Die Kinder leiden am meisten
19. November 2018Mit einer Stärke von 7,8 ließ das Erdbeben im April 2016 den Boden des nordwestlichen Ecuadors erzittern. Viele Menschen in der Region hatten keine Chance. Über 660 starben, über 80.000 verloren ihr Heim und ihre Lebensgrundlagen. Auch 560 Schulen wurden teilweise oder ganz zerstört.
Zu leiden hatten besonders die Kinder. Viele verloren ihre Eltern und waren zunächst ganz auf sich selbst angewiesen. Die Nothilfe rollte zwar an, doch bis die Kinder in einem umfassenderen Sinne versorgt waren, brauchte es Zeit. Immerhin: Bis April 2017 erreichte die Nothilfe der Hilfsorganisation Plan International 36.900 Kinder.
Das Beispiel Ecuador zeigt, wie verwundbar gerade Kinder bei Naturkatastrophen sind. Darum widmet sich der vom "Bündnis Entwicklung Hilft" und der Ruhr-Universität Bochum herausgegebene "Weltrisikobericht 2018" vor allem ihnen.
"Kinder sind in den Katastrophen besonders stark betroffen und haben ein höheres Risiko als die Erwachsenen, weil sie in aller Regel körperlich unterlegen sind", erklärt Peter Mucke, Geschäftsführer von "Bündnis Entwicklung Hilft", im DW-Gespräch. Auch rechtlich seien sie oft schlechter geschützt als Erwachsene. "Kinder können schlechter ihre Rechte einfordern, obwohl sie ihnen durch die Kinderrechtskonvention zugesichert sind. Gerade nach einer Katastrophe stellt sich für Kinder eine besonders schwierige Ausgangslage."
Multiple Gefahren
Wie hart Kinder von Katastrophen getroffen werden können, zeigt sich durch den Tsunami 2011 in Südostasien. Er machte 2800 Kinder zu Waisen. Ebenso zeigte sich Schutzlosigkeit bei dem Erdbeben 2010 in Haiti: Nach der Katastrophe wurden etwa 7300 wehrlose Kinder von Menschenhändlern in die benachbarte Dominikanische Republik entführt. Und nach dem Zyklon Nargis in Myanmar 2008 wurden Hunderte Kinder in die Position von Hausbediensteten gezwungen.
Der Weltrisikobericht 2018 weist mit Blick auf einige Regionen auf eine dramatische Entwicklung hin: die Kombination von Kriegen oder Konflikten und schwierigen, oder gar verheerenden Naturereignissen.
Dabei folgte der Bericht der Grundidee, "dass für das Katastrophenrisiko nicht allein das Auftreten extremer Naturereignisse - zum Beispiel Dürren, Erdbeben, Wirbelstürme - relevant ist, sondern dass auch gesellschaftliche Faktoren verantwortlich dafür sind, ob es im Zusammenhang mit extremen Naturereignissen zu einer Katastrophe kommt oder nicht."
Gefährdete Länder, sichere Länder
Zur Begründung heißt es, jede Gesellschaft könne direkt oder indirekt Vorkehrungen treffen, die die Auswirkungen von Naturgefahren reduzieren - etwa durch gut durchdachte Bauvorschriften, einen handlungsfähigen Katastrophenschutz oder ein möglichst niedriges Ausmaß extremer Armut und Ungleichheit in der Bevölkerung. Doch nicht alle Länder haben die Mittel dazu.
Nach Maßgabe dieser Kriterien zählt der Weltrisikoindex Vanuatu, Tonga und die Philippinen zu den höchstgefährdeten Ländern, Katar, Malta und Saudi-Arabien zu den sichersten. Deutschland steht an 17. Stelle der am wenigsten exponierten Länder.
Eines der Länder, in denen Kinder derzeit besonders zu leiden haben, ist der Jemen. Dort herrscht seit dreieinhalb Jahren ein Bürgerkrieg. Er trifft besonders die Zivilisten: Mehrere Millionen Menschen sind als Binnenflüchtlinge in dem Land an der Südspitze der Golf-Halbinsel unterwegs. Sie leiden nicht nur unter militärischer Gewalt, sondern auch unter anhaltender Dürre. Ähnlich schwierig ist die Situation im Irak.
"Diese Länder haben überhaupt nicht die Kapazitäten, um in der Kriegssituation angemessen auf ein extremes Naturereignis zu reagieren", erklärt Mucke weiter. "So leben viele Kinder in einer völlig zerstörten Umgebung oder eben in einem Flüchtlingslager, wo die Bedingungen viel schwieriger sind, um etwa Schulunterricht, oder medizinische Versorgung zu erhalten."
Kinderschutz weiter ausbauen
Umso wichtiger ist das Engagement für den Schutz von Kindern während und nach Naturkatastrophen. Unter dem Motto "Eine sicherere Welt für alle" fand im Januar 2005 im japanischen Kobe die zweite Weltkonferenz zur Reduzierung von Katastrophen statt.
Die Weltkonferenz verabschiedete ein "Hyogo Framework for Action", einen Rahmenaktionsplan. Maßnahmen für den Schutz von Kindern sah er als prioritär an - wie etwa soziale Sicherungsnetze und Wiederaufbau-Programme einschließlich psychosozialer Betreuung. Sie sollen Kindern dabei helfen, die psychologischen Folgen von Katastrophen zu bewältigen. Dies war der Anstoß zu einem kontinuierlichen Ausbau von Kinderrechten nach Katastrophen - auch wenn diese längst noch nicht selbstverständlich sind.
Darum, so Peter Mucke, appellierten die Autoren der Studie dafür, den Schutz von Kindern weiter auszubauen. "Ganz konkret plädieren wir dafür, dass in Ländern, die immer wieder stark von extremen Naturereignissen betroffen sind, Aktionspläne für Kinder entwickelt werden - und zwar in Zusammenarbeit mit ihnen."
Ganz allgemein fordern die Autoren des Berichts dazu auf, Kinder in Prävention, Intervention und Übergangshilfe einzubeziehen. "Da sie andere Risiken wahrnehmen und identifizieren, sollten sie unbedingt einbezogen werden und Strategien mit entwickeln", heißt es in dem Bericht. "Ein wichtiger Schritt kann die Entwicklung von Aktionsplänen für Kinder in stark von extremen Naturereignissen betroffenen Gebieten sein, an denen Kinder mitwirken." Nur so, sind die Autoren überzeugt, lasse sich Kinderschutz in und nach Katastrophen wirksam ausbauen.