfürstliche Residenzstadt am Rhein in einem Atemzug mit den großen Hauptstädten der Welt genannt wurde, schien damit unaufhaltbar dem Ende entgegen zu gehen. Die damals 290.000-Einwohner-Stadt Bonn lief Gefahr, auf Provinzniveau abzusinken.
"Das war natürlich ein Schock. Damit hatte man so nicht gerechnet", erinnert sich der heutige Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch an den 20. Juni 1991. Bis dahin lebte die Stadt fast voll und ganz vom Hauptstadtstatus und hatte eine Art Monostruktur, ausgerichtet allein auf den Regierungsbetrieb. Was sollte werden, wenn nun Politiker, Bundesbeamte und die tausenden Angestellten von Ministerien und Bundestag nach Berlin gingen?
Neustart mit Bundeshilfe
Die schlimmsten Befürchtungen wurden zunächst durch das Berlin-Bonn-Gesetz abgemildert, dass der Bundestag am 26. April 1994 verabschiedete. Darin ist festgelegt, dass Bonn wichtige politische Funktionen behält - und zwar auf Dauer. So haben 6 der 15 Bundesministerien weiterhin ihren ersten Dienstsitz am alten Standort, unter anderem das Umweltministerium. Aus gutem Grund: "Es hat sich damals gezeigt, dass in Bonn über 100 Nichtregierungsorganisationen in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz tätig waren", sagt Monika Hörig, die Sprecherin der Stadt Bonn. "Und deshalb hat die Bundesregierung ins Gesetz geschrieben, dass der Schwerpunkt Umwelt in Bonn bleiben soll."
Zusätzlich zogen zahlreiche Bundesbehörden aus anderen Städten nach Bonn, darunter der Bundesrechnungshof und das Bundeskartellamt. Doch es floss auch Geld: zu den wichtigsten Punkten des Berlin-Bonn-Gesetzes gehören die Ausgleichszahlungen in Höhe von über 1,4 Milliarden Euro für Bonn und sein Umland.
Vor diesem Hintergrund und mit den beachtlichen Finanzmitteln im Rücken machten die Bonner aus Ihrer Not eine Tugend: Sie verwandelten ihre Stadt in einen internationalen Wirtschafts- und Forschungsstandort. Die Finanzhilfen vom Bund wurden zum größten Teil in den Ausbau von wissenschaftlichen Einrichtungen investiert, wie den Aufbau der Fachhochschule Bonn/Rhein-Sieg und in das moderne "Center of Advanced European Studies and Research", kurz Caesar.
Standortfaktor Infrastruktur
Es gelang, Konzerne wie Deutsche Post und Deutsche Telekom in Bonn anzusiedeln und aus Bonn einen Standort der Vereinten Nationen zu machen. "Das war zweifellos der größte Coup", sagt Stadt-Sprecherin Hörig. 18 Einrichtungen der UNO haben hier mittlerweile ihren Sitz. Auch die Deutsche Welle gehört zur Erfolgsstory des neuen Bonn. Der deutsche Auslandssender zog 2003 aus der Nachbarmetropole Köln hierher, in einen ursprünglich für die Abgeordneten vorgesehenen Neubau.
Ein wichtiges Argument, große und kleine Institutionen und Unternehmen in die Region zu locken: Es gab bereits eine gute funktionierende Infrastruktur aus Hauptstadtzeiten. Ob U-Bahn, Flughafen oder Autobahnnetz, Universität oder Opernhaus - Bonn bot bereits alles, was eine Metropole ausmacht.
Bonn boomt. Das bestätigen auch aktuelle Zahlen der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg: Seit 1991 kann die Stadt ein Bevölkerungswachstum von gut 15 Prozent verzeichnen und auch die Zahl der Unternehmen stieg in diesem Zeitraum um mehr als die Hälfte auf 54.000.
Neben Wissenschaft und Wirtschaft ist die Kultur das dritte Standbein der Stadt, deren berühmtester Sohn Ludwig van Beethoven ist. 58 Millionen Euro steckt Bonn jährlich in die Kulturförderung. Museen der Stadt, wie das "Haus der Geschichte" und die Bundeskunsthalle, aber auch das Beethovenfest mit seinen Klassik-Konzerten haben international einen guten Ruf.
Bonn wächst
Das ehemalige Regierungsviertel ist inzwischen die Keimzelle für das neue Bonn. Hier steht das moderne Wahrzeichen der Stadt, der gut 160 Meter hohen Posttower. Hier sind die Deutsche Welle, die Bundesnetzagentur und die Nationale Anti-Doping Agentur NADA angesiedelt. Und hier, im ehemaligen Abgeordneten-Hochhaus, das den Spitznamen "Langer Eugen" hat, ist jetzt der deutsche Sitz der UNO untergebracht. Rund um den ehemaligen Bundestag entstehen zur Zeit außerdem ein moderner UN-Campus und ein Konferenzzentrum, mit dem Bonn für internationale Unternehmen noch attraktiver werden will. Allerdings gibt es bei der Realisierung dieses Projekts erhebliche Schwierigkeiten. Beim Bau eines neuen Festspielhauses scheint die Stadt ebenfalls an ihre - auch finanziellen - Grenzen zu stoßen.
Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch blickt dennoch mit Optimismus in die Zukunft. "Wir haben mehr Einwohner, mehr Geburten, mehr Arbeitsplätze, höhere Übernachtungszahlen. Das klingt alles danach, dass es aufwärts geht und nicht rückwärts." Die Beliebtheit der Stadt spiegelt sich auch in den Immobilienpreisen wider, die stetig steigen: Während der Grundstückswert in der Bonner Südstadt 1991 noch bei 220 Euro pro Quadratmeter lag, zahlt man heute mit 485 Euro pro Quadratmeter mehr als das Doppelte.