Die EZB vor deutschen Richtern
30. Juli 2019Natürlich geht es bei der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts seit Dienstagnachmittag um Geld, um sehr viel Geld, aber im Zentrum der Anhörung dürften große Rechtsfragen stehen: Was darf die Europäische Zentralbank EZB? Unterliegt sie ausreichender Kontrolle? Und wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen den obersten deutschen Richtern in Karlsruhe und ihren Kollegen vom EuGH, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg? Dabei könnte es gewaltig krachen im Gefüge der europäischen Institutionen.
Zwar erwartet niemand, dass die Karlsruher Richter Deutschland oder genauer der Bundesbank verbieten könnten, an dem Milliarden schweren Anleihe-Kaufprogramm der EZB mitzuwirken. Aber juristische Leitplanken für die Zentralbank - und für deren Beaufsichtigung durch den EuGH - die könnten die Bundesrichter schon ziehen. Aber fangen wir beim Geld an:
Knackpunkt Inflation
Seit 2015 kauft die EZB Staatsanleihen von Euroländern, um einer möglichen Deflation in Europa vorzubeugen. Bis Ende 2018 pumpte die Zentralbank so rund 2,6 Billionen Euro in die Finanzmärkte. Wenn Sie sich diese Summe nicht vorstellen können, dann mag das an den zwölf Nullen liegen, die diese gigantische Zahl mit sich herumschleppt: 2,6 Billionen Euro, das sind 2600 Milliarden Euro, das sind 2.600.000 Millionen Euro … Entsprechend sperrig ist der Name des EZB-Ankaufprojekts: "Public Sector Purchase Program". Damit wollte die EZB die Inflationsrate in die Nähe der von ihr angestrebten Zwei-Prozent-Marke bringen. So recht ist das nicht gelungen - derzeit liegt die Inflation in der Eurozone bei 1,3 Prozent; Experten rechnen für dieses Jahr mit 1,1 Prozent.
Kritiker stoßen sich aber an etwas anderem - und das führt über das Geld hinaus: Sie sehen in dem Programm eine indirekte Haushaltsfinanzierung hochverschuldeter Staaten. Damit überschreite die Zentralbank ihre Kompetenzen, und sie betreibe so nicht Währungs- sondern Wirtschaftspolitik. Bereits mehrfach landete der Konflikt vor höchsten Gerichten.
Haushaltsfinanzierung auf Umwegen?
Erste Klagen in der Sache gab es schon 2013, zwischenzeitlich legten die Bundesverfassungsrichter die Frage 2017 dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Entscheidung vor. Sie hatten allerdings vorher in einer vorläufigen Beurteilung die Bedenken der Kläger geteilt: Staaten und Banken könnten davon ausgehen, dass Anleihen letztlich von der EZB gekauft werden. Also eine Haushaltsfinanzierung auf Umwegen. Auch sei bisher keine Anleihe zurück auf den Markt gebracht worden.
In seinem Urteil widersprach der EuGH der Beurteilung des deutschen Verfassungsgerichts in allen Punkten. Die EZB habe alles Recht, ihr Kaufprogramm zu realisieren. Es fiele in den Bereich der Währungspolitik und berücksichtige den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Nun muss das Bundesverfassungsgericht nach dieser Entscheidung in Luxemburg erneut darüber befinden, ob diese Einschätzung mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist, oder ob Verfassungsrechte der Bürger verletzt werden. Im Kern steht die Frage, ob der Bundesrepublik und ihren Bürger (finanzielle) Belastungen aufgebürdet werden, auf die sie keinen Einfluss haben - letztlich geht es also um die demokratische Legitimierung der Europäischen Zentralbank. Dafür nimmt sich der Zweite Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle anderthalb Tage Zeit.
Ans Eingemachte geht das alles also deshalb: Verfassungsrechtler sehen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur EZB auch einen weiteren Schritt zur Klärung der Frage, wie die Kompetenzen zwischen nationalen Verfassungsgerichten und dem EuGH verteilt werden. Zwar sind die Karlsruher Richter wie alle Länder-Verfassungsgerichte an die Entscheidungen des Gerichts in Luxemburg gebunden; Unionsrecht hat Vorrang vor nationalem Recht. Aber die Karlsruher Richter haben zu prüfen, ob EU-Recht die vom Grundgesetz garantierten unveräußerlichen Rechte der Bundesbürger verletzt.
Euro-Rebellen vor Gericht
Es ist kaum zu erwarten, dass die obersten deutschen Richter der Bundesbank auftragen könnten, sich aus dem Anleiheprogramm der EZB zurückzuziehen - das käme dem Anfang vom Ende der EZB und des Euro gleich. Kläger vor dem Verfassungsgericht sind übrigens unter anderem Euro-Rebellen wie der AfD-Mitgründer Bernd Lucke (der nicht mehr in der Partei ist) und der CSU-Mann Peter Gauweiler, sowie der Finanzwissenschaftler Markus Kerber. Schon in einem allerersten Urteil in Sachen Euro und EZB hatten die Karlsruher Richter im Jahr 1998 aber geschrieben, es läge nicht bei ihnen, den Euro zu stoppen: "Dieses ist nicht Sache der Gerichte, sondern der Regierung und des Parlaments."
In Detailfragen könnten die Richter den Währungshütern jedoch sehr wohl ins Handwerk pfuschen - und sich nebenbei mit ihren Kollegen am EuGH anlegen. Schließlich investiert die Notenbank die Mittel aus auslaufenden Staats- und Unternehmenspapieren munter weiter, auch wenn seit Januar 2019 kein frisches Geld mehr ausgegeben wird. Und EZB-Chef Mario Draghi hat nun schon mehrfach gesagt, auch neue Anleihekäufe wären denkbar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird noch in diesem Jahr erwartet.
ar/hb – (dpa, afp – mit Archiv)