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"Die Katastrophe muss ein Ende haben"

Barbara Wesel, z.Z. London 4. Februar 2016

Eine Versammlung von über 70 Geberländern bringt mehr als neun Milliarden Euro für Syrien-Flüchtlinge auf - und übertrifft damit die Erwartungen. Es geht um neue Perspektiven in den Nachbarländern.

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Großbritannien Syrien Geberkonferenz
Bild: Reuters/A. Rain

Gastgeber David Cameron fand zum Schluss nur noch Superlative: "Das ist die größte Geldsumme, die jemals innerhalb eines Tages zugesagt worden ist." Mehr als zehn Milliarden US-Dollar hätten die Teilnehmer der Londoner Geberkonferenz zusammengebracht. Es sei ein Tag der Hoffnung, um mit einem neuen Ansatz Bildung und Jobs in die Region bringen, die Rede ist von 1,1 Millionen Arbeitsplätzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel blieb nüchterner. Aber auch sie sprach von Hoffnung für die Syrien-Flüchtlinge: "Sechs Milliarden werden bereits in diesem Jahr zur Verfügung gestellt, das heißt, die Arbeit kann sofort beginnen." Deutschland ist dabei mit 2,3 Milliarden Euro größter Geber, gefolgt von den USA und Großbritannien.

Neuer Ansatz zur Hilfe

Nach vergangenen Geberkonferenzen wollte diese einen neuen Weg gehen. Ein Teil der gesammelten Mittel soll direkt an die UN- Organisationen gehen, um die Lebensmittelhilfe in den grenznahen Flüchtlingslagern zu verbessern. Dabei hat Deutschland ein Drittel der Gelder schon vorab ausgezahlt. Die Rationen wurden 2015 aus Geldnot teilweise um die Hälfte gekürzt. Darüber hinaus aber wird Geld zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt, für Projekte in den Gastländern Jordanien, Libanon und Türkei, bei denen in Zusammenarbeit mit der privaten Wirtschaft auch Jobs für Flüchtlinge entstehen sollen. Die EU wiederum räumt Handelspräferenzen ein, so dass die Güter auch abgesetzt werden können: So der Plan, der allerdings eher mittelfristig helfen wird.

Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai setzt sich für syrische Flüchtlingskinder ein (Foto: Getty Images)
Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai setzt sich für syrische Flüchtlingskinder einBild: Getty Images/M. Dunham

Bis Ende dieses Jahres sollen alle syrischen Flüchtlingskinder in den Nachbarländern zur Schule gehen können. Die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg sprach davon, "eine verlorene Generation als Folge der Syrien-Krise zu verhindern". Von rund 2,5 Millionen syrischen Kindern in den Nachbarländern hat nur eine Minderheit Zugang zu Schulunterricht. Kinderrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai hielt auf der Geberkonferenz ein leidenschaftliches Plädoyer zur Unterstützung der Flüchtlingskinder: "Diese Kinder sind nur verloren, wenn ihr entscheidet, sie fallen zu lassen." Es koste nur einen Dollar pro Tag pro Kind, damit sie alle in die Schule gehen könnten.

Nachbarländer fürchten politische Destabilisierung

"Unser kleines Land hat 1,3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen", beschwor der jordanische König die Geberkonferenz in London. Einer von fünf Einwohnern in Jordanien Land sei ein Syrien-Flüchtling, so König Abdullah, und "wir haben richtig gehandelt. Aber wir sollten nicht dafür bestraft werden." Sein Land könne die Flüchtlinge nicht zu Lasten der eigenen Bürger weiter unterstützen. Er appellierte auch an die Geberländer, die Stärke Jordaniens und seine Rolle in der Region nicht zu gefährden. Abdullah fürchtet eine politische Destabilisierung und eine mögliche Radikalisierung in seinem Land.

Ähnliches gilt für den Nachbarsstaat Libanon: Man brauche eine politische Lösung, sagte Ministerpräsident Tammam Salam. Gebraucht würden jetzt für die Flüchtlinge in seinem Land Projekte, Arbeitsplätze, Lebensmittel, Schulen und "ein Lächeln auf dem Gesicht jedes Kindes". Der Libanon könne diese Aufgabe nicht finanzieren - und das dürfe auch nicht erwartet werden: "Wir werden einen Ausbruch bald nicht länger verhindern können, und das ist eine internationale Bedrohung." Die Zeit laufe ab, und dieses Mal müssten die Versprechen der Geberkonferenz auch erfüllt werden. Im vorigen Jahr waren nur 56 Prozent der zugesagten Mittel tatsächlich gezahlt worden.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu griff Russland scharf an: Zehntausend neue Flüchtlinge warteten schon vor der türkischen Stadt Kilis - wegen der anhaltenden Bombenangriffe auf Aleppo durch russische Kampfjets und ausländische Kämpfer. Der Versorgungskorridor nach Aleppo sei jetzt abgeschnitten, das Assad-Regime "nutzt Hunger als Druckmittel und setzt mittelalterliche Terrormethoden ein". Niemand werde die Opposition unter diesen Umständen wieder an den Genfer Verhandlungstisch bringen. Russland selbst war übrigens bei der Konferenz nicht vertreten und beteiligt sich nicht an den Hilfsbemühungen. Auch von Davutoglu kam schließlich die Bitte um Geld für die Türkei, die bereits mehr als zwei Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt.

Zerstörungen in Aleppo (Foto: Reuters)
Zerstörungen in AleppoBild: Reuters/A.Ismail

Noch ist Hilfe möglich

"Fünf Jahre nach Kriegsbeginn sind die Flüchtlinge in der Region am Ende", sagt Caroline Annington von "Save the Children". Sie hätten alles verkauft und kämpften ums Überleben. Und die Kinder müssten arbeiten, um die Familie mit zu ernähren - zum Beispiel im Libanon bei der Kartoffelernte. Damit alle zur Schule gehen können, brauche man Lebensmittel für die Eltern. Außerdem müsse man bürokratische Hürden in den Gastländern beseitigen und genug Lehrer und Schulräume finanzieren. "Die meisten dieser Probleme lassen sich mit Geld lösen", sagt Caroline Annington, aber dieses Geld müsse mittelfristig gezahlt werden, damit es Kontinuität gebe. Noch sei es nicht zu spät, denn die Kinder hätten enormen Antrieb und würden schnell lernen.

"Die Regierungschefs spüren den politischen Druck und hören den Gastländern jetzt zu", sagt Simon Ingram von Unicef. "Kurzfristig kann man die Menschen in der Region kaum von der Flucht nach Europa abhalten, langfristig aber wollen die meisten Familien zurück in ihre Heimat, sobald es dort eine Perspektive gibt."

Angela Merkel bemüht sich, die Hoffnungen auf einen unmittelbaren Stopp des Flüchtlingsstroms zu dämpfen: "Wir tun alles, damit die Menschen nicht so weit von ihrer Heimat weg müssen, aber das ersetzt nicht die humanitäre Verantwortung Europas." Sie werde weiterhin dafür arbeiten, dass Europa seine Verpflichtungen erfüllt. Die Bundeskanzlerin gibt das Ziel einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik in der EU nicht auf.