Gesichter der Renaissance
24. August 2011Stefan Weppelmann verweist gerne auf die Gegenwart. Gerade jetzt, im aktuellen Wahlkampf in Berlin, könne man an den Wahlplakaten sehen, wie mächtig der Bildkult ist. Und dass einzelne Parteien gezielt mit den Gesichtern ihrer Kandidaten und Kandidatinnen werben. Nichts anderes hätten vor gut 600 Jahren auch die Medici gemacht, die das Gesicht ihrer Familie in Florenz verbreitet haben, um über die Stadtgrenzen hinaus unmissverständlich klar zu machen, wer dort den Ton angibt.
Stefan Weppelmann ist Kurator für italienische und spanische Malerei des Spätmittelalters und der Frührenaissance bei den Staatlichen Museen Berlin und verantwortlich für die große Schau "Gesichter der Renaissance", die bis zum 20. November im Bode-Museum präsentiert wird. Rund 150 Meisterwerke der italienischen Portraitkunst des 15. Jahrhunderts sind damit erstmals unter einem Dach zu sehen – Bilder so herausragender Künstler wie Giovanni Bellini, Domenico Ghirlandaio, Sandro Botticelli oder Leonardo da Vinci, die eine der glanzvollsten europäischen Kulturepochen geprägt haben.
Kunstsinniges Italien
Italien war zu Beginn des 15. Jahrhunderts keineswegs eine politische Einheit, sondern in kleinere Stadtstaaten und Territorien aufgeteilt. Die Städte waren Republiken und weitgehend autonom, ihr Bevölkerungsanteil relativ hoch. Geld verdiente man mit dem Handel zwischen Orient und Okzident, und der Bildung kam große Bedeutung zu. An der Universität von Florenz wurde in jenen Jahren Griechisch unterrichtet, Indiz für ein zunehmendes Interesse an der Antike. Die Beschäftigung mit deren Idealen gehörte in den meisten führenden Familien, deren Denken ja noch vom Mittelalter geprägt war, bald zum guten Ton.
Abkehr von den Traditionen
Als "Renaissance", übersetzt mit "Wiedergeburt" oder "Neubeginn", wurde diese Epoche später bezeichnet. Zugeschrieben werden ihr bis heute das Aufkommen des Individualismus, die Bewusstwerdung der Persönlichkeit und eine Kunst, die sich der Schönheit und Vollkommenheit sowie der Nachahmung der Natur verschrieb. Das brachte nicht nur die geometrisch konstruierte Perspektive in das Bild, sondern führte auch zu einer Wiederbelebung der Portraitmalerei. Seit der späten Antike hatte diese Gattung kaum noch eine Rolle gespielt; nun ließen sich Kaufleute, Fürsten, Bankiers, hohe Kleriker, Gelehrte und Künstler reihenweise verewigen.
Wachsendes Selbstbewußtsein
Erinnerungsbilder sollten die Künstler schaffen, Kunstwerke, die Verehrung auslösen - für den Künstler und dessen Kunstfertigkeit oder für den Dargestellten. Das geschah, erzählt der Kunsthistoriker Stefan Weppelmann, in der Renaissance in der Zuspitzung auf das Gesicht als Kulturträger. Weil das Gesicht doch der Ort sei, an dem sich die Seele kommuniziere.
Bildwürdig war indes längst nicht jeder oder jede. Denn anders als in unserer Gegenwart, in der Digitalkameras die eilige Anfertigung von Portraits ermöglichen und ihre Vervielfältigung ein Kinderspiel ist, musste man sich sein Portrait im 15. Jahrhundert durch bemerkenswerte Taten verdienen. Oder es gab einen besonderen Anlass, wie beispielsweise eine geplante Eheschließung. Junge Frauen, für die noch ein standesgemäßer Bräutigam gesucht wurde, wurden auf Bildnissen stilisiert, zu tugendhaften, reinen, mit reicher Mitgift ausgestatteten jungen Damen vornehmer Herkunft. Sie trugen kostbare Kleider und hätten mit ihrer Schönheit ganz sicher jedes Haus geschmückt. Frisch Vermählte wurden hingegen in der ganzen Pracht ihrer Mitgift inszeniert. Jeder konnte so erkennen, wie bedeutsam die eingegangene Verbindung zweier Familien war. Gelegentlich wurde das neue Familienwappen auf dem Portrait gleich mit eingeführt.
Kunst und Macht
Die Medici sind durch internationale Bankgeschäfte reich geworden. Innerhalb kürzester Zeit hatte diese Familie eine Vormachtstellung in Florenz und weiten Teilen der Toskana inne. Ihre Machttechniken waren vielfältig und ausgeklügelt, und sie hat insbesondere Kunst, Künstler und Kunstförderung für ihre Zwecke einzusetzen gewusst. In der Regel, so Stefan Weppelmann, wurde man in der Renaissance zeitlebens nur einmal porträtiert. Allein von dem 1478 in der Florentiner Kathedrale ermordeten Guiliano de Medici existieren hingegen vier oder fünf Portraits aus der Botticelli-Werkstatt. So hat man Macht und Persönlichkeit inszeniert.
Meisterhafte Wirklichkeitsdarstellung
Verewigt wurden Menschen im 15. Jahrhundert auf Gemälden, Bildnis-Medaillen, Zeichnungen und Büsten, je nach Kontext und kulturellen Einflüssen. Unikate mit großer Aura sind dabei entstanden, Bildnisse von außergewöhnlicher, eindringlicher Schönheit, die mit ihrer Präzision betören. Lupengenau ist jedes Haar und jede Wimper gemalt, Stoffe scheinen gleichsam zu knistern, virtuos wird mit Licht und Schatten gespielt. Die großen Meister des 15. Jahrhunderts, Leonardo, Bellini, Tizian, Ghirlandaio, Fra Filippo Lippi, Andrea del Castagno und die vielen anderen, haben die Fertigkeit der Wirklichkeitsdarstellung fraglos vervollkommnet.
Individualität und Normierung
Und dennoch, sagt der Kunsthistoriker Stefan Weppelmann, ist jedes ihrer Portraits natürlich ein idealisiertes oder typologisches Bildnis. So wurde die Krümmung der Physiognomie verändert, um die besondere Durchsetzungsfähigkeit des Dargestellten zu unterstreichen. Um die Tugendhaftigkeit junger Frauen zu betonen, hat man ihre Haut und ihr Haar besonders hell gemalt, schließlich war man seinerzeit der Meinung, dass sich in weißer Haut und hellem Haar die Reinheit der Seele zeige. Und wenn der oder die Dargestellte nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprach, also zu Übergewicht neigte, keinen Überbiss hatte oder die Stirnhaare nicht modisch ausrasiert trug, dann verstanden es die Künstler, geschickt nachzuhelfen und zu korrigieren.
Vom Umgang mit der Schönheit
Auf ihren Portraits, die heute in großen Museen in Amerika und Europa zu den Publikumsattraktionen zählen, sucht man Unansehnlichkeit denn auch vergeblich. In Berlin, im Bode-Museum, werden nun mehr als 150 Hauptwerke der Epoche in schwarz ausgeschlagenen Räumen präsentiert - in lauter Schatullen also, in denen die Schmuckstücke um die Wette glänzen dürfen. Die Veranstalter, das sind die Staatlichen Museen zu Berlin, rechnen mit großem Publikumsinteresse. Auf der Homepage zur Ausstellung "Gesichter der Renaissance" finden sich bereits Tipps, wie und wo man die Wartezeit bis zum Einlass am besten verbringt. Neugierig machen möchte die Seite auch zum Beispiel auf den Museumsshop, in dem rund 200 Fan-Artikel angeboten werden: von traditioneller Keramik aus einer umbrischen Familienmanufaktur und feinster Papeterie aus florentinischen Papieren bis zum Kannenwärmer in Büstenform für die heimische Renaissance-Tafel. So nutzt eben jede Zeit die Kunst für ihre Zwecke.
Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Klaus Gehrke