Energiewende: Debatte um Gebäudesanierung
18. September 2012Wer Matthias Hensel zuhört, der kommt ins Grübeln. Denn für ihn steht die in Deutschland viel gepriesene Energiewende eigentlich noch ganz am Anfang. Hensel, Vorsitzender der Informationskampagne für mehr Energieeffizienz des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), kritisiert falsche politische Weichenstellungen. Viel zu lange habe sich beim Umbau des Energiesystems in Deutschland alles nur um den Einsatz von erneuerbaren Energien gedreht. Ausgeblendet worden sei dagegen jener Bereich, der hierzulande rund 40 Prozent der benötigten Energie verbraucht, der Gebäudesektor. "Ohne energetische Gebäudesanierung gibt es keine Energiewende“, sagt Hensel.
Neue politische Instrumente müssten her, um die aktuell geringe Sanierungstätigkeit bei Gebäuden zu stimulieren. Derzeit liege die Sanierungsquote des Gebäudebestands in Deutschland gerade einmal bei einem Prozent. Eine Sanierungsquote von 2,5 Prozent pro Jahr sei aber notwendig, so Hensel, um den Bestand einmal komplett in 40 Jahren erneuern zu können - und damit auch energieeffizienter zu machen. Nur so ließe sich das politisch verankerte Ziel erreichen, bis zum Jahr 2050 rund 80 Prozent der heute in Gebäuden genutzten Energie einzusparen. Sein Fazit: "Das letzte Jahrzehnt ist in Sachen Gebäudesanierung verloren."
Politik will eine Sanierungswelle lostreten
Mit Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) konnte Hensel bei der Vorstellung der BDI-Initiative "Energieeffiziente Gebäude" einen mächtigen Verbündeten gewinnen. Altmaier kündigte an, dass nicht mehr der Umstieg auf erneuerbare Energien, sondern die Steigerung der Energieeffizienz sein vorrangiges politisches Ziel der kommenden Monate sein solle. "Wir brauchen eine Welle der Motivation", sagte der Minister. "Wir reden in erster Linie über Häuser aus den 60er und 70er Jahren, wo es keine Isolation gegeben hat, wo Energie ohne Ende verloren geht." Hier gelte es auch, finanzielle Anreize zur energetischen Sanierung zu setzen.
Altmaier will vor allem die Verunsicherung der Immobilienbesitzer hierzulande bekämpfen. Ein politischer Streit zwischen Bund und Ländern über Steuervorteile bei der energetischen Gebäudesanierung hatte viele Projekte hinausgezögert, weil Besitzer mögliche Vorteile nicht durch vorzeitiges Handeln gefährden wollten. "Wenn ich mir ansehe, welchen Investitionsstau wir in dieser Frage haben, dann sage ich: Wir müssen im September wissen, wohin der Zug geht", sagte Altmaier mit Blick auf ein bislang nicht verabschiedetes Gesetzespaket, das die Sanierung von Häusern mit Steuervergünstigungen im Umfang von 1,5 Milliarden Euro fördern soll. Der Streit, wer diese Subventionen bezahlen soll, geht quer über Parteigrenzen und föderale Verantwortlichkeiten. Finanziert werden soll damit die gezielte Außendämmung von Häusern ebenso wie der Austausch von Heizungsanlagen, der Einbau neuer Fenster und die Dämmung von Dachstühlen, vor allem bei Altbauten.
Sanierungsstau oder Dämmwut?
Für neu gebaute Gebäude gelten in Deutschland bereits seit Jahren strenge gesetzliche Auflagen für mehr Energieeffizienz. In der sogenannten Energieeinsparverordnung (EnEV) schreibt der Gesetzgeber vor, wie stark Gebäude von außen gedämmt werden müssen, beziehungsweise wie effizient neue Heizungsanlagen mit fossilen wie erneuerbaren Energien arbeiten müssen. Faktisch besteht dadurch ein Dämmzwang, den Befürworter dieser Politik derzeit auf der Grundlage bislang verfehlter CO2-Einsparziele in diesem Bereich noch verstärken und auf den Bereich der Altbauten ausdehnen wollen.
Doch bereits seit Monaten formiert sich Widerstand. Kritiker warnen vor Pfusch am Bau und möglicherweise teuren Fehlinvestitionen. "Es wird ein Schwerpunkt gelegt auf die Dämmung, die überhaupt keine Energieersparnisse bringt, wohl aber zu einer verpfuschten Fassade und - bei zu dichten Fenstern - zu Schimmelbildung", sagt einer von Deutschlands prominentesten Gegnern staatlich erzwungener Häuserdämmung. Architekt Konrad Fischer warnt vor dem sogenannten "Kühlschrank-Effekt", bei dem ein Haus so hermetisch abgedichtet werde, dass im Sommer geheizt werden müsse, wodurch der Energiebedarf gedämmter Häuser nach ihm vorliegenden Studien vielfach sogar über dem von ungedämmten Häusern liege. Der von Politikern jetzt propagierte Energieeinspareffekt durch zwangsverordnete Häuserdämmung sei damit eine gezielte Irreführung der Öffentlichkeit.
Das Problem falsch angepackt
"Nur dort, wo die Energie verzehrt wird, also bei der Heizungsanlage, ist effektiv was in Sachen Energieeinsparung zu erreichen", argumentiert Fischer gegen den Chor aus Dämmstoffindustrie, Umweltverbänden und politischer Mehrheitsmeinung. Zuviel oder schlechte Dämmung habe negative Folgen für den Häuserbestand. Fassaden verschimmelten buchstäblich, weil "Dämmstoffe sich unter den Taupunkt abkühlen und dadurch innen nass werden, ohne die Feuchte nach außen abgeben zu können." Zudem sei das Raumklima in stark gedämmten Häusern mit zu dichten Fenstern schlecht und könne seine Bewohner krank machen, sagt Fischer. Außerdem könnten fast alle derzeit für Dämmzwecke benutzten Styroporplatten bei einem Hausbrand Feuer fangen, mit fatalen Folgen für den Brandschutz, so der Architekt.
Vor allem von Seiten der Dämmstoffindustrie werden Fischers Argumente als irregeleitete Phantomdebatte abgetan. Alle verfügbaren Dämmstoffe würden deutsche und europäische Baunormen übererfüllen, so die Reaktion der Branche. Dämm-Kritiker Fischer beharrt allerdings darauf: Bevor mit staatlichen Subventionen ein Dämm-Boom in Deutschland ausgelöst werde, sollten vor allem die Alternativen geprüft werden. Denn CO2-Einsparungen seien auch ohne Schimmelbefall in Millionen von Gebäuden zu erreichen, sagt Fischer.